Wer bekommt einen Studienplatz in Medizin?
Universitäten Das bisherige Auswahlverfahren verstößt gegen das Grundgesetz. Was sich jetzt ändern muss
Bund und Länder müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Auswahlverfahren zum Medizinstudium, den sogenannten Numerus clausus, gerechter und transparenter gestalten, um die Chancengleichheit der Bewerber zu wahren. Gewinner der Entscheidung sind damit 60 Prozent der Studienplatzbewerber. Aber auch die Gesellschaft könnte davon profitieren - weil sie einem Klagevertreter zufolge künftig bessere Ärzte bekomme. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte des Urteils:
WAS BEDEUTET NUMERUS CLAUSUS? Der Numerus Clausus ist eine Zulassungsbeschränkung für bestimmte Studienfächer, wenn die Bewerberzahl die Zahl der Studienplätze übersteigt. Ein bundesweiter Numerus Clausus gilt für die Fächer Medizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Die Studienplätze werden zum Teil zentral von der Stiftung für Hochschulzulassung vergeben. Derzeit gibt es im Fach Humanmedizin 62.000 Bewerber für knapp 11.000 Studienplätze. Das Urteil ist nur für das Fach Medizin von Belang.
WIE WERDEN DIE PLÄTZE VERTEILT? Nach einem festen Schlüssel werden 20 Prozent der Studienplätze zentral über die Abiturnote vergeben, 20 Prozent über Wartezeiten und 60 Prozent über unterschiedliche Kriterien der jeweiligen Hochschulen.
WAS SAGT DAS GERICHT ZUR BESTNOTEN-QUOTE? Sehr gute Abiturnoten sind laut Urteil ein „zuverlässiger Indikator“ für einen zügigen Studienabschluss. Die zentrale Vergabe nach Bestnoten ist aber nur zulässig, weil länderspezifische Unterschiede in der Benotung durch Landesquoten ausgeglichen werden: So kommen etwa 38,8 Prozent der Abiturienten im großzügigen Thüringen auf einen Notenschnitt von 1,0 bis 1,9; im strengeren Niedersachsen sind es dagegen nur 17,2 Prozent der Schüler.
WIRD DAS WARTEN AUF EINEN STUDIENPLATZ WEITER BELOHNT? Ja und nein: Bei Noten jenseits eines Einserschnitts beträgt die Wartefrist wie etwa in Berlin bis zu acht Jahre. Das Gericht erklärte dies nun für unzulässig. Selbst eine Wartezeit von vier Jahren sei für den Studienerfolg letztlich eher abträglich. Der Gesetzgeber wurde deshalb ohne weitere Präzisierung aufgefordert, eine „angemessene Wartezeitgrenze“ zu bestimmen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei kürzeren Wartezeitfristen Bewerber mit schlechteren Noten überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden.
WELCHE VORTEILE BRINGT DAS URTEIL FÜR BEWERBER? Die Entscheidung ist vor allem für die 60 Prozent der Studienplätze von Bedeutung, die von den Universitäten direkt vergeben werden: Der Gesetzgeber muss den Hochschulen nun neben dem Kriterium der besten Abiturnote weitere Auswahlkriterien „mit erheblichem Gewicht“ für die Vergabe eines Teils der Studienplätze vorschreiben. In der mündlichen Verhandlung waren dazu besondere kommunikative Kompetenzen sowie ein besonderes Einfühlungsvermögen in Patienten oder eine medizinnahe berufliche Ausbildung genannt worden. Der Klägervertreter Michael Schacht geht deshalb davon aus, dass es künftig bessere Ärzte geben wird.
WER SIND DIE VERLIERER DER ANSTEHENDEN REFORM? Die Verfassungshüter haben mit dem Urteil die Freiheit der Hochschulen bei der Bewerberauswahl ebenso eingeschränkt wie die Auswahlmacht ihrer Professoren: Dass der Gesetzgeber den Hochschulen bislang „ein eigenes Kriterienerfindungsrecht“ für die Auswahl von Bewerbern eingeräumt habe, bezeichnete Karlsruhe als „verfassungswidrig“. Eignungsprüfungen an Hochschulen müssten vielmehr bundesweit standardisiert und strukturiert werden. Zudem müssen Eignungsgespräche nach „transparenten Regeln“ erfolgen, damit „klischeehafte“ und diskriminierende Bewertungen der Gutachter möglichst verhindert werden. (AFP)
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