Für seinen ersten großen Auftritt als Innenminister hat sich Alexander Dobrindt einen Trick von Robert Habeck abgeschaut. Wie der Ex-Wirtschaftsminister von den Grünen hat er Schautafeln im Gepäck, um eine Entwicklung zu veranschaulichen. Als der CSU-Politiker eine Tafel am Dienstag im Saal der Bundespressekonferenz hervorholt, geht ein Raunen durch die Reihen der versammelten Reporter. Die Fotografen drücken auf die Auslöser ihrer Kameras. Klick, klick, klick.
Die Zahlen auf Dobrindts Tafeln stimmen bedenklich. Die politisch motivierten Straftaten haben 2024 im Vergleich zu 2023 um 40 Prozent zugenommen. Die Polizei hat 84.000 Delikte gezählt, darunter 4000 Gewalttaten. Noch nie zuvor hat das Bundeskriminalamt (BKA) so viele Verstöße in diesem Bereich erfasst, seit die Behörde diese Statistik im Jahr 2001 eingeführt hat.
Dobrindt sieht die Gefahr von rechts
Woher die Täter kommen, zeigen die Daten auch. Die Hälfte geht auf das Konto von rechts, knapp über zehn Prozent aus dem linken Lager. Auf Rang drei folgen mit 8,5 Prozent Täter, die Ideologie und Propaganda aus dem Ausland bedienen oder sich von ihr anstacheln lassen. Russland etwa versucht laut BKA, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen. In seinen Ausführungen betont Dobrindt: „Die größte Gefährdung der Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus.“
Er hatte geahnt, dass er gefragt werden würde, was das für den Umgang mit der AfD bedeutet. Der Verfassungsschutz hat die Partei kürzlich per Gutachten als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) folgerte daraus, dass die AfD „erwiesenermaßen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ verfolge. Ihr Nachfolger setzt nun aber ein dickes Fragezeichen hinter diese Bewertung. “Meine Einschätzung dafür ist: Dieses Gutachten ist nicht ausreichend. Für ein Verbotsverfahren ist es nicht ausreichend“, sagt Dobrindt.
Der Grund in seinen Augen: Die Verfassungsschützer dokumentieren zwar enorm viele Äußerungen, die sich gegen die Menschenwürde von Migranten richten, nicht aber die Herabsetzung von Rechtsstaat und Demokratie. Deshalb kann das Gutachten seiner Einschätzung nach keine Grundlage für ein AfD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bilden. Die Rechtsnationalen will Dobrindt durch die Arbeit der schwarz-roten Koalition „kleinregieren“. Die AfD geht juristisch gegen den Geheimdienst vor, weshalb der Verfassungsschutz bis zu einer Entscheidung öffentlich nicht mehr die Position vertritt, dass die Partei gesichert extremistisch sei.
Grünen-Chef Banaszak für AfD-Verbot
Die Grünen halten die Ableitung des Ministers für fahrlässig. „Besonders besorgniserregend ist die Rolle der AfD als Stichwortgeberin für rassistische Hassgewalt. Wer es mit der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie ernst meint, darf nicht vor der gerichtlichen Überprüfung eines AfD-Verbots zurückschrecken“, sagte Parteichef Felix Banaszak unserer Redaktion. Er warf Dobrindt vor, für die strengeren Grenzkontrollen Polizisten von Kriminalitätsschwerpunkten abzuziehen. „Statt mit Symbolpolitik die Polizeibehörden zu überlasten, sollte Dobrindt die Sicherheit überall und gleichermaßen gewährleisten“, beklagte der 35-Jährige.

Obwohl den CSU-Mann die Debatte um ein AfD-Verbot in seinen ersten Tagen im Amt verfolgt, ist sie beileibe nicht die einzige Herausforderung. Denn ob ein Bann der Partei die politisch motivierte Gewalt zurückgehen ließe, ist offen. „Die Gewalt ist mitten in der Gesellschaft angekommen und sie wird politischer“, sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, unserer Redaktion. Wendt glaubt, dass die Polizei dem Herr werden kann, wenn sie besser ausgestattet wird.
Das schwarz-rote Regierungsbündnis hat sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass die Adressen von Geräten in Computernetzwerken (IP-Adressen) künftig gespeichert werden sollen, um den Ermittlern eine bessere Handhabe zu geben. Außerdem sollen Kriminalitätsschwerpunkte stärker durch Videokameras überwacht werden. Dobrindt will außerdem die Strafgesetze verschärfen. Ausländer, die antisemitische Straftaten begehen, sollen ausgewiesen werden. Messerattacken werden seinem Willen nach künftig mit mindestens einem Jahr Haft bestraft, anstatt wie bisher mit sechs Monaten. Wer Polizisten angreift, soll mindestens ein halbes Jahr ins Gefängnis. Bisher beträgt das untere Strafmaß ein Vierteljahr.
Der Richterbund mahnte Dobrindt, dass sein Ansatz ohne eine Stärkung von Staatsanwaltschaften und Gerichten nicht aufgehen werde. „Die Ermittlungsbehörden schieben fast eine Million unerledigte Fälle vor sich her, bundesweit fehlen mehr als 2000 Staatsanwälte und Strafrichter“, sagt Richterbund-Hauptgeschäftsführer Sven Rebehn unserer Redaktion. „Schärfere Strafgesetze allein werden wenig bewirken.“ Er warnte davor, dass die Gerichte zum Flaschenhals bei der Kriminalitätsbekämpfung werden könnten.

Die Meinung, dass ein AfD-Verbotsverfahren Jahre dauern könnte, ist Wunschdenken der Gegner eines solchen Verfahrens. Das BfG ist durch einen Eilantrag sehr wohl imstande, in kurzer Zeit zu entscheiden. Aber interessant, wer sich alles gegen ein AfD-Verbotsverfahren ausspricht : Kanzler Merz, Innenminister Dobrindt und viele viele andere mehr. Offenbar ist denen nicht klar, dass die AfD, solange sie nicht verboten ist, praktisch von Staatswegen finanziell gefördert wird und somit ihre Machtstrukturen weiter festigen kann. Deshalb kann ein Verbotsverfahren auch zu spät kommen, nämlich dann, wenn die AfD bundesweit särkste Partei ge- worden ist. Und : die Anhängerschaft der AfD geht m.M.n. weit über ihre prozentuale Stärke hinaus.
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