
Die Diskussion um die Störaktionen der "Letzten Generation" und Robert Habecks Heizungsverbot ist geprägt von sprachlicher Brutalität. Die Härte hat einen verborgenen Sinn.
Heizungs-Stasi und Klima-RAF, Heizungs-Hammer und Klima-Chaoten – der Ton in der Debatte um die beiden Aufregerthemen ist schrill, die Lautstärke bis zum Anschlag aufgedreht. Die Sprache entgleist, die Begriffe verlieren jedes Maß. Das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen und die Straßenblockaden der selbst ernannten "Letzten Generation" lassen nur wenige kalt.
Dennoch kann das Provokationspotenzial nur zum Teil erklären, warum eine übersteigerte Empörung um sich greift. Sowohl an den Aktionen der Aktivisten als auch an Robert Habecks Heizungsgesetz gibt es viel zu kritisieren. Aber dem Wirtschaftsminister wegen seiner Idee eines Heizungskatasters Stasi-Methoden zu unterstellen, ist verleumderisch.
Wer weiß, wie der ostdeutsche Geheimdienst das Leben Zehntausender in der DDR zerstörte und wie perfide die Spitzel vorgingen, der muss diese Wortwahl ablehnen. Besonders irritierend daran ist, dass der Stasi-Vorwurf aus dem Mund des Thüringer CDU-Chefs Mario Voigt kam, der 1977 in Jena geboren wurde.
"Letzte Generation" nicht mit RAF vergleichbar
Völlig überzogen ist auch die Betitelung der Klima-Kleber als RAF. Die Rote Armee Fraktion blockierte nicht ein paar Straßen im Lande, sondern überzog es mit Terror, um das "Schweinesystem" zu stürzen. Ihre Brutalität kostete über 30 Menschen das Leben. Es war CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der den diskreditierenden Vergleich mit der Mördergruppe beförderte.

Das Ziel dieser falschen Zusammenhänge im politischen Deutungskampf ist offensichtlich: Wenn die Klima-Aktivisten eine Art RAF werden könnten, dann muss der Staat mit voller Härte durchgreifen, was er dann am Mittwoch durch die Razzien auch tat. Im Falle Habecks ist es seinen Gegnern von Beginn an gelungen, sein Heizungsgesetz derart mit negativen Begriffen zu belegen, dass es für den Minister zu einem Fiasko geworden ist.
Die Bild-Zeitung hat sich auf den Anführer der Grünen eingeschossen und verkleinert damit auch seine Chancen, in zwei Jahren aussichtsreicher Kanzlerkandidat seiner Partei zu werden. Ohne Frage hat Habeck seinen Gegnern viel Angriffsfläche geboten, weil sein Vorhaben die Realität in den Heizungskellern des Landes einfach ausblenden wollte.
Eine Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung
Neben dieser offensichtlichen Ebene der Verwahrlosung des gesellschaftlichen Streits gibt es eine zweite, verborgene. Der an der Universität Bremen lehrende Soziologe Nils Kumkar hat sie in einem Essay unter dem Titel "Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung" freigelegt. Darin beschreibt er, dass die Wortgewalt gegen die Klima-Kleber eine Abwehrstrategie ist, um sich nicht inhaltlich mit ihrem Anliegen auseinandersetzen zu müssen. Das wiederum resultiere aus dem Unbehagen heraus, dass der Klimawandel eigentlich einen Totalumbau von Wirtschaft und Gesellschaft erfordere, der aber politisch nicht durchsetzbar ist.
Genau diesen Wandel verlangen die Aktivisten und versuchen, die Politiker aber auch Jedermann, mit ihren nervenden Störaktionen aufzurütteln. Sie sind rigoros genug, oder, um es mit dem Bundeskanzler zu sagen "bekloppt", dass sich die Presse und die Politiker damit befassen müssen. Die Thematisierung beschränkt sich aber auf die Form des Protests und nicht seinen inhaltlichen Kern. Die Radikalisierung der Klima-Kleber wird ihnen unterstellt und mit verbaler Schärfe ausgeschmückt, obwohl sie seit Beginn ihre unerfreulichen Protestformen beibehalten haben. Sie beschmutzen Kunstwerke, sie blockieren Straßen und sie besudeln Parteizentralen und Ministerien mit Farbe.
Gegen Radikale kann man radikal vorgehen und darüber den Grund ihres Widerstands – die unzureichende Bekämpfung der Erderwärmung – hinten runterfallen lassen. Bei Habecks Gesetz ist der gleiche Mechanismus am Werk, weil die Abkehr von Öl und Gas im Heizungskeller extrem schwierig ist. Die Empörungsmaschine läuft immer schneller und ihr Lärm überdeckt das wahre Problem.
Die Diskussion ist geschlossen.
"Darin beschreibt er (Soziologe Nils Kumkar), dass die Wortgewalt gegen die Klima-Kleber eine Abwehrstrategie ist, um sich nicht inhaltlich mit ihrem Anliegen auseinandersetzen zu müssen"
Lichtenberg hat das Problem einmal sehr gut so beschrieben:
"Es ist unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemand den Bart zu sengen"
Auch deshalb hat ein mutiger Politiker wie Robert Habeck - das krasse Gegenteil eines widerlichen Populisten vom Schlage Söder - nicht unsere Häme sondern unseren Respekt verdient . . .
Wie scheinheilig! AFD und Linkspartei werden kriminalisiert durch mit dem Verfassungsschutz und diese Zeitung beklatschte diese obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen! Jetzt wo sich das Blatt gegen Grünaktivisten wendet kommt Ihre Mahnung zu spät.
Zustimmung zu Ihrem Kommentar, Herr Grimm!
Man kann noch hinzufügen, dass die Kampagne gegen den Klimaschutz durch Bild-Zeitung und andere Publikationen des Springer Verlags befeuert werden. Dass dieser Verlag sowohl durch die Vergehen des ehemaligen Chefredakteurs Reichelt wie die Fehltritte des Verlagschefs Döpfner sich erneut diskreditiert hat. Dass dort mittlerweile ein dubioser amerikanischer Finanzinvestor Mehrheitseigner ist, der Trump & Co unterstützt.
Raimund Kamm
Sehr geehrter Herr Kamm
Wenn die Annahme von Geld aus dubiosen US-Fonds verdächtig macht, dann ist ja die LG bei den Verdächtigen ganz vorne dabei.
Und warum reden wir mal wieder polemisch ablenkend über angebliche Verfehlungen von Springer-Chefs statt über den Inhalt des Artikels?
Und wenn Sie schon über „Kampagnen“ reden, schauen wir doch mal in die AA.
https://www.augsburger-allgemeine.de/bauen-wohnen/energie-was-die-radikale-heizwende-fuer-hausbesitzer-bedeutet-id66610821.html
https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/konjunktur-diw-praesident-fratzscher-warnt-vor-den-sozialen-folgen-der-rezession-id66614386.html?wt_mc=redaktion.taboola.azol..&wt_cc1=reco
https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/bip-in-deutschland-sinkt-im-ersten-quartal-2023-id66608171.html
https://www.augsburger-allgemeine.de/bauen-wohnen/waermewende-heizen-kommt-es-zum-verbot-von-holz-und-pelletheizungen-ab-2024-id66429096.html
Das hab ich in nur 2 Minuten gefunden.
Zitat aus dem ersten Artikel
„All diese Leute haben Angst, dass die Politik sie kaputt macht" Das ist alles sehr konkret. Da platzen Pläne für die Altersversorgung weil ein Umzug in ein Altenheim nicht mehr finanziert werden kann, oder Lebensträume, weil die schöne neue Welt nicht mehr finanzierbar ist.
Da sind ganz konkret Hunderttausende negative betroffen.
Aber sie wollen über Reichelt und Döpfner reden? Mehr Ablenkungsmanöver geht kaum.
Genau sie wie Herr Grimm von einer „Empörungsmaschine“ redet. Was für eine Fehlinterpretation. Nicht irgend eine „Maschine“ erzeugt Empörung, sondern die konkreten Wirkungen der von dieser Regierung produzierten Gesetze.
Und diese Bundesregierung macht weiter.
Das „Energieeffizienzgesetz“ wird beschlossen
https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/04/20230419-kabinett-beschliesst-energieeffizienzgesetz.html
Da stellen sich dann tatsächlich Grüne in den Bundestag und erklären, dass Unternehmen das als „Chance“ sehen sollen, Strom und damit Geld zu sparen. Als würden die das nicht selber und viel besser tun, als es irgendwelche Vorgaben vom grünen Tisch je könnten.
Und die öffentlichen Hand muss nun 2% pro Jahr an Energie einsparen. Das war es dann wohl für die Digitalisierung in Deutschen Behörden.
Aber das sind die Ergebnisse, wenn eine Gesellschaft nicht mehr bedarfsdeckend Strom produzieren kann. Die Verwaltung des Mangels setzt ein. Haben Sie übrigens immer bestritten.
Aber E-Autos sollen wir fahren und der grüne Wasserstoff, für dessen Produktion es mehr Energie bedarf, als Deutsche Windmühlen jemals produzieren könnten, der kommt ja auch ganz bestimmt - bei 2% Einsparziel.
Die konkreten negativen Wirkungen des Regierungshandelns werden immer sichtbarer, und die wehren sich mit Kampagnen zu angeblichen Verleumdungen.
So spaltet man man eine Gesellschaft sehr effektiv auf.
Sehr geehrter Herr Grimm,
Vielleicht sollten Sie als Nachgeborener etwas mehr Gespür für die Aussagen der Betroffen haben. Gerade Menschen aus Jena wissen, wie sich StaSi im täglichen Leben anfühlt und welche staatliche Bevormundungen im Vorfeld direkter Maßnahmen der StaSi bereits gewirkt haben.
In diesem Land wird jeder Kritiker linker Positionen sofort zum Nazi erklärt. Wenn Sie da auch nur einen Artikel verfasst haben, in dem sie das als „verleumderisch“ brandmarken, wäre das in diesem Artikel hinnehmbar. Aber ich vermute, dass es den nicht gibt.
Und die Geschichte der RAF ist reich an Parallelen. Da ist das symbolische Handeln von Beate Klarsfeld, die sicher Sympathie einsammelte. Dann die Legitimation der „Gewalt gegen Sachen“ und danach der bewaffnete Kampf.
Es gibt ein Zitat von Ovid „Wehret den Anfängen“. Das ist dem Fall durchaus angebracht.
Und dieser Gesellschaft zu unterstellen, sie würde die Klimakrise nicht ernst nehmen und eines „Aufrütteln“ durch auf der Straße und Autos Klebende, Bilder Beschmierende und Parteizentralen Besprühende benötigen, halte ich für eine extrem steile These.
„ Politik ist die Kunst des Möglichen.“ Dieses Zitat eines Kanzlers, den Emilia Fester nicht kennt, trifft auch heute zu. Und Habeck will das Unmögliche. Das er Kritik daran sofort als von der „Fossilen-Lobby“ oder „russischen Accounts“ framt, zeugt von fehlenden Argumenten, schlichter Polemik und das er die Gesellschaft auf brutale Weise spaltet
Danke für den Kommentar Thomas.
Ihre fast täglichen Versuche unsere Gesellschaft zu spalten ist doch nicht zu übersehen.
"In diesem Land wird jeder Kritiker linker Positionen sofort zum Nazi erklärt."
Nein, das stimmt nicht.
Kritiker von rechtsaußen, die unsere Demokratie beschädigen und unsere Gesellschaft spalten, können ihre Nähe zu Nazis kaum noch verbergen.
Ich empfehle allen mal, die gerne die Nazikeule rausholen und mache in dieselbe Ecke stellen wollen, den "SS-Staat" von Eugen Kogon zu lesen. Dann weiß man was ein Nazi ist und wer ein wirklicher Nazi ist. Alles andere sind Diffamierungsversuche die meist ins Leere gehen.
@ Wolfgang B.
Wer hat denn jemand einen Nazi genannt? Die Aufregung und Aufklärung war völlig umsonst.
Eine gar treffliche Analyse des Soziologen Nils Kumkar (Uni Bremen): "Darin beschreibt er, dass die Wortgewalt gegen die Klima-Kleber eine Abwehrstrategie ist, um sich nicht inhaltlich mit ihrem Anliegen auseinandersetzen zu müssen. Das wiederum resultiere aus dem Unbehagen heraus, dass der Klimawandel eigentlich einen Totalumbau von Wirtschaft und Gesellschaft erfordere, der aber politisch nicht durchsetzbar ist. " - und wenn jemand Angst hat vor allem Neuen und Unbekannten, dann sind das die erz- bis rechtskonservative Kreise in unserer Gesellschaft, die bis weit in den braunen Sumpf hineinreichen und von Populisten wie Söder, Merz und Dobrindt mit deren Stammtisch-Parolen und Kampagnen schnell aufzuschrecken sind...wem die wohl in den USA hinterherrennen würden bis ins Capitol?
Je schlechter es Menschen geht, je mehr sie sich unter Druck fühlen, desto aggressiver reagieren sie. Gerade in Ländern mit schlechter wirtschaftlicher Lage gibt es wegen des erhöhten Aggression Level bei Bagatellen schneller eins auf die Nase als dort, wo es den Menschen gibt geht und sie sorgenfrei leben.
Die Menschen hier geraten zunehmend unter Druck. Das zeigt sich immer mehr.
Die Menschen hier geraten noch weit mehr unter Druck wenn Klimaziele nicht mehr erreicht werden können. Dann gibts Zoff und das aus guten Grund.