Wie riskant ist der Pflegemangel für die Patienten?
Neue Zahlen über die wachsende personelle Schieflage an den Kliniken offenbaren beunruhigende Missstände
Der Pflegemangel in Deutschlands Kliniken zeigt sich auch in nüchternen Zahlen: 60 Patienten kommen rechnerisch im Jahresdurchschnitt heute auf eine Pflegekraft. Vor 25 Jahren waren es nur knapp 45. Fast ein Arzt pro zwei Pflegekräfte gibt es in Deutschlands Krankenhäusern. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Zahl der Mediziner um 66 Prozent gestiegen, die Zahl der Pflegekräfte ist dagegen leicht gesunken. Die Verschiebungen in der Pflege gehen aber auch mit anderen Änderungen einher: So dauert ein Klinikaufenthalt heute im Schnitt nur noch 7,3 Tage – seit 1991 hat sich die Verweildauer fast halbiert. Was läuft also schief?
Wie groß ist der Pflegemangel in den Kliniken?
In der Pflege ist der Fachkräftemangel groß. Beispiel Berlin: 47700 Pflege- und Pflegehilfskräfte fehlen laut Senat 2018. Nach Ansicht der Gewerkschaft Verdi haben die Kliniken es versäumt, nötige Stellen zu schaffen. Auch wegen schlechter Bezahlung bewerben sich insgesamt – also in Kranken- und Altenpflege – zu wenige auf offene Stellen.
Wie wirkt sich der Pflegemangel auf Patienten aus?
Oft bekommen sie Stress und Hektik auf Station zu spüren. Etwa wenn sie auf alltägliche Unterstützung bei Angelegenheiten wie Körperpflege oder Toilettengang lange warten müssen. Es kommt auch immer wieder zu Behandlungsproblemen durch zu wenig Personal. Aktuelle anonyme Berichte über tatsächlich passierte Fälle zeigen dies: So wurden in einem Krankenhaus in der Chirurgie nicht sterile Instrumente eingesetzt. Bei einem Baby war in einem anderen Fall ein Beatmungsbeutel falsch zusammengesetzt. Und in einem weiteren Krankenhaus haben die OP-Pflegekräfte erst kurz vor der Operation von der Anästhesiepflege erfahren, dass der Patient eine Latexallergie hat – die bereits vorbereiteten Materialien mussten kurzerhand ausgetauscht werden.
Was kann man gegen die Probleme tun?
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangt von der neuen Bundesregierung eine deutschlandweit verbindliche Personaluntergrenze für Pflegekräfte auf allen Stationen. „Es ist zynisch, dass wir heute ein System haben, in dem Ärzte Geld bringen und Pflege Geld kostet“, sagt Vorstand Eugen Brysch. „Die Pflege fährt auf der letzten Rille.“ Der Linken-Gesundheitsexperte Harald Weinberg sagt: „Die Ursache des Pflegenotstands liegt in der Kommerzialisierung der Krankenhäuser, die seit fast 30 Jahren von allen Bundesregierungen vorangetrieben wird.“ Um Kosten zu senken, werde bei Pflegekräften und den Servicebereichen von Krankenhäusern brutal gespart.
Was hat die Politik bislang gegen die Probleme unternommen?
Eine dieses Jahr von der Großen Koalition beschlossene Reform der Pflegeberufe soll dem Pflegefachkräftemangel entgegenwirken. „Wir brauchen eine attraktive Pflegeausbildung, damit sich genügend Menschen für diesen anspruchsvollen Beruf entscheiden“, sagt der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister und ehemalige Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat zudem Kliniken und Krankenkassen verpflichtet, eine Mindestzahl an Pflegern bereitzustellen, wo es für die Patienten besonders wichtig ist – etwa auf Intensivstationen oder im Nachtdienst. Wenn sich bis Sommer 2018 nichts tut, sollen die Kliniken zu entsprechender Personalausstattung verpflichtet werden.
Welche Rolle wird die Pflege in der neuen Regierung spielen?
Das sich abzeichnende Jamaika-Bündnis wird sich den wachsenden Problemen in der Alten- und Krankenpflege nicht entziehen können. CSU-Chef Horst Seehofer kündigte bereits vor den Gesprächen mit der CDU über Sondierungen mit FDP und Grünen an, vor allem soziale Themen behandeln zu wollen wie Rente, Mieten – und eben die Pflege. Auch FDP und Grüne sehen hier großen Bedarf. Laumann sieht bei der Krankenpflege aber nicht zuletzt die Kliniken in der Pflicht: „Was den Krankenhäusern für die Pflege bezahlt wird, muss auch für die Pflege ausgegeben werden. Das müssen auch die Geschäftsführungen der Kliniken wissen. Sie dürfen nicht auf Kosten der Pflegekräfte sparen.“ Basil Wegener, dpa
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