
Schon wieder überschattet der Asyl-Streit einen EU-Gipfel


Das Treffen in Brüssel wird geprägt von den Ereignissen in Russland. Die Staaten betonen ihre Geschlossenheit. Doch bei der Asylreform haben Ungarn und Polen Widerstand angekündigt.
Dieser Gipfel wäre vor einer Woche zweifelsohne anders verlaufen. China, Ukraine, Migration, wirtschaftliche Sicherheit, europäische Wettbewerbsfähigkeit – eigentlich hatten die EU-Unterhändler die Tagesordnung der 27 Staats- und Regierungschefs für das zweitägige Spitzentreffen in Brüssel bereits vollgepackt. Doch die Kurzrevolte der Wagner-Truppen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wirbelte den Plan völlig durcheinander. Wie könnte sich der Aufstand auf den Krieg in der Ukraine und die Stabilität Russlands auswirken? Und wie soll die EU damit umgehen?
Scholz: "Unverantwortlich, militärische Gewalt in Privathände zu geben"
Während die Reaktionen am vergangenen Wochenende von Zurückhaltung geprägt waren, wagten sich Politiker nun an Deutungen. Es zeige sich einmal mehr, so sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, „dass es einfach unverantwortlich ist, militärische Gewalt in Privathände zu geben“. Das sei bedrohlich. Gleichzeitig stellte der SPD-Mann klar: „Unser Ziel ist nicht ein Regierungswechsel, ein regime change in Russland.“ Man verfolge vielmehr das Ziel einer unabhängigen Ukraine.
Die Staats- und Regierungschefs wollten vor dem Hintergrund der Krise abermals ein Zeichen der Geschlossenheit aussenden. Wer schon hätte vor eineinhalb Jahren erwartet, dass sich Putin gegen eine Revolte wehren muss und der Westen in trauter Einigkeit seine Unterstützung für die Ukraine bekräftigt? Sinnbildlich dafür stand das gemeinsame Arbeitsessen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Später war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video zugeschaltet. Sie sprachen über die weitere militärische und finanzielle Unterstützung. Der Krieg könne noch lange dauern, sagte Scholz. Es sei deshalb wichtig, dass sich die Staats- und Regierungschefs „unterhaken und sagen, wir sind bereit, das auch lange durchzuhalten“.
Ungarn will keine Flüchtlinge aufnehmen
Aber die EU wäre nicht die EU, würde eine solche Zusammenkunft nicht doch von Auseinandersetzungen überschattet. Vor wenigen Wochen erst hatten die Innenminister zwar das fast Unmögliche geschafft und sich auf einen Kompromiss geeinigt, der den Umgang und die Umsiedlung von Migranten in der EU neu regeln soll. Scholz sprach von einem „großen Durchbruch“. Aber die Vergangenheit ist bekanntlich eine andere Welt. Was Mitte Juni als „historisch“ gepriesen wurde, sorgte nun für Theater. Denn der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban betonte, dass sich sein Land nicht an der geplanten Verteilung von Geflüchteten in der EU beteiligen und auch keine Ausgleichszahlungen leisten werde.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte ebenfalls eine klare Haltung: „Nie“, sagte er gleich mehrmals auf Polnisch. Man habe bereits eine Volksabstimmung vorgeschlagen, sodass die Menschen darüber entscheiden könnten, „ob sie in sicheren Städten und Dörfern leben wollen, so wie das in Polen ist, oder ob sie dem Druck der EU-Kommission nachgeben wollen, die unsere Lebensweise völlig verändern will“, sagte Morawiecki. Der Solidaritätsmechanismus verlange „allen etwas ab“, befand dagegen Scholz, und die Worte dürften an seine Kollegen aus Budapest und Warschau gerichtet gewesen sein. Die Geschichte der letzten zehn, zwanzig Jahre habe gezeigt, so Scholz, „dass jeder Staat, der glaubt, das sei ein Problem der anderen, irgendwann erlebt, dass es auch das eigene werden kann“.
Tunesien: Deutschland will, dass Finanzhilfen an Reformen geknüpft sind
Die Herausforderung des irregulären Zuzugs treibt jedoch nicht nur die Chef-Störenfriede der Gemeinschaft um. Denn einigen Mitgliedstaaten gehen die geplanten Änderungen des Asylrechts keineswegs weit genug. So fordern Dänemark, Bulgarien oder die Niederlande EU-Gelder für den Bau von Grenzzäunen. Was das Thema „physische Infrastruktur“ für jene Länder darstellt, ist für Italien und Österreich das Thema Partnerschaftsabkommen mit Drittstaaten. Asylbewerber sollen außerhalb der Gemeinschaft warten, bis über ihre Anträge entschieden ist. Im Fokus steht Tunesien, das als wichtiges Herkunfts- wie auch als Transitland für illegale Migration über das Mittelmeer gilt. Die Gespräche zwischen den beiden Seiten laufen.
Doch allen voran Deutschland bremst und verlangt, dass geplante Finanzhilfen für den zunehmend autokratisch herrschenden Präsidenten Kais Saied an strikte Reformen geknüpft sind. Das sorgt in Italien für Ärger. Im Entwurf der Gipfelerklärung versuchte man sich in typischer EU-Manier an einer Formulierung des kleinsten gemeinsamen Nenners: Man begrüße „die Arbeiten an einem für beide Seiten vorteilhaften umfassenden Partnerschaftspaket mit Tunesien, das auf den Säulen wirtschaftliche Entwicklung, Investitionen und Handel, umweltfreundliche grüne Energiewende, Migration und zwischenmenschliche Kontakte aufbaut“, heißt es da.
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