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Chef des Chemieverbandes VCI ruft Beschäftigte zu längerer Arbeit auf

Interview

Chemie-Verbandschef: „Wir müssen die Schaufel in die Hand nehmen“

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    In der chemischen Industrie verdienen hierzulande knapp eine halbe Million Mitarbeiter ihr Geld. Wegen der rapide gestiegenen Energiepreise steckt die Branche in Schwierigkeiten und baut Stellen ab.
    In der chemischen Industrie verdienen hierzulande knapp eine halbe Million Mitarbeiter ihr Geld. Wegen der rapide gestiegenen Energiepreise steckt die Branche in Schwierigkeiten und baut Stellen ab. Foto: Arne Dedert, dpa

    Herr Große Entrup, es gab in Berlin schon einige große Reden. Die Ruck-Rede von Bundespräsident Roman Herzog zum Beispiel. Wie sehr hat Sie die erste Regierungserklärung von Kanzler Friedrich Merz durchgeruckelt?

    Wolfgang Große Entrup: Eine der wichtigsten Botschaften von Herrn Merz war, dass man sich in der neuen Regierung nicht große visionäre Ziele setzt, sondern einfach sagt: Wir haben unglaublich viele Aufgaben, Herausforderungen, die müssen wir abarbeiten. Deshalb war seine Rede voll im Korridor unserer Erwartungshaltung. Die Botschaften der Industrie sind im Kanzleramt offenbar angekommen. Wir setzen jetzt darauf, dass der angekündigte Aufbruch ernsthaft umgesetzt wird. Unsere Branche steht für diese gewaltige Kraftanstrengung bereit.

    Es gibt Kritik, dass Herr Merz mit Katherina Reiche eine frühere Lobbyistin und spätere Chefin eines Energiekonzerns zur Wirtschaftsministerin gemacht hat. Wie sehen Sie das?

    Große Entrup: Der Kanzler hat einige Personalentscheidungen getroffen, die komplett atypisch sind für die Politik. Mehrere in der Wirtschaft groß gewordene Menschen in politische Verantwortung zu nehmen, das ist ein extrem starkes, wichtiges Signal. Umgekehrt sind es mutige Entscheidungen von Persönlichkeiten wie Frau Reiche oder dem neuen Digitalminister Karsten Wildberger, aus der Industrie in die Politik zu gehen.

    Die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) war vorher Chefin eines Energieversorgers und soll den Umbau auf Erneuerbare Energien in wirtschaftliche Bahnen lenken.
    Die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) war vorher Chefin eines Energieversorgers und soll den Umbau auf Erneuerbare Energien in wirtschaftliche Bahnen lenken. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Haben Sie Frau Reiche, die neue Bundeswirtschaftsministerin, schon kennengelernt?

    Große Entrup: Ich kenne Frau Reiche schon länger. Sie ist mir in der Politik positiv begegnet, die größte Aufmerksamkeit hat sie für mich zuletzt in ihrer Funktion als Energiechefin erlangt, weil das Thema für uns als energieintensive Industrie sehr wichtig ist. Für das Energiethema ist sie eine absolute Expertin, es ist eines der Kernherausforderungen für die neue Bundesregierung.

    Wie zufrieden sind Sie denn bis jetzt mit den Ankündigungen der Regierung zur Senkung der Strompreise beziehungsweise der Energiekosten insgesamt?

    Große Entrup: Die richtigen und wichtigen Felder wurden benannt. Die Regierung muss jetzt mit einer Nothilfe die Energiepreise schnell runterkriegen, zum Beispiel die Stromsteuer senken. Das ist das A und O. Zweitens muss sie die strukturellen Fehlentwicklungen der Energiewende angehen. Die Netzentgelte beispielsweise haben sich zu einem enormen Kostenfaktor entwickelt. Hier liegt ein wichtiger Hebel für wettbewerbsfähige Strompreise.

    Was sagen Sie zur neuen Kraftwerksstrategie?

    Große Entrup: Spanien und Portugal haben uns gezeigt, wie schnell ein Blackout möglich ist. Die Bundesnetzagentur sagt zwar, dass wir in Deutschland doppelt und dreifach abgesichert sind. Es gibt aber nicht wenige Experten, die das Gegenteil feststellen. Neue Kraftwerke sind deshalb wichtig und notwendig. Der Kohleausstieg darf erst vollzogen werden, wenn diese Kraftwerke da sind. Außerdem müssen wir auf die Bezahlbarkeit achten. Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit, das sind Dinge, die im Vordergrund stehen müssen. Und nicht der wilde Zubau von regenerativen Energien.

    Sie plädieren wie Frau Reiche für Erdgaskraftwerke, weil die schnell am Markt verfügbar sind. Warum bleibt es nicht wie bisher bei Kraftwerken, die grünen Wasserstoff verbrennen können?

    Große Entrup: Wer bei Wasserstoff sofort auf die Farbe „Grün“ setzt, macht den 16. Schritt vor dem ersten. Als wir den Katalysator eingeführt haben, galt auch nicht sofort die Euro-7-Norm. Das hat man schrittweise weiterentwickelt. Beim grünen Wasserstoff ist im Moment niemand in der Lage, eine belastbare Antwort zu geben, wo er denn in den benötigten Mengen herkommen soll. Das Wasserstoffkernnetz existiert noch nicht und im Moment gibt es kaum jemanden, der in Elektrolyse investieren will. Da sind sehr viele Fragen offen. Klimafreundlicher Wasserstoff so früh wie möglich und so viel wie möglich, das muss das Ziel sein. Es macht aber keinen Sinn, das übers Knie zu brechen.

    Ihr Verband ist für die Speicherung von CO2 im Untergrund. Wie erklären Sie in zehn oder zwanzig Jahren anderen Menschen, dass Sie einst dafür waren, giftiges Kohlendioxid in die Erde zu pressen?

    Große Entrup: Nachhaltigkeit ist unser Treiber und hat drei Dimensionen: Ökologie, aber auch Ökonomie und Soziales. Das wird oft vergessen. Wir wollen uns nicht einfach nur einen grünen Anstrich geben, sondern wir wollen Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz gleichermaßen erreichen. Ein Unternehmen, das nicht wirtschaftlich erfolgreich ist, wird nicht in Klimaschutz investieren und auch seine Mitarbeiter nicht halten können. Dieser Teil der Wahrheit wurde verdrängt. Es stellt sich daher die Frage, ob es uns überall wirtschaftlich vertretbar möglich sein wird, aus fossilen Energieträgern so früh auszusteigen, wie wir es uns im Rahmen der Klimaschutzziele alle gerne vorstellen. Wenn nicht, müssen wir darüber nachdenken, dass es eben auch andere Wege gibt. Bis 2045, bis zum Erreichen der Klimaneutralität, muss es daher – Stand heute – Alternativen geben.

    Die neue Regierung hat Ihnen eine „Chemieagenda 2045“ versprochen. Kennen Sie inzwischen einen Zeitplan dafür?

    Große Entrup: Es gab unter der alten Regierung zwei Chemiegipfel im Kanzleramt. Gebracht haben die nichts. Das muss sich mit der Chemieagenda 2045 jetzt ändern. Einen Zeitplan gibt es noch nicht, aber das Thema ist in der neuen Regierung anerkannt. Wichtig ist, dass alles im Einklang mit Brüssel passiert. Denn vieles von dem, was wir hier diskutieren, braucht den Segen der Brüsseler Administration.

    Zieht die EU Ihrer Ansicht nach mit?

    Große Entrup: Die Kommission mit Ursula von der Leyen an der Spitze hat sehr wuchtig, sehr klar erklärt, was sich industriepolitisch ändern muss. Wer nur auf Ökologie setzt, fährt die Europäische Union wirtschaftlich vor die Wand, das ist jetzt erkannt in Brüssel. Interessanterweise schauen dort alle auf Deutschland und sagen: Entscheidend ist, dass der Motor Deutschland wieder anspringt. Das helfe dann am Ende ganz Europa.

    Mit Blick auf die Wirtschaftspolitik sagte der Kanzler, Zitat: Wir können aus eigener Kraft heraus wieder zu einer Wachstumslokomotive werden, auf die die Welt mit Bewunderung blickt. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Große Entrup: Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun. Man sollte sich deshalb jetzt nichts vormachen. Die Regierung ist neu im Amt, zum Teil sind Ministerien verantwortlich, die noch keine Räume und kein Personal haben. Entscheidend ist deshalb, dass es eine klare Roadmap gibt. Die muss mit Tempo, mit konkreten Maßnahmen unterlegt werden. Das geht dann nicht in nächsten sieben Tagen oder 22 Tagen oder wie auch immer. Aber ich muss mich darauf verlassen können, dass etwas passiert. Dann fassen Unternehmer neuen Mut, der Glaube an den Standort Deutschland kehrt zurück. Das wiederum gibt der Politik und unserer Demokratie den nötigen Rückenwind.

    Friedrich Merz hat gefordert, dass in Deutschland wieder mehr gearbeitet wird. Was halten Sie davon?

    Große Entrup: Der Kanzler hat ja gesagt, dass wir mit reinem Fokus auf Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche den alten Wohlstand nicht zurückbekommen. Er hat Recht, da muss sich etwas ändern. Wir haben die niedrigste Wochenarbeitszeit unter allen OECD-Ländern, wir haben extrem viele Feiertage. Wenn wir unter den Top-Exportnationen der Welt weiterhin eine Rolle spielen wollen, was wichtig ist für unseren Standort, dann müssen wir uns auch da besinnen. Es ist von großer Bedeutung, dass wir wieder die Schaufel in die Hand nehmen und an der Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland mitarbeiten. Unsere Probleme sind größtenteils hausgemacht, also können wir sie auch hier und alleine lösen. Wir müssen nur wollen und jetzt durchstarten.

    Wolfgang Große Entrup ist Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes VCI und sagt, dass wir die Schaufel in die Hand nehmen sollen.
    Wolfgang Große Entrup ist Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes VCI und sagt, dass wir die Schaufel in die Hand nehmen sollen. Foto: VCI

    Zur Person: Wolfgang Große Entrup ist seit 2019 Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes VCI. Der promovierte Agraringenieur arbeitete davor als Manager bei den Chemiereisen Bayer und BASF. Seine berufliche Karriere startete der 62-Jährige einst als Referent eines FDP-Bundestagsabgeordneten. Die deutsche Chemieindustrie leidet besonders unter den seit dem Wegfall russischen Erdgases spürbar gestiegenen Energiepreisen. In der Branche arbeiten rund 460.000 Beschäftigte.

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