Wie ein Filmregisseur zum Spielball der russischen Regierung wurde
Seit 1500 Tagen sitzt der Regisseur und Kreml-Gegner Oleg Senzow in Haft. Das Ende der Fußball-Weltmeisterschaft in seinem Land wird er wohl nicht erleben.
Eigentlich lief für Oleg Senzow alles gut. Mit zwei Uni-Abschlüssen in der Tasche, in Wirtschaftswissenschaften und Filmregie, machte er sich spätestens 2012 einen Namen in der Kino-Welt. Auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam debütierte der Regisseur mit dem Streifen „Gamer“, einer Geschichte über einen videospielsüchtigen Jungen. Doch ein Jahr darauf schlug er all das in den Wind. Er kehrte in seine Heimat, die Ukraine, zurück und stellte sich Russland in den Weg. Das kostete ihn seine Freiheit. Und nun vielleicht auch sein Leben. Seit mehr als einem Monat befindet er sich im Hungerstreik, das Ende der Fußball-WM in Russland wird er womöglich nicht mehr miterleben.
20 Jahre Arbeitslager für Senzow
Im Jahr 2013 hielt den heute 41-Jährigen nichts mehr im Filmgeschäft. Er zog nach Kiew, um sich dort den Maidan-Protesten gegen die Regierung anzuschließen. Danach reiste er auf die Krim, als Russland die Finger nach der Halbinsel ausstreckte – Senzow wurde in der Krim-Stadt Simferopol geboren. Zusammen mit Gleichgesinnten versorgte er Soldaten in ukrainischen Kasernen mit Lebensmitteln, nachdem diese von russischen Spezialeinheiten blockiert worden waren. So geriet er in den Fokus des Geheimdienstes Russlands und wurde am 11. Mai 2014 festgenommen.
Es folgte ein Gerichtsprozess, an dessen Ende Senzow wegen Terrorismus zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. 2016 wurde er nach Labytnangi verlegt, in eine Strafkolonie für Schwerkriminelle am Polarkreis. Jährliche Durchschnittstemperatur: minus sechs Grad.
Seine Verhaftung und Verurteilung lösten weltweit Proteste aus. Die Europäische Filmakademie und Amnesty International verlangen seine Freilassung und bezeichnen ihn als politischen Gefangenen. Zuletzt sprach auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Fall gegenüber Putin an – der daraufhin die Unabhängigkeit seiner russischen Justiz beschwor.
Vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft trat Senzow nun in einen Hungerstreik. Den Zeitpunkt wählte er mit Kalkül, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen – schon Monate zuvor aß er immer weniger, um die Aktion vorzubereiten. Sein Plan ging auf: In mehr als 80 Städten in 25 Ländern zeigten Menschen mit Aktionen ihre Solidarität für den Regisseur.
Seinen Streik will er erst beenden, wenn alle politischen Gefangenen der Ukraine aus russischer Haft entlassen werden. Neben Senzow sind das 60 weitere Personen. Allerdings ist unklar, wie lange er das durchhält. Seiner Schwester Natalia Kaplan zufolge, neben seinem Anwalt seine wichtigste Bezugsperson, musste er inzwischen auf eine Krankenstation verlegt werden. „Aufgeben will er nicht, sterben will er nicht, doch von seinen Bedingungen für das Ende des Hungerstreiks abrücken will er auch nicht“, sagte sie.
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