Als die schweren Kampfhubschrauber über den Kathedralenplatz donnern, applaudieren die Vilniusaner. Sie haben auch kurz zuvor applaudiert, als eine Militärkapelle die deutsche Nationalhymne mit Pauken und Trompeten gespielt hat. Und sie haben dem deutschen Kanzler Friedrich Merz applaudiert, als dieser auf den Platz schreitet, um den feierlichen Appell der Bundeswehr abzunehmen. Wann hat ein deutscher Kanzler daheim von normalen Bürgern zuletzt Beifall bekommen?
5000 Soldaten wird Deutschland dauerhaft in Litauen abstellen. 400 sind schon da und bilden den Stab zur Vorbereitung. Weitere 1000 stehen bereits im Baltikum, allerdings noch unter dem Kommando der Nato-Kampftruppe, um das Gebiet zu sichern, das seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Ostflanke heißt. In zweieinhalb Jahren soll die Sollstärke durch nachrückende Einheiten aus Deutschland erreicht sein. Die Litauer haben keine guten Erfahrungen mit deutschen Stiefeln gemacht. Im Zweiten Weltkrieg hielt die Wehrmacht das Land besetzt, ehe die Deutschen von der Roten Armee vertrieben wurden. Doch aus den Befreiern wurden Besatzer, Litauen geriet wie die baltischen Nachbarn Lettland und Estland unter sowjetische Herrschaft.
Litauen nimmt deutsche Soldaten mit Begeisterung auf
Während die Litauer die Nachfahren der späteren Besatzer fürchten, können sich die Nachfahren der früheren Okkupanten vor Zuneigung kaum retten. Litauen liebt Deutschland, steht vorne auf der Anzeigetafel der Stadtbusse. Ein Herz steht dabei für die Liebe. Die Soldaten aus Deutschland berichten mit leuchtenden Augen, dass sich die Leute auf der Straße bei ihnen bedanken. Auf Deutsch. Sie erzählen, dass sie selbstverständlich in Uniform unterwegs sind. Niemand schaut schräg, spuckt aus oder wirft ihnen vor, Mörder zu sein. „Liebe deutsche Soldaten, mit offenem Herzen und aufrichtiger Dankbarkeit wende ich mich an Sie“, sagt der litauische Präsident Gitanas Nauseda in seiner Ansprache während des Militärappels. Er spricht die Worte auf Deutsch.
Um den zentralen Platz der Hauptstadt herum haben Bundeswehr und andere Nato-Armeen schweres Kriegsgerät aufgefahren. Waffenschau. Haubitzen, Schützenpanzer, Kampfpanzer, Pionierpanzer und Spähfahrzeuge stehen auf der breiten Straße. Grundschulklassen hüpfen dazwischen, schwenken deutsche und litauische Fähnchen. Eine Mutter hebt ihren kleinen Sohn auf den grünen Stahl einer Panzerhaubitze 2000. Mit ihrem Handy hält sie den Moment fest.

Auch ein deutsches Rentnerpaar aus Heidelberg schaut sich das Kriegsgerät an. „Die Oma auf dem Panzer“, platzt es aus ihrem Mann heraus, als sie auf die Haubitze klettert. „Das glaubt uns kein Mensch. Wir kommen ja aus der Friedensbewegung“, sagt er über sich selbst verwundert. Sie sind mit ihrem Freundeskreis nach Litauen gekommen. Bei der Buchung der Reise wussten sich nichts von der Aufstellung der deutsch-litauischen Brigade. Ein Teil der Gruppe hatte keine Lust auf das Militär, doch die beiden wollten sich den Appell nicht entgehen lassen. „Europa muss doch jetzt zeigen, dass wir die Freiheit gemeinsam verteidigen.“
Bundeswehr in Litauen: Der Krieg in der Ukraine ist nicht so weit weg
In der Haubitze sitzt einer, der genau das tut. Der Hauptgefreite aus Norddeutschland – sehr blond, sehr groß – war bei Übungen nicht weiter als 50 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt. Er erzählt, dass die Kameraden manchmal nachdenklich werden, wie schnell aus Manövern in Litauen tödlicher Ernst werden könnte. Meistens verdrängen sie es, aber ab und an dringt es durch. Auch der dickste Stahl kann zerrissen werden. Russland und die Ukraine haben im Kriege tausende gepanzerte Fahrzeuge eingebüßt. Die Verluste an Verwundeten und Gefallenen gehen in die Hunderttausende. Die Kaserne, die die Mehrzahl der Bundeswehrsoldaten aufnehmen soll, steht nur 30 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt. Weißrussland gehört fest zum Machtbereich Wladimir Putins.

Vor einem Schützenpanzer steht Hauptfeldwebel Patrick M. Er sieht aus, wie man sich einen Soldaten vorstellt. Breite Statur und sportlich, das Gesicht braungebrannt. Die Haare unter dem Barett sind kurzgeschoren. Seit 20 Jahren ist er beim Bund und wahrscheinlich wird er bald in Litauen bei der neuen Brigade Dienst tun. Sein Panzergrenadierbataillon aus Oberviechtach in Bayern wird fester Bestandteil des Großverbandes. „Die Leute hier sind echt dankbar, dass wir hier sind“, erzählt auch er. Daheim in der Kaserne sei die Stimmung aber so halb-halb. Ein Teil der Kameraden wolle unbedingt an die Ostflanke, wo es keine Ausrüstungsmängel und modernde Stuben geben soll. Mehr Sold wird auch gezahlt. Die Truppe verlegt ihr bestes Material dorthin, die Soldaten werden in einer neuen Kaserne untergebracht, die Litauen gerade errichtet. Ein anderer Teil will nicht weg aus Deutschland, sei es aus Furcht oder weil sie Familie mit Kindern haben.
Bisher läuft die Rekrutierung aber gut. Auf die 500 Stellen im Stab, die die Brigade gerade aufstellt, gab es laut Bundeswehr 1800 Bewerber. Freiwilligkeit soll das überragende Prinzip bleiben, aber wenn eingespielte Kampfeinheiten beordert werden, müssen die Soldaten auch mit einem Marschbefehl rechnen. Ihre Familien sollen sie mitbringen können. Kindergärten und Schulen werden gebaut.
Diejenigen, die heute schon der Brigade dienen, haben sich Wohnungen in Vilnius genommen. Die Kinder können in den Kindergarten oder Schule gehen. „Das war kein Problem und die Mieten sind echt erschwinglich“, sagt eine Soldatenfrau. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn an den Kathedralenplatz gekommen.
Der Mann, der sich die Brigade ausgedacht und gegen Widerstände durchgesetzt hat, ist auch zur Aufstellung gekommen. „Wir sind stolz, ich bin stolz, dass wir Seite an Seite stehen“, ruft Verteidigungsminister Boris Pistorius den Männern und Frauen zu, die vor ihm Aufstellung genommen haben. „Lassen Sie mich sagen, dass Deutschland Litauen liebt.“ Die Liebe zu den deutschen Soldaten ist in beiden Ländern noch recht verschieden ausgeprägt.
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