Herr Gauweiler, wenn es um Ihre politische Verortung geht, berufen Sie sich gerne auf Thomas Mann: Wenn der Kahn nach rechts kippt, setze ich mich nach links – und umgekehrt. Wo sitzen Sie denn gerade?
PETER GAUWEILER: Momentan auf dem sicheren Trockenen. Auf der Zuschauertribüne, von wo man natürlich immer alles besser weiß.
Hat sich der politische Diskurs in Deutschland nicht klar nach rechts verschoben?
GAUWEILER: Was heißt „verschoben“? Rechte und linke Bewegungen bedingen einander und leben von Leerstellen in der Mitte. Die Einfachheit dieses Zusammenhangs ist fast schon erschreckend. Die damit verbundene Disruption des öffentlichen Lebens ist nicht durch politische Polizei lösbar, sondern nur mit Argumenten, vorgetragen in einem durch Wahlentscheid zugänglichen Plenum. Das ist die Idee der parlamentarischen Demokratie. Parlare – reden und der Gegenmeinung zuhören. Ein Verbieten würde nur beweisen, dass die Urheber des Verbots selbst nicht mehr an die Wirksamkeit ihrer Argumente glauben.
Also auch mit der AfD reden?
GAUWEILER: Durch Isolieren, Überschreien oder öffentlichen Pranger, und zum Höhepunkt weltweites „moral bombing“, kommt niemand aus seinem Kopfgefängnis heraus. Jahrelang haben die USA über Ho Chí Minh gesagt: Das ist ein Moskau-höriger Kommunist, mit dem reden wir nicht. Heute wird im Westen ein Rede- und Kontaktverbot für alles und alle gefordert, die als undemokratisch rechts und autoritär gelten. Derselbe Spieß, nur andersherum. Argumentativ ist das nicht. Nur sehr unsouverän.
Was schlagen Sie vor?
GAUWEILER: Präsident Trump hatte doch völlig recht, dass und wie er dem neuen Staatschef Syriens – einem islamischen Ex-Revolutionär – eine Chance gab und ihn nahm, wie er nun einmal ist. Wenn man mit einer politischen Strategie keinen Erfolg hat, wie Bush junior, Obama und Biden im Nahen Osten, dann muss man es mit dem Gegenteil versuchen. Nicht wegschauen und die Lippen zusammenpressen. Innenpolitisch ist das nicht viel anders. Jeder weiß doch sowieso: Deutschland und das deutsche Erfolgsmodell können nur von der Mitte aus funktionieren. Trotzdem darf man keine Scheuklappen haben. Ich wurde einmal im Bundestag heftig kritisiert, weil ich in namentlicher Abstimmung für einen Antrag der Linken gestimmt hatte. Wie konntest Du nur? Der Antrag war völlig richtig und ging gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Wenn der Antrag von rechts gekommen wäre, hätte ich auch kein Problem gehabt.
Klingt nicht gerade nach einer knallharten Abgrenzung.
GAUWEILER: Politik ist Problemlösen, nicht Abgrenzung. Ich halte nichts von einer Ausschaltung anders denkender Menschen durch eine Strategie diffamierter Negativgruppen. Der Union verlieh das zuverlässige Problemlösen ihre Anziehungskraft. Sie ist die Mitte der Mitte und das muss sie auch in Zukunft vorleben.
Friedrich Merz hat angekündigt, ab jetzt werde keine Politik mehr für „linke Spinner“ gemacht. Gefällt Ihnen das?
GAUWEILER: Bisschen abgegriffen. Friedrich Merz nimmt mich ein, weil und wie er nach den jahrelangen Abwahlmanövern gegen seine Person immer wieder aufgestanden ist. Dass er über Jahrzehnte beruflich erfolgreich war. Daran sieht man, was der Mann taugt. Und das „Bürokratische“ an diesem Typus kann auch etwas sehr Professionelles bedeuten.
Gleichzeitig schwebt über seiner Karriere immer auch der Dunst von offenen Rechnungen, die er noch begleichen wollte. Zum Beispiel mit Angela Merkel.
GAUWEILER: Angela Merkel hat das ja mal schön ausgedrückt. Sie meinte sinngemäß: Wir waren eigentlich wie Klassenkameraden, mit dem gleichen Ziel. Nur leider war es dasselbe Amt, welches es nur einmal zu besetzen gab. That’s life. Man soll Rechnungen bezahlen; die geistigen Rechnungen kann man auch offenlassen.
Haben Sie auch noch welche offen?
GAUWEILER: Wer hat das nicht? Bei mir werden sie glücklicherweise immer mehr zu Altpapier.
In den eigenen Reihen nehmen es Merz einige Leute übel, dass er nach der Wahl genau das Gegenteil von dem getan hat, was er vorher versprochen hatte. Stichwort: neue Schulden. Hätten Sie da als Abgeordneter mitgespielt?
GAUWEILER: Einer meiner vielen Nachteile als Politiker war, dass ich für solch blitzschnelle Wendungen zu unbeweglich war.
Wie gefällt Ihnen eigentlich das Wort „Sondervermögen“?
GAUWEILER: Gar nicht. Wegen Wortkünsteleien dieser Art mag man das politische Berlin nicht. Da werden Begriffe fabriziert, die das Gegenteil von dem vermitteln sollen, was der eigentliche Plan ist. Manipulation durch Sprache. „Schaut auf des (nackten) Kaisers neue Kleider!“ Mich turnt das nicht an.

Ein Teil des Sondervermögens soll in die Verteidigung fließen, um sich gegen die Bedrohung durch Russland zu rüsten. Sie sehen das kritisch. Ist es nicht unabdingbar, sich verteidigen zu können?
GAUWEILER: Lest nach bei großen Staatsmännern! Strauß, Adenauer, Churchill, Kissinger sagten am Ende ihres Lebens: Kriege sind im Atomzeitalter nicht mehr führbar, nicht mehr gewinnbar – alle Kriege entgleiten der Kontrolle. Ich habe Strauß einmal ein Programm für Schutzräume vorgestellt, in U-Bahnhöfen, Tunnels et cetera. Da meinte er nur: „Peter Gauweiler, noch bevor Sie von Ihrem Schreibtisch aufgestanden sein werden, sind Sie im Falle eines nuklearen Angriffs atomar verbrannt.“ Und das große Ziel der Bundesrepublik soll es jetzt ernsthaft sein, gegen die größte Atommacht der Welt mit einer konventionellen Armee „kriegsbereit“ zu werden? Nur sollen die potenziellen Feinde bitteschön noch ein paar Jahre warten. Schreckt das irgendjemanden ab oder ist es nicht eher töricht bis zur Unerträglichkeit?
Nur: Wäre die Ukraine ohne konventionelle Armee nicht längst untergegangen? Merz sagte in seiner Regierungserklärung, Deutschland müsse sich verteidigen können, damit es sich nicht verteidigen muss. So haben auch die Kanzler Schmidt und Kohl den letztlich ja erfolgreichen Nato-Doppelbeschluss in den 80er Jahren erklärt.
GAUWEILER: Der Nato-Doppelbeschluss war das genaue Gegenteil. Aufrechterhaltung des Gleichgewichts, ohne dass ein Schuss fällt. Und nicht Verstetigung eines heißen Stellungskrieges im russisch-ukrainischen Grenzstreit. Auf Monate oder Jahre. Um à la Verdun und Amiens, für eine Unzahl von Toten ein paar Dörfer hin- oder her zu erobern. Es geht um etwas ganz anderes.
Und zwar?
GAUWEILER: Durch die Großtat von Michail Gorbatschow und das Ende des Kalten Krieges hat Europa Anfang der 90er Jahre eine neue Chance bekommen und die haben wir nicht so genutzt, wie wir es hätten tun können. Damals träumten wir, den großen Graben zu überwinden, Berlin und Moskau mit dem Transrapid zu verbinden und München mit dem Schwarzen Meer. Stattdessen hat man sich innenpolitisch mit Mülltrennung, Rechtschreibreform und roten Socken-Kampagnen beschäftigt. Und außenpolitisch mit moralisch begründeten Bombardements in Ex-Jugoslawien. Es war falsch, wie der Westen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion deren Völker und sich selbst hat hängen lassen. Und es war auch falsch, dass die Nato sich dann auch noch auf der ganzen Welt militärisch eingemischt hat.
So argumentiert auch Wladimir Putin. Aber wir sind uns doch einig, dass er es war, der mit dem Angriff auf die Ukraine diesen Krieg entfesselt hat? Sie haben an der Seite von Sahra Wagenknecht für Friedensgespräche mit Moskau demonstriert. Glauben Sie wirklich, mit diesem Mann kann man verhandeln?
GAUWEILER: Einen Gegner, der nicht zu schlagen ist, zieht man klugerweise ins Gespräch. Angela Merkel hat das getan. Wenn wir jemanden durchgängig als Monster heruntermachen, schließen wir gleichzeitig jede Möglichkeit seiner Rehabilitierung aus. Überall Richter zu spielen, hilft nicht weiter. Wollen Sie behaupten, es war ein Fehler von Papst Johannes Paul II., damals mit Fidel Castro zu reden? Oder nach der Kulturrevolution Kissinger mit Mao? Oder mit dem Apartheid-Regime von Südafrika den Übergang zur Versöhnungskommission auszuhandeln? Desmond Tutu hatte damals einen südafrikanischen „Nürnberger Gerichtshof“ ausdrücklich abgelehnt.
Die ersten Wochen des neuen Kanzlers sind von der Außenpolitik geprägt. Die größten Baustellen werden aber Wirtschaft und Migration sein. Haben Sie da mehr Hoffnung?
GAUWEILER: Ich glaube, Merz und Söder haben den richtigen Mann zum Innenminister gemacht. Alexander Dobrindt ist eine harte Nuss. Und er hat auch gleich Tatsachen geschaffen am ersten Tag, in beinahe trumpscher Manier. Dobrindt ist ein überzeugter Europäer, aber er hat natürlich völlig recht, dass kein EU-Mitglied einen rechtlichen Anspruch darauf hat, die Einreise von Dritten nach Deutschland zu erzwingen.
An der Migrationsfrage wird auch Ihre CSU gemessen werden. Bei der Bundestagswahl hat sie ihre eigenen Ziele nicht erreicht. Horst Seehofer sagt, es liege an Markus Söder.
GAUWEILER: (lacht) Der alte und neue Ministerpräsident haben einen natürlichen Eigenstolz und untereinander eine Liebesbeziehung der besonderen Art. Beide haben die Fliehkräfte unserer Gesellschaft stimmenmäßig besser in den Griff bekommen als die CDU.
Söder wird immer wieder vorgeworfen, er sei bisweilen mehr Unterhaltungskünstler als Politiker. Stört Sie das?
GAUWEILER: Söder ist kein Leerlaufmensch, sehr lebenstüchtig und steht auf festem Fundament. Sicher ein Ausnahmepolitiker, dem ich auch Olympia zutraue. Er sollte nur nicht den Fehler früherer Landesherren wiederholen, sich von allem Bundesrepublikanischen hypnotisieren zu lassen. Offen gesagt, auch Franz Josef Strauß war von solchen Überfixierungen nicht ganz frei. Unser Bayern ist anders, und hat seinen eigenen Platz in der Welt.
Zur Person, zum Interview: Wer Peter Gauweiler in seiner Münchner Kanzlei besucht, nimmt in der Regel auf einem wirklich großen schwarzen Ledersessel Platz. „Für Mandanten und Besucher“, sagt der 75-Jährige und setzt sich gegenüber. Hinter ihm gerahmte Fotos des CSU-Urgesteins mit Zelebritäten aus aller Welt. Vor ihm eine Tasse Filterkaffee. Gauweiler, einst als „Schwarzer Peter“ berüchtigt, sieht sich ganz in der Tradition von Franz Josef Strauß. Doch der frühere Bundestagsabgeordnete war immer auch ein Grenzgänger zwischen Links und Rechts. Er machte als konservativer Hardliner von sich reden, ist aber auch mit Oskar Lafontaine befreundet und lud den letzten DDR-Chef Egon Krenz zu seinem 70. Geburtstag ein. Sein „Idol“ in der Bibel sei der „sündige Zöllner Zachäus“, sagt er. Ein Mensch mit seinen Schwächen.
Nur ein russisch-ukrainischer Grenzstreit???? Gehts noch Herr Gauweiler? Das ist ein Krieg gegen den sog. Westen. Und was heißt hier "ein Gegner der nicht zu schlagen ist"? Immer schön das russische Narrativ verbreiten! Jetzt ist nicht die Zeit für Appeasement! Und auch nicht mehr für Verhandlungen und weitere Verzögerungen, weil an denen ist Putler offensichtlich nicht interessiert!! Wenn Sie das immer noch nicht begriffen haben dann ist es ja gut wenn sie in der Politik nicht mehr mitmischen.
Genau. Sollen uns etwa 6500 russische Atombomben abschrecken. Lächerlich........auf gehts gen Russland. Das hatten wir schon mal..............................
Ein offenbar sehr sehr kluger Mensch, anders als die meisten anderen Politiker.............
Gauweiler? War das nicht der, der in seiner Zeit als Innenminister von Bayern Aidskranke "speziellen Heimen" internieren wollte? Zwangstests einführen wollte? Warum gibt man dem überhaupt noch eine Bühne?
Gauweiler, als Abgeordneter des Bundestages war er der Mann mit den höchsten Nebeneinkommen. Mit Söder ähnelt er sich : Söder hat ein hohes Einkommen als MP und eine Millionärin als Frau. Verständlich, dass beide nichts mit der Linkspartei, die Reiche höher besteuern will, zu tun haben wollen. Das Verachten der Grünen ist jedoch das Markenzeichen des Foodbloggers Söder allein.
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