Der Bundestagswahlkampf geht auf die Zielgerade und das Interesse der Deutschen an der politischen Auseinandersetzung ist so groß wie lange nicht. 87 Prozent der von der „Forschungsgruppe Wahlen“ Befragten, und damit deutlich mehr als in dem vergleichbaren Zeitfenster vor der letzten Bundestagswahl (September 2021: 76 Prozent), interessieren sich nach eigenen Angaben stark oder sogar sehr stark für die anstehende Wahl. Nur 12 Prozent haben weniger oder gar kein Interesse daran. „Die extrem hohe Unzufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung hat naturgemäß eine Mobilisierung der Anhänger der Nicht-Ampelparteien hervorgerufen“, sagt Matthias Jung, Chef der Mannheimer „Forschungsgruppe Wahlen“. Und auch die vergangenen Wochen hätten noch einmal merklich dafür gesorgt, dass das politische Interesse gewachsen ist. Besonders der Streit über die gemeinsame Abstimmung zwischen Union und AfD, die CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bewusst in Kauf genommen hatte, hat viele Menschen bewegt. „Die veränderte Strategie der Union und ihres Kanzlerkandidaten beim Abstimmungsverhalten im Bundestag hat die Anhänger des linken Spektrums mobilisiert und zu einer großen Polarisierung in der Wählerschaft insgesamt geführt“, sagt der Wahlforscher.
Für diese Rückkehr des Politischen in die Gesellschaft und das aufgewühlte linke Lager spricht auch die hohe Zahl an Neueintritten in die Parteien. Zum Jahreswechsel 2024 hatten die Grünen 155.296 Mitglieder, inzwischen sind es 168.817. Die Linke meldet erstmals seit 2010 über 70.000 Mitglieder. Von einer Eintrittswelle berichtet allerdings auch die AfD – die Partei ist so stark wie noch keine rechtsradikale Gruppierung in der Geschichte der Bundesrepublik. „Man nicht vergessen, dass auch Politikverdrossenheit nicht bedeutet, dass man nicht zur Wahl gehen will, sondern man kann auch das Angebot einer Protestpartei nutzen“, sagt Jung.
Wahl-O-Mat verzeichnet vor der Bundestagswahl 2025 einen Nutzerrekord
Einen Rekord stellt zudem die Online-Entscheidungshilfe Wahl-O-Mat auf. Das interaktive Angebot hat fünf Tage vor der Bundestagswahl mit mehr als 21,5 Millionen Nutzungen die bisherige Bestmarke von 21,3 Millionen Nutzungen von der Bundestagswahl 2021 übertroffen, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) mitteilte. Erfahrungsgemäß werde der Wahl-O-Mat in den letzten Tagen vor der Wahl noch einmal stark nachgefragt. Das Angebot war am 6. Februar gestartet und in den ersten 24 Stunden mehr als neun Millionen Mal genutzt worden. Mit dem Tool können Wählerinnen und Wähler ihre Position mit der aller 29 zur Wahl antretenden Parteien in 38 Thesen vergleichen.

Entscheidend für den Ausgang der Wahl wird sein, welche Partei die Stimmung am stärksten in Stimmen verwandeln kann. „Durch die Polarisierung wirkt sich das praktisch bei allen Parteien positiv aus, so dass sich die Effekte zum großen Teil gegenseitig aufheben“, sagt Jung. An den Mehrheitsverhältnissen ändert sich daher seit Wochen nur wenig. Auffällig ist noch ein anderer Wert in den Umfragen: Nur 28 Prozent der Wahlberechtigten sind noch unentschlossen. „Das ist ein eher niedriger Wert, aber er sollte auch nicht überbewertet werden“, sagt Matthias Jung. „Die meisten Wähler müssen ja ihre Entscheidung erst am Sonntag im Wahllokal treffen. Es ist ja auch nicht so, dass diese überhaupt nicht wissen, wen sie wählen wollen, sondern sie haben zumeist Parteioptionen, die dem gleichen politischen Lager zuzurechnen sind.“
Chancen für Linke, FDP und BSW: Schaffen es die kleinen Parteien in den Bundestag?
Schwieriger dürfte es für die Parteien selbst werden. Die Unwägbarkeiten sind aus Sicht des Meinungsforschers Manfred Güllner sogar so groß wie selten zuvor. „Ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals so unsicher und knapp war, wer überhaupt eine Koalition bilden kann“, sagt der Gründer des Instituts Forsa der dpa. Eine entscheidende Rolle kommt den kleinen Parteien zu. Das Bündnis Sahra Wagenknecht und die FDP erreichen gerade jeweils nur 4 bis 5 Prozent, das heißt, sie wackeln. Etwas besser sieht es für die Linke aus. Ob im Parlament fünf oder mehr Parteien sitzen, macht für Sitzverteilung und Koalitionsfindung einen erheblichen Unterschied. Womöglich könnte sogar erneut eine Dreierkoalition erforderlich sein. Hinzu kommt: Würden die drei kleinen Parteien knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, könnten im Extremfall fast 15 Prozent der Stimmen nicht im Bundestag repräsentiert sein. Rechnet man die „sonstigen“ dazu, wären vielleicht sogar 20 Prozent der Stimmen verlorene Stimmen.
An der Wahlurne (deshalb Urne) werden die meisten Wahlversprechen beerdigt.
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