
Wahlkampf: Die Kanzlerin hat Oberwasser


Anders als vor vier Jahren, als sie ihre Gegner regelrecht einlullte, agiert Angela Merkel im Wahlkampf diesmal etwas offensiver. Die Strategie dahinter ist klar.
Peter Radunski ist eine Institution in der CDU. Von 1976 bis 1990 hat der gebürtige Berliner für sie alle großen Wahlkämpfe organisiert, er hat ein Standardwerk über politische Kommunikation geschrieben und lässt sich auch von Umfragewerten um die 40 Prozent nicht blenden. "Natürlich ist die CDU nervös", sagt der 74-Jährige. Eine Kampagne so auf eine Person zuzuschneiden wie diesmal auf Angela Merkel, birgt ja auch ein gewisses Risiko - nämlich das, die eigene Partei darüber zu vernachlässigen, ihr die Motivation für den Wahlkampf zu nehmen, weil sie sich selbst darin nicht wiederfindet. "Frau Merkel", warnt der alte Haudegen Radunski deshalb, "unterschätzt die Bedeutung der Partei."
100 Tage vor der Wahl: Angela Merkel und die Flut
Richard Hilmer ist eine Institution unter den Demoskopen. Für die ARD gibt der Geschäftsführer des Instituts Infratest Dimap den Menschen auch zwischen den Wahlen eine Stimme, indem er sie regelmäßig nach ihrer politischen Befindlichkeit befragen lässt. Mittlerweile jedoch hat Hilmer das "Ende der Gewissheiten" ausgerufen. 58 Prozent der Niedersachsen, rechnet er vor, seien im Januar mit der Arbeit des damaligen Ministerpräsidenten David McAllister zufrieden gewesen. Verloren hat er sein Amt trotzdem - und einige andere Landesfürsten der CDU zuvor auch.
Deutschland, 100 Tage vor der Wahl. Angela Merkel war am Mittwoch nach ihren Besuchen in Bayern, Sachsen und Thüringen auch noch in Niedersachsen, um sich ein Bild von der Lage in Hitzacker an der Elbe zu machen. Nun empfängt sie die Ministerpräsidenten, um mit ihnen über weitere Hilfen für die Hochwasseropfer zu beraten. Kampagnenkünstler wie Radunski lieben solche Momente, weil sie den Herausforderer zum Zuschauen verdammen, während die Kanzlerin oder der Kanzler handeln kann.

Gerhard Schröder, zum Beispiel, hat auch deshalb vor elf Jahren eine schon verloren geglaubte Wahl noch gedreht - und selbst wenn seine Nachfolgerin nicht in Regenjacke und Gummistiefeln über die Sandsäcke stapft wie er, sondern im Blazer und in robusten Wanderschuhen kommt, hat auch sie gelernt, in Bildern zu denken. Die aus Hitzacker zeigen eine Frau, die sich kümmert, die viel Geld und besseren Schutz verspricht. Ein Helfer nimmt sie dafür sogar dankbar in den Arm.
Angela Merkel ist populär. Das zeigt sich auch in den Umfrageergebnissen
Natürlich ist Angela Merkel in den Krisengebieten in erster Linie als Kanzlerin unterwegs und nicht als Wahlkämpferin. Ganz trennen allerdings lassen sich die beiden Rollen so kurz vor der Wahl auch nicht mehr, zumal die Union nach Radunskis Einschätzung diesmal noch stärker auf die Kanzlerkarte setzen wird: "Merkel, Merkel, Merkel." Seit der legendären Brandt-Kampagne 1972, als die SPD mit der Parole "Willy wählen" auf knapp 46 Prozent der Stimmen kam, sei in Deutschland im Wahlkampf nicht mehr so stark personalisiert worden. Das entscheidende Argument dafür liefern Popularitätstabellen wie die von Richard Hilmer. Hier liegt die Kanzlerin einsam an der Spitze und Peer Steinbrück nur auf Platz elf.
Natürlich weiß Angela Merkel, dass die Wahl im ungünstigsten Fall auch enden kann wie die in Niedersachsen. Anders als vor vier Jahren, als sie versuchte, ihren Gegnern möglichst wenig Reibungsfläche zu bieten und die SPD damit regelrecht einlullte, hat sie sich nun aber für eine etwas offensivere Strategie entschieden. Obwohl der Bund knapp bei Kasse ist, verspricht sie höhere Renten für Mütter, ein höheres Kindergeld und höhere Freibeträge, sie hat sich von der SPD die Forderung nach einer gesetzlichen Bremse für den Anstieg der Mieten abgeschaut und auch sonst keine Skrupel, christdemokratische Gewissheiten wie das Ja zur Wehrpflicht oder zur Kernkraft infrage zu stellen.
Nicht einmal ein gemeinsames Wahlprogramm haben CDU und CSU bisher - es wird erst am 23. Juni beraten und tags darauf beschlossen. Parteiprofi Radunski spottet gar: "Die Frage wird sein: Gibt es ein Programm, oder ist Angela Merkel das Programm der CDU?"

Die Kanzlerin zeigt sich nun menschlicher
Parallel dazu erlebt Deutschland gerade die Vermenschlichung einer bis dahin eher spröden Kanzlerin, die aus ihrem Privatleben lange ein Geheimnis gemacht hat. Zwar erregte sich ein Regierungssprecher im April pflichtschuldig, weil PaparazziAngela Merkel im Urlaub mit ihrem Mann, einem seiner Söhne und dessen Kindern auf Ischia fotografiert hatten. Unter PR-Gesichtspunkten aber waren die Bilder von der Teilzeit-Oma und ihrer fröhlichen Familie ihr Geld wert. Wenig später erfuhr der interessierte Wähler überdies, was sie an Männern attraktiv findet, nämlich schöne Augen, und was sie an dem Film "Die Legende von Paul und Paula" so fasziniert, nämlich "Gefühl, Leidenschaft, Freude." Einen Reporter der Bild-Zeitung, der sie dabei auf ihre angebliche kommunistische Vergangenheit ansprach, buhte das Publikum im Kino aus. Der vom Stern notierte anerkennend: "Über Nacht scheint sie ihre verstockte Uckermarkigkeit abgelegt zu haben."
Wie das alles die Wahl am Ende beeinflusst - das vermag auch der Demoskop Hilmer noch nicht so recht abzuschätzen. Die Zeiten, in denen Kirchgänger Schwarz wählten und Arbeiter Rot, seien vorbei, sagt er. Andererseits hat Angela Merkel aus ihren Möglichkeiten bisher immer das Beste gemacht. Mit Helmut Kohl als Kandidat fuhr die Union 1976 satte 48,6 Prozent ein - und landete in der Opposition. Mit Angela Merkel schaffte sie 2009 nur 35,2 Prozent. Seitdem regiert sie.
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