Wo sich die koreanischen Feinde Auge in Auge gegenüberstehen
Der Konflikt eskaliert. Die Drohungen zwischen Nordkorea und den USA werden immer wüster. Wie die Menschen in der Krisenregion die Lage sehen.
Es gibt Geschichten im Alltag von Nord- und Südkoreanern, über die könnte man sich totlachen, wäre die Großwetterlage nicht so todernst. In Panmunjom beispielsweise. So nennen die Einheimischen den Ort, der einmal ein Dörfchen war. Heute befindet sich dort eine kleine Sicherheitszone der Vereinten Nationen. Gerade mal gut einen halben Quadratkilometer groß, der einzige Flecken entlang der 250 Kilometer langen Grenze, auf dem sich nord- und südkoreanische Soldaten direkt gegenüberstehen. Auf dem ein jahrzehntelanger Konflikt mitunter absurde Situationen hervorbringt.
In Panmunjom versucht ein kleines Bataillon amerikanischer Soldaten, den Frieden in diesem heiklen Bereich zu sichern. Sechs Militärbaracken aus Fertigteilen, genau über dem Grenzstreifen errichtet, stehen im Ernstfall als Ort für Krisengespräche bereit. Die Amerikaner haben eine der Baracken „Affenhaus“ getauft. Warum? „Manchmal“, hat ein US-Soldat vor einiger Zeit unserem früheren Korrespondenten Bernhard Bartsch erzählt, „schleichen sich die Nordkoreaner dort hinein und reißen dann plötzlich die Vorhänge auf, um uns den Vogel oder den Mittelfinger zu zeigen.“ Deshalb Affenhaus.
Oder diese verrückte Geschichte: Einmal am Tag wird überprüft, ob das Krisentelefon zu den Nordkoreanern intakt ist. In normalen Zeiten hebt die andere Seite den Hörer ab und legt gleich wieder auf, ohne dass ein Wort gesprochen wird. In schlechten lassen die Nordkoreaner es jedoch klingeln – bis sich der Uno-Kommandeur mit einem Übersetzer und einem Megafon an die Grenzlinie stellt und den nordkoreanischen Wachposten zuruft, doch gefälligst ans Telefon zu gehen. „Manchmal geht das tagelang so“, hat der US-Kommandeur John Rhodes damals erzählt. Gemessen am derzeitigen Säbelrasseln müsste das Telefon gerade dauerklingeln.
Auslöser ist Ende Juli der Test einer Interkontinentalrakete, die Nordkorea trotz aller Verbote des UN-Sicherheitsrates und Warnungen aus dem Ausland abfeuert. Die Rakete hat nach Berechnungen von Experten eine theoretische Reichweite von rund 10000 Kilometern und kann Experten zufolge damit das US-Festland erreichen. Als Reaktion verhängt der UN-Sicherheitsrat die bislang schärfsten Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea. Dann geht er los, der verbale Schlagabtausch. So wüst, als stünde ein Krieg unmittelbar bevor.
Nordkorea ätzt gegen die USA. Deren Präsident Donald Trump droht mit „Feuer und Wut, wie es die Welt niemals zuvor gesehen hat“. Nordkoreas Militär droht nur Stunden später mit einem Raketenangriff auf die US-Pazifikinsel Guam, und einer ihrer Generäle tönt, Trump, „dieser Typ“, sei „bar jeder Vernunft“. Postwendend droht US-Verteidigungsminister James Mattis Nordkorea mit einer „Vernichtung seines Volkes“. Dann konkretisiert Nordkorea seine Guam-Pläne. Jetzt kontert der Generalstabschef der südkoreanischen Streitkräfte, das kommunistische Nachbarland werde „die harte und resolute Vergeltung der Alliierten“ zu spüren bekommen, sollten die Provokationen nicht aufhören.
Wer sollte bei einem derart aggressiv geführten Pingpong-Spiel darauf hoffen, dass irgendjemand in der Sicherheitszone von Panmunjom in nächster Zeit ans Telefon geht?
In Südkorea müssen die Menschen in Panik sein - oder nicht?
Es ist schon schlimm genug, dass das kommunistische Regime von Diktator Kim Jong Un die USA mit Langstreckenraketen bedroht. Oder die Einwohner und Soldaten des Militärstützpunktes auf Guam. Wie müssen sich da erst die Menschen in Südkoreas Hauptstadt Seoul fühlen, die gerade einmal 55 Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt wohnen?
Man darf eines nicht vergessen: Zwar liegt der Korea-Krieg, der zwischen 1950 und 1953 schätzungsweise mehr als 3,2 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, schon gut 60 Jahre zurück. Aber diese Jahre sind geprägt von ständigen Drohungen und Eskalationen, einen Friedensvertrag zwischen den verfeindeten Ländern gibt es bis heute nicht. Und jetzt das.
Doch was sagt die 23-jährige Studentin Lee Ji Yoon, die derzeit im Stadtzentrum von Seoul ein Praktikum absolviert? „Die meisten Koreaner sind gerade viel mehr besorgt wegen der Sommerhitze.“ Ständig über 30 Grad, nachts kaum weniger als 23, das schlaucht. Ja, aber die Kriegsgefahr? „Nordkorea versucht doch seit Ewigkeiten, die Welt zu bedrohen. Die meisten von uns denken, dass das schon wieder vorbeigehen wird“, glaubt die Studentin. Jetzt gegen Mittag strömen im Geschäftsviertel rund um den Rathausplatz die Angestellten in die Restaurants, ältere Frauen verteilen Werbeflugblätter in den Fußgängerzonen und Touristen flanieren entlang des Cheonggyecheon-Bachs – alles wie immer. Sind die Menschen dort wirklich so gelassen?
Für Lars-André Richter, den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, ist die öffentliche Meinung nur bedingt ein Indikator für den Ernst der Lage. „In der Gelassenheit der Leute steckt immer auch ein wenig Fatalismus“, sagt er. In seinen bisher fünf Jahren im Land habe er zwar schon einige Nordkorea-Krisen erlebt. So angespannt wie jetzt sei die Lage aber noch nie gewesen: „Das liegt nicht nur an Trump, sondern vor allem an den Fortschritten der nordkoreanischen Atom- und Raketenpolitik.“
Bislang hat die deutsche Botschaft keine Reisewarnung für Südkorea herausgegeben oder interne Sicherheitsmeetings einberufen. Hinter vorgehaltener Hand lässt sich jedoch in diplomatischen Kreisen eine gewisse Angespanntheit feststellen. Während eines am Donnerstag einberufenen Dringlichkeitstreffens des nationalen Sicherheitsrates in Seoul wird Nordkorea dazu aufgefordert, sämtliche Provokationen einzustellen. Die Möglichkeit zum Dialog bleibe jedoch weiterhin offen, heißt es nach Angaben von Präsidentensprecher Park Soo Hyun.
Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung glaubt jedenfalls, dass Nordkorea vor allem Aufmerksamkeit erreichen möchte, die das Land auch für innenpolitische Zwecke ummünzt. „Kim Jong Un und seine Entourage wollen der Welt zeigen, dass es sie gibt“, sagt Richter. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Land ins offene Messer stürzen will.“
Diktator Kim hat nun das ultimative Machtmittel
Kim hat zwar mit seinen neu entwickelten Atomwaffen gerade Oberwasser, doch eine Reihe seiner Ziele rückt zugleich in die Ferne. Eigentlich wollte er die Leistung der eigenen Wirtschaft steigern und den Lebensstandard der Bevölkerung erhöhen. Jetzt, wo der langjährige Verbündete China tatsächlich den Handel zurückfährt, dürfte davon wenig übrig bleiben. Kim hat in der Kombination aus Bombe und Rakete zwar das ultimative Machtmittel. Doch er bleibt Diktator eines immer ärmeren Landes.
Und die Nordkoreaner sind so ahnungslos wie eh und je. West-Fernsehen oder ähnliche Informationswege gibt es nicht, dafür pausenlos Aufmärsche, patriotische Lieder und immer die gleiche Botschaft vom gottgleichen Kim, dem überlebensgroßen Beschützer.
Auf der anderen Seite war es schon seinem Vater Kim Jong Il gleichgültig, dass sein Land kaum Handel treiben konnte, wenn er nur Nuklearwaffen in die Hände bekam. Er wiederum hatte noch Hemmungen, wollte die Weltgemeinschaft nicht vollends gegen sich aufbringen und lieber Öllieferungen abstauben. Der jüngere Kim kennt dagegen keine Skrupel. Für ihn hatte es absolute Priorität, die Bombe zu haben – und nutzen zu können.
Auf der gut 3000 Kilometer entfernten Insel Guam muss man mit dem neuen Szenario erst einmal zurechtkommen. Zwar hat Eddie Baza Calvo, der Gouverneur des US-Gebiets mit seinen etwa 160000 Bewohnern, gerade in einer Videobotschaft eine akute Bedrohung ausgeschlossen. Zugleich versichert er, die Insel sei „auf alle Eventualitäten vorbereitet“. Die Menschen auf Guam sind Drohungen aus Nordkorea gewohnt. Und doch: „Das ist schon ziemlich verrückt“, sagt Inselbewohner Victor Bilon. „Ich sehe mir die Leute hier an, die so tun, als sei es kein Problem. Aber ich denke, es ist ein wirklich großes Problem für uns. Ich denke, ich sollte nach Hause gehen und mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen.“
Andere Bewohner versuchen tatsächlich betont gelassen mit den Angriffsdrohungen umzugehen. „Wenn es passiert, dann passiert es eben. Lasst uns einfach beten und das Beste aus dem machen, was wir jetzt haben“, sagt Louie Joyce. Natürlich sei die Lage beängstigend. „Aber was können wir tun?“, fragt sie. „Wir leben auf einer kleinen Insel. Sollte es zu einem Angriff kommen, kann man sich nirgends verstecken.“ Ähnlich sieht das auch Paul Mills. „Ich lebe mein Leben momentan normal weiter. Ich denke, wenn es eine reale Bedrohung gibt, werden wir es merken.“
Die Experten zerbrechen sich die Köpfe
Während sich weltweit Experten die Köpfe darüber zerbrechen, wie groß die Kriegsgefahr in der Region tatsächlich ist, kommt gestern aus Kanada eine Meldung, die zumindest ein Körnchen Hoffnung enthält. Premierminister Justin Trudeau bestätigt, dass Nordkoreas Regime den inhaftierten kanadischen Pastor Hyeon Soo Lim freigelassen hat. Der 62-jährige gesundheitlich angeschlagene Geistliche – geboren in Südkorea – war vor zwei Jahren zu lebenslanger Haft in einem Arbeitslager verurteilt worden. Ihm war ein Umsturzversuch gegen die Regierung in Pjöngjang vorgeworfen worden.
Ob Taktik vonseiten Kims dahintersteckt? Hängt die Freilassung mit dem Tod des US-Studenten Otto Warmbier zusammen, der 17 Monate in nordkoreanischer Haft saß, ins Koma fiel, dann freigelassen wurde und eine Woche später in den USA starb? Oder könnte es gar eine „Botschaft des guten Willens in Zeiten großer Spannungen“ sein, wie Steven Denney vom asiatischen Institut der Munk School of Global Affairs in Toronto mutmaßt?
Was immer es ist: Das Körnchen Hoffnung dürfte wohl zu klein sein, damit in absehbarer Zeit in der Sicherheitszone von Panmunjom endlich jemand den Telefonhörer abnimmt. (mit dpa und AFP)
Die wichtigsten Infos zu Donald Trump finden Sie in unserem News-Blog.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Umfrageinstitut Civey zusammen. Was es mit den Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .
Die Diskussion ist geschlossen.