Scholz „merkelt“ in Brüssel
Bei der Premiere von Olaf Scholz beim EU-Gipfel zeigt sich der neue Bundeskanzler unauffällig. Kein Glanz. Aber auch kein Fauxpas. Scholz "merkelt".
Es war bereits 1 Uhr, als Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Nacht zum Freitag ihre Pressekonferenz mit einem freundschaftlichen Faustgruß beendeten. Vorangegangen war ein fast 14-stündiger Verhandlungsmarathon, in dem zwar alle Krisen auf den Tisch kamen, die 27 Staats- und Regierungschefs aber kaum mit neuen Lösungen aufwarteten.
Corona, Energiepreise, Russlands Gebaren nahe der Grenze zur Ukraine, Migration, Belarus, Sicherheitspolitik – die Themen lasen sich wie eine Europa-Lehrstunde für den Newcomer Scholz. Der wiederum vertrat bescheiden und zurückhaltend das größte Mitgliedsland. Eine Art, die die Partner schätzen angesichts des Gewichts, das Deutschland ohnehin schon aufgrund seiner Größe und Wirtschaftskraft hat. Und bei den Streitfragen blieb der Kanzler so unkonkret, wie man es von dem SPD-Politiker kennt.
Scholz "merkelt" und Macron prescht voran
„Scholz merkelt“, meinte ein Beobachter. Andere lobten den leisen Auftritt. Kein Glanz. Aber auch kein Fauxpas. Kein Fehlstart. Bei ihrer letzten Teilnahme in der Runde war Angela Merkel fast überschwänglich verabschiedet worden. Ratspräsident Charles Michel etwa meinte, ein Gipfel ohne Merkel sei „wie Paris ohne den Eiffelturm“. Große Fußstapfen für Scholz. Würde der Kanzler wie seine Vorgängerin eine Führungsrolle anstreben? Vorerst scheint er daran kein Interesse zu haben. Dafür prescht Macron nach vorn. Den Staffelstab von Merkel will er übernehmen, der sich gerne in der Chefrolle sonnt. Und der nun, mit der im Januar beginnenden französischen Ratspräsidentschaft im Rücken, in die Offensive geht.
Paris hat hohe Erwartungen an Olaf Scholz
Im April will er als Staatspräsident wiedergewählt werden. Zu den Wahlkampfthemen gehört Europa, was viele in Brüssel bereits zum Stöhnen bringt. Macron will als Taktgeber die europäische Agenda setzen – und baut so auch in Berlin Druck auf. Schon einmal brachte Deutschland seine Pläne durcheinander, das soll nicht wieder passieren. Vor vier Jahren plante Macron voller Tatendrang den Aufbruch der EU, um dann monatelang auf den wichtigsten Nachbarn zu warten. Dort wurde erst gewählt, dann zogen sich die Koalitionsgespräche monatelang hin. Das Momentum Macrons war dahin.
Umso größer sind in Paris nun die Erwartungen an Scholz. Die deutsch-französischen Beziehungen sollen noch enger werden, die Achse noch stärker. Dieses Ziel signalisierten die beiden Politiker, als sie Seite an Seite zur Pressekonferenz erschienen. Bereits mit dem Ausklang der Merkel-Ära begann der deutsche Einfluss zu sinken, und das nicht nur, weil immer häufiger auch kleine EU-Länder en bloc rebellieren. Insbesondere die Achse Frankreich-Italien wird zunehmend bedeutend, was viel mit Ministerpräsident Mario Draghi zusammenhängt, der sich als erfolgreicher Krisenmanager profiliert hat. Er dürfte zu jenen gehören, die nicht allzu glücklich darüber sind, dass Scholz und Macron zum Abschluss des Gipfel-Debüts des Kanzlers gemeinsam Bilanz gezogen haben.
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