
Die EU will die Gemeinschaft krisenfester machen


Die EU-Kommission hat ein Notfall-Instrument vorgestellt, mit dem die Behörde in Krisenfällen den gemeinsamen Binnenmarkt schützen will.
Bis heute wirken in Brüssel die nationalen Alleingänge in jenen Wochen zu Beginn der Corona-Pandemie nach. Da kauften sich EU-Staaten gegenseitig Atemschutzmasken weg, manche Länder schlossen ihre Grenzen, Lastwagen standen oft kilometerlang im Stau. Das Coronavirus hatte Europa infiziert und dabei die Solidarität der Staatengemeinschaft zersetzt. Um ähnliche Szenarien in Krisen künftig zu vermeiden, stellte die EU-Kommission am gestrigen Montag ein „Notfall-Instrument für den Binnenmarkt“ (SMEI für „Single Market Emergency Instrument“) vor. Das sei für die Verwendung in „extremen Situationen“ gedacht, sagte Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton. Man will die Union besser für das „Zeitalter der Permakrise“ wappnen, wie der Franzose es nannte.
Pandemie, Krieg in der Ukraine, Energiekrise – die EU will künftig schneller auf die Herausforderungen reagieren können. Der Vorschlag sieht ein Ampelsystem zur Krisenprävention mit weitreichenden Handlungsermächtigungen für die Brüsseler Behörde vor. Konkret will sie unter anderem Mängel bei strategisch wichtigen Produkten verhindern, wie etwa bei Masken und Beatmungsgeräten, indem sie im Extremfall Unternehmen verbindliche Vorgaben machen könnte. Hersteller könnten dem Entwurf zufolge verpflichtet werden, bestimmte Aufträge zu bevorzugen oder aber vorrangig Europa mit ihren krisenrelevanten Produkten zu beliefern.

Außerdem soll Brüssel für die ganze EU leichter bestimmte Waren auf dem Weltmarkt einkaufen können, hier gelten etwa Impfstoffe als Vorbild. Darüber hinaus sollen Maßnahmen verboten werden, mit denen die Mitgliedstaaten die Reisefreiheit einschränken könnten. Sollte eine Krise einen Mitgliedstaat direkt treffen, Breton nannte als Beispiel ein schweres Erdbeben, wäre es möglich, dass das betroffene Land den „Notfall“ ausruft, um dann der Kommission Sondervollmachten über die Industrie zu geben.
Einige Beobachter wittern "Planwirtschaft"
Handelt es sich hier um „Planwirtschaft“, wie einige Beobachter monierten? EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wies den Vorwurf gestern zurück. Es gehe darum, dafür zu sorgen, dass „der Markt funktioniert“, sagte die Dänin. Dass etwa Lieferketten nicht unterbrochen würden. „Das ist zum Wohle von uns allen.“ Auch Breton verwies auf die Lehren, die man gezogen habe. „Wir müssen besser darauf vorbereitet sein, die nächste Krise zu antizipieren und darauf zu reagieren“, sagte der Franzose. Die EU dürfe nicht wieder Monate brauchen, um die Versorgung mit Schlüsselgütern sicherzustellen. Breton war es, der in den ersten Wochen der Pandemie die Regierungen in den europäischen Hauptstädten einzeln angerufen hatte mit dem Appell, doch bitte die Grenzen wieder aufzumachen oder geöffnet zu lassen – und nicht die Regeln des gemeinsamen Binnemarkts auszuhebeln.
Im nächsten Schritt beraten die 27 Länder und das EU-Parlament über die Vorschläge. Im Kreis der Abgeordneten wurde das vorgeschlagene Instrument gestern vornehmend positiv aufgenommen. Es sei „die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Covid-Pandemie und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine“, sagte der Europaabgeordnete Andreas Schwab (CDU). Corona habe gezeigt: „Erst wenn jedes einzelne Land in der Union sicher ist, sind alle in der Union sicher.“ Das Notfallinstrument werde „die Personenfreizügigkeit stärken und die Versorgung aller EU-Bürger mit krisenrelevanten Gütern sicherstellen“, so Schwab.
Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini unterstützte die Pläne ebenfalls. „Im Notfall-Mechanismus liegt die große Chance, Stärken und Schwächen der Mitgliedstaaten durch ein gemeinsames Vorgehen auszugleichen“, sagte sie. Angesichts der Inflation, der kletternden Energiepreise und rasant steigender Lebenshaltungskosten stünden Verbraucher vor einem harten Herbst und Wnter.
Ein Ziel ist, Unterbrechungen im Binnenmarkt zu vermeiden
„Diese Schwierigkeiten können nur durch mehr Kooperation“ angegangen werden. Die Grundlagen, auf denen die europäische Wirtschaft aufbaue, „haben sich als nicht krisenfest erwiesen“, sagte der EU-Parlamentarier René Repasi (SPD). Er begrüßte den Vorstoß, zeigte sich aber skeptisch, ob die Maßnahmen ausreichen. „Die reine Beobachtung von Lieferketten und Lagerbeständen relevanter Rohstoffe, Güter und Produkte könnte zu kurz greifen, um Unterbrechungen im Binnenmarkt zu vermeiden.“
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