Die Herzkammern sind so etwas wie der Motor des menschlichen Körpers. Pro Minute pumpen sie fünf bis sechs Liter Blut in den Kreislauf – fast 7200 Liter am Tag. Lassen sie nach, wird es lebensgefährlich. Auch in der Politik spricht man gerne von Herzkammern. Gemeint sind Städte, Wahlkreise oder Bundesländer, in denen eine Partei über Jahre hinweg besonders stark ist. Für die SPD war das lange das Ruhrgebiet. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die erschreckende Diagnose für die Sozialdemokraten nach dieser Bundestagswahl: Ihre Herzkammern pumpen nur noch schwach. In Gelsenkirchen gewann erstmals die AfD.
Peter Tschentscher weiß das natürlich alles. Nicht nur, weil der Mann Mediziner ist. Sondern weil er als Bürgermeister in einer der letzten sozialdemokratischen Herzkammern regiert: in Hamburg. Bei der zurückliegenden Bürgerschaftswahl holte er dort fast 40 Prozent der Stimmen. In keinem Landesparlament ist die SPD aktuell so stark vertreten. „Die Hamburg-Partei“, nennt Tschentscher seine SPD. Andersherum könnte man sagen: Hamburg ist „die SPD-Stadt“.
Peter Tschentscher hat sich Verstärkung geholt, aber nicht von Olaf Scholz
Und am Sonntag wird hier, in der SPD-Stadt, gewählt. Die Sozialdemokraten stürzen den Umfragen zufolge zwar von 39 auf etwa 32 Prozent ab. Belegen damit aber immer noch bequem den ersten Platz – und zwar mit großem Abstand auf CDU und Grüne, die beide auf etwa 17 Prozent kommen. Wie kann das sein? Warum wählt Hamburg so anders als der Bund?
Der Bund – da wäre man eigentlich schon beim ersten Grund. Am Donnerstagabend trifft sich die Hamburger SPD im Uwe, einem kleinen Klub auf der Reeperbahn. Es ist Wahlkampfabschluss. Ein paar der SPD-Kandidatinnen und -Kandidaten sind zusammengekommen, Journalisten sitzen mit Laptops an der Bar, es gibt Live-Musik. Und anders als zuletzt auf der Wahlparty der Bundes-SPD ist das Bier hier kostenlos, zumindest die ersten zwei. Flaschen.
Peter Tschentscher steht auf der Bühne, und er hat sich Verstärkung geholt. Aber nicht bei seinem Ex-Chef Olaf Scholz, für den er als Finanzsenator im Kabinett saß. Sondern von Malu Dreyer, der ehemaligen Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Aus dem Bund ist kein prominenter Vertreter gekommen. Bloß nicht mit der Ampel in Verbindung gebracht werden, das scheint der Plan zu sein.

„Die Bundestagswahl ist gewesen, aber am 2. März geht es um unsere Heimatstadt“, sagt Tschentscher auf der Bühne. Mit Blick auf das vergangene Wochenende spricht er von einem „durchwachsenen Ergebnis“ – und muss dabei selbst kurz lachen. Dann ist das Thema abgehakt. Es soll um Hamburg gehen heute Abend. Ein „Vorzeige-Bundesland“ nennt Malu Dreyer die Hansestadt im Gespräch mit Tschentscher und bekommt dafür Applaus aus dem Publikum. Das kann man natürlich als Wahlkampfprosa abtun, aber ganz falsch liegt Dreyer damit nicht. Das Durchschnittsgehalt ist deutlich höher als in den meisten anderen Bundesländern, die Stadt steht finanziell solide da und auch wenn die Arbeitslosenquote in den Stadtstaaten traditionell hoch ist, finden in Hamburg doch deutlich mehr Menschen eine Anstellung als in Bremen oder Berlin. Das ist wohl der zweite Grund, warum Hamburg anders wählt. „Anders als zuletzt im Bund können die Sozialdemokraten an der Alster auf eine von den Wahlberechtigten immer noch gut bewertete Regierungsarbeit setzen“, sagt Roberto Heinrich, der für Infratest dimap die Wahlen untersucht. „Und mit Peter Tschentscher auf einen populären Regierungschef.“
Wahlen in Hamburg: „Die SPD profitiert von einer seit vielen Jahren schwach aufgestellten Hamburger Union“
Das ist der dritte Grund für den Erfolg der Sozialdemokraten: der Kandidat. Gäbe es eine Direktwahl, würde fast die Hälfte der Hamburgerinnen und Hamburger Peter Tschentscher wählen. In den vergangenen Jahren hat der 59-Jährige geräuschlos mit den Grünen regiert, das scheint anzukommen. Auch Olaf Scholz war mit diesem Stil in seiner Zeit als Bürgermeister beliebt. Das kippte erst, als er den G20-Gipfel nach Hamburg holte. Als Schluss war mit der Geräuschlosigkeit und Hamburg Weltstadt spielen wollte, ging es auch mit seinen Zustimmungswerten bergab.
Und dann sind da noch die Gegner der Sozialdemokraten. „Die SPD profitiert von einer seit vielen Jahren schwach aufgestellten Hamburger Union“, sagt Roberto Heinrich. „Auch aufgrund fehlender personeller Kontinuität an der Parteispitze – bei vier Bürgerschaftswahlen gab es vier verschiedene Spitzenkandidaten – bewegt sich die CDU in Hamburg seit fast eineinhalb Jahrzehnten nicht auf Augenhöhe mit den Sozialdemokraten.“ Tschentscher lässt der Konkurrenz aber auch nicht viel Raum. Seine Sozialdemokraten gelten als wirtschaftsnah und mitteorientiert. „In Hamburg wählt der klassische CDU-Wähler SPD“, sagt Tschentscher selbst dazu. So schafft es die SPD ausgerechnet hier erfolgreich zu sein, in der deutschen Stadt mit den meisten Millionären. Oder anders formuliert: Die Herzkammer der SPD, sie pumpt noch.
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