
Wie hoch steigen die Krankenkassenbeiträge noch?


Exklusiv AOK und Union zerpflücken die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach (SPD). Hilft eine Mehrwertsteuersenkung bei Medikamenten?
Hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den vom Kollaps bedrohten Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wirklich die richtige Therapie verschrieben? Daran werden die Zweifel immer lauter. So warnt die AOK vor einer "historischen Krise" und der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger befürchtet einen "Tsunami" immer weiter steigender Beiträge. Unserer Redaktion sagte er: „Die aktuellen Lösungsvorschläge der Bundesregierung sind planlose Einmalmaßnahmen, die das eigentliche Problem nicht nachhaltig lösen.“

Angesichts eines drohenden Defizits von 17 Milliarden Euro im kommenden Jahr hatte der SPD-Politiker Lauterbach kürzlich den Entwurf für ein "GKV-Finanzstabilisierungsgesetz" vorgelegt. Es sieht unter anderem eine Steigerung des Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte und eine Auflösung von Finanzreserven der Kassen vor. Ärzte sollen weniger Geld für Neupatienten erhalten und die Pharmafirmen eine "Solidaritätsabgabe" zahlen.
Pilsinger, wie Lauterbach selbst Mediziner, kritisiert den Entwurf massiv und warnt vor verheerenden finanziellen Folgen für die Versicherten: "Wenn nicht zeitnah eine grundlegende Reform der Kassenfinanzierung durchgeführt wird, dann droht ein regelrechter Beitrags-Tsunami, bei dem die Beitragserhöhungswelle jedes Jahr höher wird." 2023, so hat er ausgerechnet, würde der Zusatzbeitrag um 0,5 Prozentpunkte, in den beiden Folgejahren sogar jeweils um mindestens einen Prozentpunkt steigen müssen – je nach Kasse.
Brandbrief an Lauterbach: Wie können die Krankenkassen Geld sparen?
In einem Brandbrief an Lauterbach, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt, macht Pilsinger zwei konkrete Vorschläge, wie die Gesetzlichen Krankenkassen ihre Defizite um allein 16 Milliarden verringern könnten. Eine Entlastung von zehn Milliarden Euro ergebe sich, wenn der Bund die Kosten für die Krankenversicherung von Beziehern von Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") vollständig übernehmen würde. Die Gesundheitsvorsorge für Langzeitarbeitslose wird bisher zu einem großen Teil von der Gemeinschaft der Krankenversicherten finanziert.Doch es handle sich um eine originäre soziale Aufgabe des Gesamtstaats, ungerecht sei zudem, dass Nicht-Gesetzlich-Versicherte dazu nichts beitragen müssten.
Weiterhin drängt Pilsinger auf eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Medikamente von 19 auf sieben Prozent, dies würde die Kassen um weitere sechs Milliarden entlasten. Es sei "nicht erklärbar, warum Grundnahrungsmittel wie Brot, Butter, Käse und Wurst derzeit mit einer Mehrwertsteuer in Höhe von sieben Prozent belegt sind, während auf lebenswichtige Medikamente wie Zytostatika und Blutdrucksenker 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden". Pilsinger sagte: "Allein diese beiden Maßnahmen würden die Kassen langfristig signifikant entlasten.“

AOK befürchtet dramatische Folgen
Angesichts des drohenden Rekord-Defizits der GKV von 17 Milliarden Euro warnt auch die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, vor dramatischen Folgen. „Wir haben eine fragile Situation“, sagte sie dem Handelsblatt. Lauterbach müsse verstehen, dass die Kassen leer sind. Sollte Deutschland in eine Rezession rutschen, werde dies das Kassensystem in eine „historische Krise“ stürzen. „Darauf ist niemand vorbereitet“, so Reimann.
Für Widerspruch hatten Lauterbachs Reformpläne laut Frankfurter Allgemeine auch bei den Koalitionspartnern Grüne und FDP gesorgt. Während der Gesundheitsminister beteuerte, sein Vorhaben eng mit Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner abgestimmt zu haben, kritisierte Parteivize Wolfgang Kubicki, die Fachsprecher hätten davon erst aus der Presse erfahren. Er kündigte an, in der parlamentarischen Abstimmung werde es "erhebliche Änderungen" geben.
Die Vorbehalte der FDP richten sich offenbar gegen die Pläne, Pharmafirmen mit einer Milliarde Euro zur Kasse zu bitten. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, verteidigte Lauterbach zwar gegen den Vorwurf, sein Plan sei in der Ampel nicht abgestimmt. Doch auch er sieht Nachbesserungsbedarf. Wie CSU-Mann Pilsinger fordert er, dass der Staat mehr für die Beiträge der Langzeitarbeitslosen an die Kassen zahlt.
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