Wie zeitgemäß ist die Braunkohle noch?
Polizisten räumen den Hambacher Forst von Demonstranten. Der Energiekonzern RWE will dort Bodenschätze abbauen. Experten zweifeln an der Sinnhaftigkeit eines Kahlschlags.
Muss ein veritabler Dom für eine umstrittene Energiepolitik weichen? Ja. Aktivisten hatten sich im Januar dieses Jahres an Baggerschaufeln gekettet, Anwohner legten vor St. Lambertus Blumen und Kränze nieder. Doch am Ende war alles vergebens: Der 1891 eingeweihte Immerather Dom steht nicht mehr. Das katholische Bauwerk mit seinen markanten Zwillingstürmen wurde von Abrissbaggern ausgelöscht – ein Fixpunkt für Generationen in der Region südlich von Gladbach. Seit Donnerstag wird der von Demonstranten besetzte Hambacher Forst geräumt.
Doch Experten zweifeln die Sinnhaftigkeit dieses Kahlschlags an. So wie Expertin Claudia Kemfert: Die Leiterin der Abteilung Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist sich sicher, dass „der Hambacher Forst nicht in vollem Umfang gefällt werden muss. Deutschland habe zu spät damit begonnen, die selbst gesetzten Klimaziele 2020 zu erreichen. Jetzt zeige sich in Nordrhein-Westfalen, dass die „Verschleppung der groß angekündigten Energiewende für alle teuer“ werde, sagte Kemfert unserer Zeitung. Bei allen Diskussionen um Klimaziele und Energiepolitik wird oft vergessen, dass Deutschland vor China und Russland das Land mit dem größten Braunkohleabbau auf der Welt ist.
Braunkohlegegner im Hambacher Forst kämpfen um den Erhalt des Waldes
Um die letzte Chance auf einen Erhalt des Waldes und der Kulturlandschaft kämpfen noch immer viele Menschen. Die einen sprechen anerkennend von Idealisten, andere halten die Protestler für Linksradikale. Mit einem massiven Polizeiaufgebot haben die Behörden damit begonnen, die Baumhäuser der Umweltaktivisten zu räumen.
Für die Braunkohlegegner ist das eine Zäsur. Denn die in den vergangenen Jahren errichteten Baumhäuser sind längst ein Symbol des Widerstands geworden. Aktivisten kündigten als Reaktion auf den Polizeieinsatz „zivilen Ungehorsam“ und eine „bundesweite Massenmobilisierung“ an. Die Polizei stellt sich auf einen tagelangen und schwierigen Einsatz ein. Nach und nach müssen die Kräfte des „Höheninterventionsteam“ – so heißt die Truppe tatsächlich – die rund 50 bis 60 Baumhäuser räumen und abbauen. Der Energiekonzern RWE will noch im Herbst mehr als die Hälfte des noch verbliebenen Waldstücks zwischen Köln und Aachen roden, um weiter Braunkohle baggern zu können.
Aktivisten besetzen Baumhäuser im Hambacher Forst
Dagegen gibt es seit langem Proteste. Aktivisten haben in bis zu 25 Metern Höhe rund 50 bis 60 Baumhäuser errichtet und halten den Wald damit seit sechs Jahren besetzt. Begründet wurde die Räumung allerdings nicht mit dem geplanten Braunkohleabbau. Vielmehr argumentiert das NRW-Bauministerium unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Für die Polizei ist es einer der größten Einsätze in der jüngeren NRW-Geschichte. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt. Auch Wasserwerfer und schweres Räumgerät wurden zum Hambacher Forst gebracht.
Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Ein RWE-Sprecher betonte, der Konzern sei nicht „unmittelbarer Veranlasser“ des Einsatzes. „Die Rodungsarbeiten auf unserem widerrechtlich besetzten Grundstück sollen wie geplant erst im Oktober beginnen.“ Mitarbeiter der zuständigen Stadt Kerpen informierten die Baumbesetzer per Lautsprecher über den Räumungsbeschluss und forderten sie auf, die Baumhäuser innerhalb von 30 Minuten freiwillig zu verlassen. Dann begannen Polizisten die Räumung.
Abholzung im Hambacher Forst ist für RWE unvermeidbar
In Bayern oder Baden-Württemberg fällt der Blick auf den umstrittenen Energieträger naturgemäß reserviert aus. Kein Wunder, im Süden Deutschlands kommt der Bodenschatz fast nirgendwo in abbaubarer Konzentration vor. Doch ein Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass der Aufstieg des Landes zu einer der dynamischsten Industrienationen weltweit ohne Braun- und Steinkohle nicht denkbar gewesen wäre. Viele Generationen von Bergleuten – viele davon aus Polen – haben das „braune Gold“ im Schweiße ihres Angesichts aus dem Boden geholt.
Das ist der Stoff, aus dem Stolz und Heimatverbundenheit auf die industrielle Tradition erwachsen sind. Und das war der Stoff, ohne den Deutschland den Sprung an die Spitze der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert kaum geschafft hätte. Das Thema eignet sich für Nostalgie, ist aber nach wie vor aktuell. Deutschland ist bis heute der größte Braunkohleförderer weltweit. Sinnbild für Effektivität, aber auch Brutalität des Abbaus sind die 220 Meter langen und über 13000 Tonnen schweren Bagger, die sich durch die Landschaft fräsen – ohne Rücksicht auf Dörfer und Wälder. Doch die entscheidende Frage ist, ob es ökonomisch und vor allem ökologisch tatsächlich sinnvoll ist, die größten Landmaschinen der Welt mit ihren gewaltigen Schaufelräder auf die gewachsene Landschaft loszulassen.
Denn zurück bleiben riesige Mondlandschaften, die später einmal aufwendig rekultiviert werden müssen. (mit dpa)
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