Die gezielte Erzeugung von Ungewissheit kann eine schmerzhafte Strategie sein. Dies erfährt gerade die Ukraine. Erst stoppte Washington die Waffenlieferungen für das Land, dann wurde die Weitergabe von Geheimdienstinformationen ausgesetzt. Gleichzeitig machte US-Präsident Donald Trump Kiew immer wieder Hoffnungen, dass die Daten – bei Wohlverhalten – wieder zugänglich gemacht werden könnten. Am Dienstagabend dann die Nachricht: Militärhilfen und Informationen sollen nun doch wieder fließen. „Ohne diese Quelle ist die Ukraine militärisch nahezu blind. Die gesamten Angriffe der Ukraine mit Raketen oder Drohnen, die gezielten Schläge gegen bestimmte Generäle der Russen – all dies ist nur möglich, weil sie von den Amerikanern die Informationen bekommen“, sagte der Experte für Terrorismus und Sicherheitspolitik Peter Neumann unserer Redaktion.
Nicht nur unter Fachleuten, auch unter deutschen Politikern wächst die Sorge, dass Washington den Zugang zu Geheimdienstinformationen in Zukunft auch gegen EU-Mitglieder und insbesondere Deutschland als Erpressungspotenzial einsetzen könnte. CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter fasste das Misstrauen in der Süddeutschen Zeitung prägnant zusammen: „Für unsere eigene Kooperation muss klar sein, dass auf die USA kein Verlass mehr ist.“
Peter Neumann: Abwehr russischer Desinformation hat für USA keine hohe Priorität mehr
Neumann, der am renommierten Kings College in London lehrt, sieht die Lage differenzierter: „Was den Bereich Terrorabwehr betrifft, glaube ich derzeit nicht, dass Washington uns von Informationen abschneidet. Wenn es aber um die Abwehr der Desinformationsaktivitäten Russlands geht, sehe ich Anzeichen dafür, dass dieses Thema keine hohe Priorität mehr für die Regierung Trump hat.“

Die Abhängigkeit von der Quelle US-Geheimdienste hält Neumann für extrem groß. „Ungefähr 80 bis 90 Prozent der verhinderten Terroranschläge in Deutschland – und solche Fälle gibt es fast alle zwei Wochen – wurden durch Informationen aus dem Ausland vereitelt. In den allermeisten Fällen kommen die Informationen von US-Diensten.“ Die Bedrohungslage habe sich seit dem Massaker an israelischen Zivilisten vom 7. Oktober 2023 deutlich verschärft. Dies lasse sich empirisch belegen. Neumann: „Die Anzahl der versuchten und durchgeführten islamistischen Anschläge ist ungefähr um das Vierfache nach oben gegangen. Und wir haben eigentlich bisher Glück gehabt, dass nicht noch mehr passiert ist.“ Auch ein mutmaßlich im Dezember 2024 in Augsburg geplanter Anschlag soll durch eine Warnung aus den USA verhindert worden sein.
Nach dem 11. September 2001 rüsteten die USA ihre Geheimdienste auf
Die USA haben ihre Nachrichtendienste als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 systematisch aufgerüstet - allen voran ihren größten Auslandsgeheimdienst, die NSA, die über ein weltumspannendes Spionagenetzwerk verfügt. „Ihre Funkaufklärung kann im Prinzip überall Informationen absaugen. Die gesamte Welt ist abgedeckt von Satelliten der NSA. Die Amerikaner haben das entsprechende Personal und die Technologie. An diese Kapazität kommen europäische Geheimdienste nicht ansatzweise heran“, sagte Neumann und fügte hinzu: „Deutschland hängt am Tropf der Amerikaner.“
Daran, dass dies ein ungesundes Verhältnis in der Beziehung zu einer traditionellen Schutzmacht ist, die an dieser Rolle kein Interesse mehr zu haben scheint, lässt Neumann keinen Zweifel. Es störe ihn schon lange, dass bei der ersten Zeitenwende 2022 in Deutschland und auch jetzt nur von Geld für das Militär die Rede sei. Aber wer Sicherheit etwas komplexer denke, der verstehe, dass auch in die Nachrichtendienste weit mehr investiert werden müsse, um die Sicherheit unseres Landes sicherzustellen.
Experte Gerhard Conrad: Die Folgen von 30 Jahren Realitätsverweigerung in Deutschland
„Jetzt sehen wir, was passiert, wenn man über 30 Jahre hinweg in Realitätsverweigerung geopolitischer Sachverhalte gelebt hat“, so die schonungslose Bilanz des früheren Top-Mitarbeiters des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND, Gerhard Conrad, in einem Interview mit unserer Redaktion. Neumann plädiert für „eine Reform an allen Fronten“. Der Bundesnachrichtendienst brauche dringend gut ausgebildetes Personal, eine weit bessere technische Ausstattung, aber auch endlich mehr Befugnisse.
„Wenn ich in Großbritannien mit Leuten vom Geheimdienst MI6 spreche, dann sagen die zwar, dass die Leute vom BND schon ganz gut seien. Gleichzeitig heißt es dann aber: ‚Die deutschen Kollegen tun uns leid, die dürfen ja fast nichts’.“ Dies sei ein Grund dafür, dass die Deutschen bei vielen internationalen Operationen gar nicht dabei seien. „Sie sind oft eine Bürde, weil die an vielen Punkten erst checken müssen, ob sie dazu überhaupt befugt sind.“ Die britischen Geheimdienste würden ihre Mitarbeiter an den besten Universitäten rekrutieren. „Junge Leute verzichten auf sehr viel Geld in der Privatwirtschaft, um einen der attraktiven und prestigeträchtigen Posten beim MI6 anzutreten. In Deutschland spricht man von Schlapphüten, da macht man sich lustig.“
Oh wie so wahr. Viel können aber nichts dürfen! Genau hier liegt doch das Problem der Deutschen. So kann und wird ein Geheimdienst nicht effektiv und effizient arbeiten können.
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