Es ist ein Tag großer Symbolik und Gesten: Bei Trommelwirbel und Trompetenklang stehen Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier Arm in Arm vor einem soeben gemeinsam niedergelegten Kranz.
Die Staatsoberhäupter Frankreichs und Deutschlands gedenken in Oradour-sur-Glane der Opfer des brutalsten SS-Kriegsverbrechens in Westeuropa. Auf den Tag genau vor 80 Jahren hatten deutsche Soldaten 643 Kinder, Frauen und Männer bestialisch ermordet und den Ort im Westen Frankreichs niedergebrannt. Jetzt demonstrieren beide Präsidenten: Aus den Gegnern von einst sind Freunde geworden.
"Ich möchte im Namen Deutschlands meine Erschütterung und meine Trauer zum Ausdruck bringen über die unfassbaren, die so grausamen und unmenschlichen Verbrechen, die Deutsche hier (...) begangen haben", sagt Steinmeier in seiner Rede, die er auf Französisch hält. Und er kritisiert scharf, dass die namentlich bekannten Täter später in Deutschland nicht verurteilt wurden. Er sei beschämt darüber, dass schwerste Verbrechen nicht gesühnt worden seien. "Hier hat mein Land noch einmal eine zweite Schuld auf sich geladen."
Nur wenige Menschen überlebten
Soldaten der 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" löschten nur wenige Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie das ganze Dorf aus. Die Männer wurden in Scheunen getrieben und erschossen, Frauen und Kinder in der Dorfkirche eingeschlossen. Sie starben durch giftigen Phosphorrauch, Kugeln und Handgranaten oder verbrannten. Nur wenige Menschen überlebten das Massaker, das die SS als Vergeltungsaktion für Angriffe des stärker werdenden französischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer ausgab.
"Die Massaker von Oradour gehören in den Bereich des Undenkbaren, Unsagbaren, Unverjährbaren", sagt Macron während der Gedenkfeier. Immer werde man sich an Oradour erinnern. "Und in dieser Erinnerung, in der Asche von Oradour, müssen wir die Kraft dieser Versöhnung, die Wurzel unseres europäischen Projekts und unseren immer noch vorhandenen Willen zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wieder aufleben lassen."
Der französische Staat hatte die Ruinen von Oradour-sur-Glane erhalten. Sie sind heute ein Mahnmal - für die Leiden der französischen Bevölkerung unter der deutschen Besatzung, aber auch für die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Krieg. Seite an Seite gehen Steinmeier und Macron vor dem Gedenkakt über die Dorfstraße an den Ruinen vorbei.
Wichtige Begleitung für Steinmeier und Macron
In ihrer Begleitung: Karin Eideloth aus Deutschland und Agathe Hébras aus Frankreich, die eine Enkelin eines der Täter von 1944, die andere Enkelin eines der wenigen Überlebenden. Zwischendurch hält Macron die Hand von Eideloth und Steinmeier die Hand von Hébras - noch so eine Geste der Versöhnung.
Für Eideloth war es "in erster Linie ein Schock", als sie erfuhr, dass ihr Großvater Adolf Heinrich einer der etwa 150 SS-Männer war, die in Oradour-sur-Glane wüteten. Seitdem setzt sie sich damit auseinander, steht seit einiger Zeit in Kontakt mit Hébras. Dass ihr Großvater einer der Täter war, erfuhr Eideloth durch die Regisseurin Karen Breece, die die Hintergründe des grausamen Geschehens für ihr Theaterprojekt Oradour recherchiert hatte.
Eine "Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut" habe dies bei ihr ausgelöst. Bis heute erfasse sie ein Entsetzen, wenn sie daran denke. Fast fünf Jahre brauchte Eideloth, bis sie das erste Mal nach Oradour-sur-Glane fuhr. "Es war ganz furchtbar, die Bilder werden dadurch so lebendig", erinnert sie sich an ihre Reise im Jahr 2022. Geholfen hat ihr, wie freundlich, offen und wohlwollend sie empfangen wurde. "Ich habe da eine ganz große Herzlichkeit erfahren." Dafür sei sie den Menschen "unendlich dankbar".
Auch Steinmeier dankt den Menschen in Oradour für das "wunderbare Werk der Versöhnung". Seine Lehre aus der Vergangenheit: "Vergessen wir nie, was Nationalismus und Hass in Europa angerichtet haben." Und: "Schützen wir unser vereintes Europa!" Das sage er gerade am Tag nach den Europawahlen. Dass er dabei die vielen Erfolge rechter Parteien im Blick hat, muss Steinmeier nicht extra erwähnen.
(Von Ulrich Steinkohl und Michael Evers. dpa)