Es sind zwei Entwicklungen, die in einem deutlichen Spannungsverhältnis zueinanderstehen: Die Zahl der Flüchtlinge wächst weltweit und steuert immer neuen Rekorden entgegen. Zugleich nimmt der Druck auf die Regierungen der Aufnahmeländer zu, den Zuzug massiv zu begrenzen. Die USA haben mit dem Machtwechsel im Weißen Haus eine umfangreiche Abschiebe-Offensive gestartet und setzen sich dafür sogar über Gerichtsentscheidungen hinweg, Österreich erlaubt keinen Familiennachzug für Geflüchtete mehr, Großbritannien verschärft die Zuwanderungsregeln selbst für Fachkräfte. Und Deutschland weist an seinen Außengrenzen auch Menschen ab, die offiziell um Asyl bitten. Doch wirken die Reformen?
Zumindest der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) mahnt mit Blick auf die Bundesregierung, das Tempo nicht zu überreizen. „In den letzten Jahren wurden Gesetze teilweise in schneller Folge geändert. Das stellt für die ohnehin stark belasteten Verwaltungen eine Herausforderung dar, die Umsetzung kann daher mit dem Tempo der Rechtsetzung oft nicht Schritt halten“, sagt der SVR-Vorsitzende Winfried Kluth. „Da Bürgerinnen und Bürger die Reaktionsfähigkeit von Politik aber nicht allein daran bemessen, ob der Bund schnell Gesetze erlässt, sondern ob diese auch wirken, empfehlen wir der Politik, in der neuen Legislaturperiode die gute Umsetzung als Ziel verstärkt in den Blick zu nehmen.“ Wenn frühzeitig die Verwaltung, die die Gesetze umsetzen muss, und die Adressaten beteiligt würden, lasse sich sicherstellen, dass Gesetze und Regelungen die beabsichtigte Wirkung entfalten und keine ungewollten Folgen oder Nebenwirkungen auftreten.
Konflikt zwischen Regierung und Bundespolizei wegen Zurückweisungen
Wie schwierig genau das ist, zeigt sich aktuell an den deutschen Grenzen. Innenminister Alexander Dobrindt musste eine Weisung an die Bundespolizei erlassen, damit die Beamten bei ihren Kontrollen Asylbewerber zurückweisen. Die juristischen Grundlagen dafür sind zumindest wacklig. Bei der Bundespolizei hinterlässt das ein ungutes Bauchgrummeln. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Roßkopf, mahnte: „Wir haben dem Innenministerium klar mitgeteilt: Wenn Gerichte im Nachgang feststellen, dass das Aussetzen der europäischen Regelungen und das Anwenden nationaler Gesetze rechtswidrig ist, dürfen die Bundespolizisten keinesfalls belangt werden.“
„In dynamischen und kontrovers diskutierten Politikfeldern wie der Migrations- und Integrationspolitik steht die Politik unter einem hohen Erwartungsdruck“, sagt Kluth. Doch Schnelligkeit sei nicht alles, Gesetze müssten auch gut umgesetzt werden können, um ihre Wirkung zu entfalten. Ein weiteres Beispiel sei etwa die Einbürgerung von Menschen. Die Ampel-Koalition hatte die Frist zur Einbürgerung von acht Jahren auf fünf Jahre verkürzt und den Doppelpass für Nicht-EU-Bürger generell erlaubt. Allerdings sind die Wartezeiten auf dem Weg zum deutschen Pass weiterhin sehr lang, da die Einbürgerungsbehörden schon vor der Reform vielerorts überlastet waren. Es brauche deshalb, so der SVR, dringend Verbesserungen in der Verwaltung, unter anderem durch eine stärkere Digitalisierung.
Anerkennung von Berufsabschlüssen vereinfachen
Auch bei der Fachkräfteeinwanderung wären durchaus Erleichterungen für die Behörden möglich. Bislang müssen Berufsabschlüsse von Migranten von staatlichen Stellen anerkannt werden. „Diese Aufgabe können Betriebe selbst übernehmen, die etwa durch Kammern zertifiziert worden sind oder sich in der Vergangenheit als seriöse Arbeitgebende erwiesen haben“, sagt Kluth. Das würde die Unternehmen stärken und den Staat entlasten. Die Anerkennung von Berufsabschlüssen hat im Zuge des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes immer größere Bedeutung eingenommen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist der deutsche Arbeitsmarkt auf Zuwanderung angewiesen. Um ein ausreichendes Angebot zur Verfügung zu haben, wären bis 2040 jährlich rund 288.000 internationale Arbeitskräfte erforderlich. Ohne zusätzliche Einwanderer würde die Zahl der Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels von aktuell 46,4 Millionen auf 41,9 Millionen - um rund 10 Prozent - sinken.
Ein Dauerproblem ist aus Sicht der Expertinnen und Experten die Art und Weise, wie Behörden von Bund und Ländern das Ausländerzentralregister (AZR) nutzen beziehungsweise nicht nutzen. So würden Daten, die etwa bei den Ausländerbehörden vor Ort erhoben werden, nicht immer automatisch ins AZR eingespeist, was mehr Arbeit für die Verwaltungsmitarbeiter bedeute, die dies dann manuell tun müssten. Zudem müssten die Ausländerbehörden einen Abruf von Daten aus dem AZR jeweils dokumentieren und begründen – „dies macht die Arbeit mit dem AZR zusätzlich unattraktiv“, schlussfolgern die Autoren des Gutachtens. „Es braucht mehr Mut zur Vereinfachung“, sagt die stellvertretende SVR-Vorsitzende Birgit Glorius. (mit dpa)
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