Herr Gaß, die Krankenhäuser klagen über tiefrote Zahlen, gleichzeitig steigen die Ausgaben und Beiträge der Krankenkassen auf ein Rekordniveau. Läuft das Gesundheitssystem finanziell aus dem Ruder?
Gerald Gaß: Man muss die beiden Sachverhalte getrennt betrachten, auch wenn die Ursachen in der Gesundheitspolitik liegen. Die Krankenkassen leiden darunter, dass der Staat ihnen immer mehr versicherungsfremde, eigentlich staatliche Aufgaben wie die Versorgungskosten der Bürgergeldempfänger aufzwingt. Allein dadurch fehlen den Kassen jedes Jahr zehn Milliarden Euro. Anders als in vielen Ländern kassiert der deutsche Staat die volle Mehrwertsteuer bei Arzneimitteln ab. Das belastet die Krankenkassen enorm. Und auch die Kliniken leiden unter der Politik, weil Gesundheitsminister Karl Lauterbach sich weigert, die stark gestiegenen Mehrkosten durch die Inflation der Jahre 2022 und 2023 auszugleichen. Das belastet die Krankenhäuser bis heute massiv.
Wie sieht die Lage aktuell aus?
Gaß: Die Lage der deutschen Krankenhäuser ist so dramatisch wie noch nie. Inzwischen stecken laut dem Deutschen Krankenhausinstitut rund 80 Prozent der Krankenhäuser in den roten Zahlen. Die Kliniken schleppen die Folgen der hohen Inflation bis heute mit. Die Rücklagen der Krankenhausträger sind längst weggeschmolzen, die Kreditlinien überschritten. Das zwingt uns zu harten Einschnitten. Abteilungen werden geschlossen, Personal wird eingespart, Standorte werden aufgegeben, bevor sie in die Insolvenz geraten. Gerade die kleineren Häuser in ländlichen Regionen unter 300 Betten bewerten ihre Lage besonders pessimistisch.
Was heißt das aus Patientensicht?
Gaß: Die Schließung von Standorten und Abteilungen folgt wegen der aktuellen Gesundheitspolitik oft nicht mehr der Logik, trotz Sparmaßnahmen die Versorgung in einer Region noch sicherstellen zu können. Jetzt geht es oft nur noch knallhart betriebswirtschaftlich darum, wie man schnell große Verlustbringer loswerden kann. Verantwortlich dafür ist Minister Lauterbach, der diesen kalten Strukturwandel trotz aller Warnungen billigend in Kauf nimmt und in Teilen sogar bewusst verschärft hat. Für die Bevölkerung bedeutet diese Politik in vielen Regionen eine schlechtere Versorgung in ihrer Nähe. Und generell erleben wir bereits jetzt den Beginn der Wartelistenmedizin.
Was heißt das in der Praxis?
Gaß: Die Situation aus früheren Jahren, dass Patienten von einem niedergelassenen Arzt ins Krankenhaus eingewiesen werden, weil eine stationäre Behandlung erforderlich ist, wird sehr viel häufiger mit Wartezeiten verbunden sein, wenn es sich nicht um einen dringenden Notfall handelt. Patienten müssen in diesen Fällen damit rechnen, dass sie nicht sofort und auch nicht ins nächstgelegene Krankenhaus kommen. Karl Lauterbach ist mit dem Versprechen angetreten, dass es mit ihm keine Verschlechterung der Versorgung geben werde, tatsächlich hat er den Weg in eine Rationierung von Leistungen zum Nachteil der Patienten geebnet. Diese Entwicklung hätte die Politik unbedingt vermeiden müssen. Auch das Versprechen des Ministers, die Krankenhäuser vom ökonomischen Druck zu entlasten, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Der ökonomische Druck war für die Kliniken noch nie so groß wie in diesen Zeiten. Die Konsequenzen bekommen leider auch die Patientinnen und Patienten zu spüren.
Aber liegt das nicht auch an einem ineffizienten System der Kliniken? Der Betrag der Kassen für Klinikbehandlungen hat 2024 erstmals 100 Milliarden Euro überschritten. Ein Drittel der gesamten Kassenausgaben.
Gaß: Die Patientenzahlen in den Kliniken sind nach der Pandemie zunächst zurückgegangen, doch jetzt steigen sie wieder deutlich. Die Pflegekosten gehen enorm nach oben, was auf neue Personalvorgaben und die Ausgliederung aus den Fallpauschalen zurückzuführen ist. Und natürlich führen berechtigte Tarifsteigerungen und die Inflation auch zu einem Anstieg der absoluten Kosten. Dennoch ist der Anteil der Klinikbehandlungskosten an den Ausgaben der Krankenkassen in den vergangenen 20 Jahren gesunken. Und im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sehen wir auch über Jahrzehnte keine Steigerung. Die wiederholte Unterstellung des Bundesgesundheitsministers, die Kliniken wären der Kostentreiber im Gesundheitswesen, ist also falsch.
Wird die Krankenhausreform die hohen Ausgaben senken können?
Gaß: Die Reform wurde kurz vor Toresschluss der Ampelkoalition verabschiedet – ohne Konsens zwischen Bund und Ländern. Viele Bundesländer haben angekündigt, die Reform nach einem Regierungswechsel im Bund in wichtigen Punkten zu korrigieren, auch SPD-geführte Länder. Das ist auch bitter nötig: So wie sie beschlossen wurde, bringt sie nichts von dem, was versprochen wurde: keine Sicherstellung der Versorgung in den ländlichen Räumen, keine Entbürokratisierung oder Qualitätsverbesserung.
Sind Sie nicht ungnädig mit Minister Lauterbach? Er hat entgegen seiner Vorgänger die Reform angestoßen, nach 20 Jahren die digitale Patientenakte und das E-Rezept eingeführt ...
Gaß: Meine Bilanz bemisst sich an den Themen, die für die Krankenhaus- und Patientenversorgung wichtig sind. Natürlich ist die Bereitschaft, überhaupt eine große Krankenhausreform anzugehen, anerkennenswert. Auch das Ziel, eine bundeseinheitliche Krankenhausplanung nach Leistungsgruppen auf den Weg zu bringen, ist ein Verdienst von Karl Lauterbach. Doch durch die kompromisslose Art und Weise wie der Minister in unnötigem Streit mit den Ländern Politik macht, wurden selbst Dinge nicht erreicht, über die zuvor Konsens bestand.
Können Sie sich vorstellen, dass Karl Lauterbach bei einer großen Koalition Minister bleibt?
Gaß: Karl Lauterbach hat selbst klar angekündigt, dass es mit ihm keine Kompromisse geben wird und er seinen bisherigen Weg genau so weitergehen will. Doch wir brauchen das genaue Gegenteil dieser Politik mit der Brechstange: mehr Miteinander und Konsens im sensiblen Bereich der Gesundheitspolitik, die jeden einzelnen betrifft. In diesem extrem bedeutsamen Politikfeld müssen die Menschen der Politik vertrauen können. Deshalb wäre es wichtig, wenn sich die großen Blöcke überparteilich grundsätzlich einigen, wie man das Gesundheitssystem zukunftsfest machen kann. Deutschland braucht eine Zeitenwende in der Gesundheitspolitik und dafür braucht es wohl auch einen personellen Wechsel an der Spitze des Ministeriums.
Was wäre hier neben der Krankenhausreform der wichtigste Punkt?
Gaß: Es klingt vielleicht abgedroschen, aber wir brauchen wirklich dringendst Entbürokratisierung: Sowohl das ärztliche als auch das pflegerische Personal verbringt im Schnitt jeden Tag drei Stunden ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Vorgaben. Die Bürokratie allein im ärztlichen Bereich kostet Deutschland so viel wie 60.000 volle Klinikarztstellen. Und auch unter der jetzigen Bundesregierung stieg die Bürokratie noch weiter: Zum Beispiel verpflichtet das neue „Medizinforschungsgesetz“ Krankenhäuser, ärztliches Personal minutengenau einzelnen Patienten und sogenannten Leistungsgruppen zuzuordnen. Ärzte müssen also dokumentieren, wie lange sie bei welchem Patienten waren – sogar in Mehrbettzimmern. Diese Regelung ist absurd. Mit nur einer Stunde weniger Dokumentationsaufgaben, hätten wir bundesweit über 20.000 Ärzte und fast 50.000 Pflegekräfte mehr, die sich um Patienten kümmern könnten. Das wäre ein großer Beitrag zur Lösung unseres Fachkräftemangels.
Zur Person: Gerald Gaß (61) ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem Dachverband der Krankenhausträger.
Dazu kann man nur sagen.. Meine Herren Ärzte, Vorstände und alle die lange zugesehen und ihnen es zu gut gegangen ist.. daran seit ihr alle Mitschuld.. Aus Patientensicht heißt das, dass ständig Termine verschoben werden, andere Medikamente verschrieben werden die wieder neue Nebenwirkungen hervorrufen, dass man als Patient bei Kontrolluntersuchungen ständig einen anderen ausländischen Arzt hat, der nicht mal den Namen richtig aussprechen kann, fast kein deutsches Personal mehr da ist.. die Schwestern Krankenakten vorlesen müssen. Wenn denn schon.. dann wieder mehr Qualität statt Quantität..
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