Herr Holznagel, haben Sie schon neue Elemente für Ihre Schuldenuhr bestellt?
REINER HOLZNAGEL: Wir überlegen tatsächlich, eine neue Schuldenuhr zu installieren. Eine, die wir bei Bedarf von der Ferne aus steuern können. Insbesondere in der Nacht, weil die Politik mit Blick auf die Neuverschuldung mittlerweile eine Dynamik angenommen hat, die erschreckend ist.
Milliardenschwere Sondervermögen und eine Lockerung der Schuldenbremse: Wie sehr hat es Sie überrascht, dass die mutmaßlich künftigen Koalitionäre am Dienstagabend solch ein umfangreiches Paket verkündet haben?
HOLZNAGEL: Wir waren angesichts einiger Äußerungen aus dem politischen Raum nicht ganz unvorbereitet. Sehr überrascht und ein Stück weit verärgert hat mich die Tatsache, dass eine Verhandlungskette aufgezogen wurde, bei der das Ergebnis am Anfang steht und die Details erst danach besprochen werden. Das ist so, als wenn ich meinen Kindern verspreche, dass wir abends erst den Film schauen – und anschließend aufräumen. Jeder weiß, wie das ausgeht.
Wie lautet Ihr Hauptkritikpunkt?
HOLZNAGEL: Wir haben nicht das Problem des Geldes, wir haben andere Probleme. Wir haben ein „Zuviel“ an Planung, an Auflagen und Bürokratie. Wir haben Mitspracherechte von Unbeteiligten, Stichwort Verbandsklagerecht. Kameralistik ist ein Thema, das nicht die Qualität einer doppelten Haushaltsführung aufweist. Und das sind nur ein paar Beispiele. Wir hätten zunächst ein Bündel von Aufgaben zu lösen – und erst am Ende muss die Geldfrage besprochen werden. Jetzt haben wir es umgedreht und ich fürchte, dass wir mit Geld sehr viel zukleistern werden.
Schwarz-Rot hat im Wahlkampf Strukturreformen versprochen. Daraus wird jetzt nichts mehr?
HOLZNAGEL: Vor der Wahl gab es den Druck, dass wir trotz extrem hoher Einnahmen für alle Gebietskörperschaften etwas tun müssen, weil uns die Ausgaben schneller davonlaufen, als die Einnahmen dieses Tempo überhaupt einholen könnten. Diesen Druck hat man mit den Über-Nacht-Beschlüssen rausgenommen. Das gilt zum Beispiel für einen der problematischsten Ausgabentreiber, nämlich die Rente, aber auch für die kommunale Finanzlage, die Migration, das Bürgergeld. Jetzt lehnen sich alle beruhigt zurück und sagen: Wird schon.
Aber ist es nicht so, dass zumindest mehr Geld für die Bundeswehr notwendig ist?
HOLZNAGEL: Wir müssen in der Diskussion klar zwischen Bundeswehr und Wehrfähigkeit trennen. In Deutschland, auch in Europa, werden enorme Geldsummen bewegt. Am Ende können wir uns aber nicht darauf einigen, wie dieses Geld eingesetzt wird. Es gibt keine Idee einer gemeinsamen Wehrfähigkeit, keine Idee einer gemeinsamen Aufrüstungsstrategie in den einzelnen Waffensegmenten und Waffenausstattungen. Doch weil ein Land allein nicht das notwendige Niveau herstellen kann, müssen wir die Kräfte bündeln und genau definieren, wer was macht. Das Weißbuch der Bundeswehr muss zu einem Weißbuch für Europa werden.
Herr Merz hat ja nicht nur 400 Milliarden in den Raum gestellt. Er hat auch gesagt: Whatever it takes, koste es, was es wolle. Ist das jetzt eigentlich ein Blankoscheck oder ist es das wichtige Signal an die Welt, dass Deutschland bereit ist, wirklich alles für Verteidigung zu geben?
HOLZNAGEL: Die Strukturen, die jetzt geschaffen werden sollen, haben eine Blankoscheck-Identität, weil wir keine Deckungskomponente mehr haben. Das heißt, der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss haben für den Rüstungsbereich völlig freie Hand. Alles, was über 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Mehrausgaben getätigt wird, interessiert die Schuldenbremse nicht mehr. Niemand muss mehr hinterfragen, ob die Planungen wirklich sinnvoll sind. Weil es diese Probleme an dieser Stelle nicht mehr gibt, gibt es sie auch für die anderen Ministerien nicht mehr. Denn das übliche große Tauziehen im Bundeshaushalt entfällt. Das gilt übrigens auch für die Europäische Union. Die Schleusen sind auf – und jeder kann jetzt machen, was er will. Wir werden in nächster Zeit keine Defizitverfahren auf europäischer Ebene zu erwarten haben.
Der Bund der Steuerzahler lehnt auch das neue Sondervermögen Infrastruktur für Straßen, Schienen und Schulen ab, obwohl Ökonomen aller Denkschulen dafür plädieren. Was wissen Sie, was die Wirtschaftsprofessoren nicht wissen?
HOLZNAGEL: Anders als viele Ökonomen schauen wir uns an, welche konkreten Projekte am Ende stehen. In Deutschland gibt es ein Wirrwarr an Zuständigkeiten: Wir haben die Bundesebene, wir haben die Landesebene, wir haben die Kommunen. Es gibt nur noch wenige Projekte, für die eine Ebene konkret zuständig ist. Deshalb haben wir eine riesengroße Mischfinanzierung. Salopp gesagt: Wenn ich Sie heute alle ins Möbelhaus einlade und sage, ich übernehme 70 Prozent der Kosten, dann wird der ein oder andere sich einen Stuhl kaufen, den er gar nicht braucht. Genau das wird mit dem Geld eines „Sondervermögens Infrastruktur“ passieren. Verschärft wird das Ganze dadurch, dass jede Ebene mitredet und am Ende niemand mehr weiß, wer eine Entscheidung eigentlich gefällt hat. Das Sondervermögen wird zum staatlichen Selbstbedienungsladen.
Friedrich Merz will ein Digitalministerium schaffen und gleichzeitig die Zahl der Regierungsbeamten reduzieren. Das müssten Sie doch wenigstens gut finden an der wahrscheinlich neuen Koalition.
HOLZNAGEL: Leider nein. Ich habe das von Anfang an kritisiert und halte das für eine absolut nicht zielführende Idee. Oder sagen wir es mal so: Es ist eine Reaktion auf eine populäre Forderung. Mehr Digitalisierung wollen alle, aber hinter diesem Schlagwort kann sich vieles verbergen. Wenn wir uns ein Ministerium vorstellen, dann gibt es dort, neben der Ministerin oder dem Minister, noch Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter und so weiter. Und Ministerien haben die Eigenart, sich von anderen Ministerien abzugrenzen. Jeder hütet seinen Bereich und lässt sich von anderen Häusern ungern etwas sagen. Besser wäre eine Digitalagentur, die allen Behörden bei der Software und der Hardware Leitplanken vorgibt, also einheitliche Programme und Technik vorschlägt. Das Problem ist, dass Länder und Kommunen sowieso wieder ihr eigenes Ding machen.
Sie sind zwar kein Prophet, aber Sie sind lange im Berliner Betrieb dabei. Wird Friedrich Merz der nächste Kanzler?
HOLZNAGEL: Definitiv. Wir haben in den letzten Tagen einen Vorgeschmack bekommen: Die Klebemasse von Schwarz-Rot sind Schulden, die Freigabe dafür holen sie sich noch vom alten Bundestag. Die CDU hat sich doch schneller wieder auf GroKo eingestellt, als das selbst der ein oder andere Christdemokrat wahrhaben wollte. Und in der SPD setzt niemand auf die Karte, sich in der Opposition erholen zu können.
Zur Person: Reiner Holznagel ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahler. Der Verband, Markenzeichen ist das Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung, arbeitet seit einem dreiviertel Jahrhundert als Interessenvertretung der Steuerzahler in Deutschland. Holznagel, Jahrgang 1976, studierte Politische Wissenschaften, Öffentliches Recht und Psychologie in Kiel. Danach arbeitete er unter anderem als Pressesprecher für die CDU Mecklenburg-Vorpommern, um anschließend in wechselnden Positionen beim Bund der Steuerzahler Karriere zu machen.
Kommt nicht so oft vor, aber Herr Holznagel hat in diesem Interview den "Nagel" auf den Koipf getroffen.
Günther Oettinger weist in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin: „Auf EU-Ebene sollen die Corona-Schulden erst bis 2058 getilgt werden. Bis dahin haben wir doch schon drei weitere Pandemien erlebt“ und „Die Brücken, die man jetzt sanieren will, werden in 20 oder 30 Jahren wieder einen Sonderbedarf auslösen. Wenn bis dann nicht die 500 Milliarden zurückgezahlt sind, stehen wir vor einem sich addierenden Berg von Schulden.“ Auch forderte Oettinger, perspektivisch das Einsparpotenzial im Haushalt durchzugehen. „Wenn man nun via Sondervermögen über zehn Jahre hinweg 500 Milliarden Euro investieren will, könnte der gleiche Betrag, also 50 Milliarden Euro jährlich, durch Missbrauchseingrenzung, Kürzungen und eine höhere Treffsicherheit innerhalb der bestehenden Strukturen erbracht werden.“
Ein Prophet! Genau so wird es kommen........................
Vielleicht sollte man das Geld aus Sofaritzen einfach wieder Schulden nennen. Dann lesen sich solche Dinge wieder ganz anders.
Was das Sondervermögen für die Infrastruktur angeht, war mir bislang nicht bewusst, dass es nicht unmittelbar errichtet wird. Es war von daher ein unpassender Vergleich, den der Steuerzahlerbundchef anstellte. („Das ist so, als wenn ich meinen Kindern verspreche, dass wir abends erst den Film schauen – und anschließend aufräumen. Jeder weiß, wie das ausgeht.“) Nach einem LTO-Artikel vom 07.03.2025 soll Art. 143h GG eingefügt werden, dessen Abs. 1 nämlich lautet: "Der Bund k a n n ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für Investitionen in die Infrastruktur mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 nicht anzuwenden. Das Sondervermögen hat eine Laufzeit von 10 Jahren. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." (Abs. 1)
Spielt das eine wesentliche Rolle wie das entsprechende Sondervermögen errichtet wird? Glaube ich nicht. Warten wir mal ab was letztendlich (vielleicht) im GG stehen wird. Kennen Sie einen Privathaushalt, ein Unternehmen, das sich dermaßen in Schulden stürzt? Der Staat ist kein Privathaushalt und kein Unternehmen - mn sollte aber nicht alle unternehmerischen Grundsätze über Bord werfen.
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