Cem Özdemir spiele „defensives Mittelfeld, weil man auf dieser Position ein verbindendes Element ist zwischen den Mannschaftsteilen“, urteilte der SPD-Politiker Kevin Kühnert im Tagesspiegel-Interview über seinen ehemaligen Bundestagskollegen von den Grünen. Anlass war das Pokalfinale im Berliner Olympiastadion. Kühnert ist Bielefeld-Fan, Özdemir hält zu den Stuttgartern, letztere gewannen und Özdemir wird’s gefreut haben. Der Grüne ist Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 8. März und er kann jede gute Nachricht gebrauchen. Selbst die von einem Sieg der Fußballer aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt.
Özdemir will in die Fußstapfen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann treten, der nach 15 Jahren Amtszeit aufhört. Jenem Kretschmann, von dem es in Berlin mit Blick auf seinen freundlichen Umgang mit der Autoindustrie im Ländle heißt, er wäre in der CDU eigentlich besser aufgehoben. Die erste Hürde hat der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister bewältigt: Beim Nominierungs-Parteitag in Heidenheim kam er auf stolze 97 Prozent Zustimmung der Delegierten.
Cem Özdemir muss sich am ewigen Winfried Kretschmann messen lassen
Doch die Wahrheit liegt bekanntlich auf dem Platz, und da sieht es im Moment nicht gut aus. Özdemirs Gegner im Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten ist Manuel Hagel und dessen CDU führt in den Umfragen mit zehn Prozentpunkten Vorsprung vor den Grünen.
Der Druck auf Özdemir ist groß. Er muss sich am ewigen Kretschmann messen lassen, es steht die Frage im Raum, ob der Bundespolitiker die Menschen so gut ansprechen kann wie der beliebte Landesvater. Der 59-Jährige entschied sich immerhin früh für Baden-Württemberg und gegen eine mögliche Fortsetzung seiner Karriere im Bund. Nancy Faeser beispielsweise trat als damals amtierende Bundesinnenministerin bei der Landtagswahl in Hessen an. Dass die SPD-Politikerin nur im Falle eines Sieges aus der Bundespolitik ausscheiden wollte, beschädigte ihre Glaubwürdigkeit.
Gleichzeitig kann Özdemir nicht auf Rückenwind aus Berlin setzen. Seine Grünen verharren bei rund zwölf Prozent Zustimmung. Die Co-Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak mühen sich redlich, agieren jedoch glanzlos. In der Bundestagsfraktion findet die Arbeit der beiden Vorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann Anerkennung. Sie machen aber gerade die Erfahrung, wie limitiert die Möglichkeiten einer Oppositionspartei sind.
Cem Özdemir baut auf Fleiß und schwäbischen Dialekt
Özdemir spricht den Dialekt seiner potenziellen Wählerinnen und Wähler. In Berlin gilt er als fleißiger Arbeiter, das wird ihm in den nächsten Wahlkampf-Monaten helfen. Als die FDP nach dem Ampel-Aus die Regierung verließ, übernahm der Landwirtschaftsminister beispielsweise zusätzlich noch das Bildungsministerium. Dessen Belegschaft staunte über den frischen Wind, den der Grüne mitbrachte.
Die Grünen im Ländle sind gleichwohl skeptisch, dass sie es aus eigener Kraft schaffen und setzen auf Berlin. Nicht auf die eigene Partei, sondern auf die Christdemokraten. Wenn Kanzler Friedrich Merz und seine Bundes-CDU patzen, so das Kalkül, dann wirkt sich das negativ auf die Zustimmung für die Landespartei aus. Auf den ersten Blick mag das Sinn machen, auf den zweiten nicht. Von einer Unzufriedenheit mit den Regierenden im Land profitierte bisher vor allem die AfD. Wenn irgendwo ein politisches Vakuum entsteht, dann füllen es die Rechten.
In Baden-Württemberg steht die AfD in den Umfragen aktuell doppelt so gut da wie bei der letzten Landtagswahl, wo sie 9,7 Prozent der Stimmen holte. Sie liegt nahezu gleichauf mit den Grünen und Özdemir hat keine Wahl. Er muss sich aus der Defensive lösen und nach vorne stürmen. Am Ende reicht es wie bei den Stuttgartern im Olympiastadion womöglich sogar für einen Sieg.
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