Das habe er im Bundestag noch nicht erlebt, sagte SPD-Urgestein Wolfgang Thierse 2012, nachdem die Praxisgebühr wieder abgeschafft worden war. Einstimmig hatten die Mitglieder des Parlaments für ein Ende der Gebühr gestimmt – ein Indiz dafür, wie verhasst oder zumindest überflüssig sie inzwischen geworden war. 13 Jahre später sehen die Spitzen von Union und SPD das offenbar wieder anders und feilen an einer Rückkehr der Praxisgebühr. Denn die Löcher in den Finanzen der Krankenkassen, die mit der Gebühr gefüllt werden sollen, sind inzwischen wieder aufgerissen.
„Zu einer besseren und zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe führen wir ein verbindliches Primärarztsystem ein“, heißt es im Zwischenpapier für die Koalitionsverhandlungen der beiden Parteien. Weiter ist die Rede von „freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte“ und einer „hausarztzentrierten Versorgung“. Das hieße: Wer eine Beschwerde hat, soll diese von seinem Hausarzt begutachten lassen – der dann nach seiner Einschätzung eine Überweisung an einen Facharzt ausstellen könnte. „Primärarzt“, wie es in dem Papier genannt wird, und somit erster Ansprechpartner wären so immer Hausärzte und -ärztinnen, Fachärztinnen und -ärzte kämen in der Regel erst auf Überweisung ins Spiel. Dass damit auch die Praxisgebühr zurückkehren würde, wäre naheliegend.
Warum die Praxisgebühr mit der neuen Bundesregierung zurückkommen könnte
Denn der Plan aus den Koalitionsverhandlungen wäre offenbar ein Steuerungsinstrument, mit dem verhindert werden soll, dass Fachärzte mit unnötigen Terminen überlastet werden. Das würde die Ausgaben der Krankenkassen reduzieren – eine Praxisgebühr würde ihnen zusätzlich Geld bringen. Steuern ließe sich der Andrang bei Fachärzten jedoch nur, wenn es beim Umgehen des „Primärarztsystems“ auch Konsequenzen für Patientinnen und Patienten gäbe. Von 2004 bis 2012 funktionierte das so: Für den ersten Arztbesuch im Quartal waren zehn Euro Praxisgebühr fällig, wer danach ohne Überweisung eine andere Praxis konsultierte, musste wieder zahlen. Denkbar also, dass dieser Plan nun wieder aus der Versenkung geholt wird.
Dabei hatten 2012 nicht nur die Abgeordneten im Bundestag das Ende der Praxisgebühr befürwortet. Die Ärzteschaft frohlockte regelrecht, als die Gebühr Geschichte war. „Als Steuerungsmittel hat sie versagt, als Bürokratietreiber nicht“, schrieb das Ärzteblatt damals. Für die Ärzte bedeutete die Gebühr schließlich Verwaltungsaufwand, weil sie das Geld eintreiben, dokumentieren und weiterleiten mussten – behalten durften sie die zehn Euro für die Krankenkassen freilich nicht. Patientinnen und Patienten echauffierten sich ebenfalls darüber, Geld beim Arzt zahlen zu müssen: „Ihren Unmut darüber bekamen nicht selten Ärzte und Medizinische Fachangestellte zu hören“, berichtet das Ärzteblatt.
Koalitionsverhandlungen: Welchen Effekt die Praxisgebühr bis 2012 hatte
Den Ansturm auf die Arztpraxen zu lenken, gelang der Praxisgebühr indes zumindest zu Beginn offenbar: Sowohl eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) als auch des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommen zu dem Ergebnis, dass die Arztkontakte nach Einführung der Gebühr sanken. Die Forscherinnen und Forscher des ZI halten jedoch fest: „Noch während der Zeit der Praxisgebühr stiegen die Behandlungsfallzahlen wieder an“ – nach einer Gewöhnungszeit ließ die Wirkung der Gebühr also teils nach. In ihrem Antrag auf Abschaffung schrieben die damaligen Regierungsparteien von CDU/CSU und FDP, die Praxisgebühr habe es nicht nachhaltig geschafft, Arztbesuche zu reduzieren. Auf der Einnahmenseite brachte die Gebühr den Kassen dabei jährlich knapp 2 Milliarden Euro ein. Wohl auch deshalb sind aus Reihen der Kassen wieder Stimmen zu hören, die sich für ihre Rückkehr einsetzen.
„Das würde aktuell Milliarden bringen“, sagte Ralf Hermes, der Vorstandsvorsitzende der IKK Innovationskasse, in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Geld, das die Kassen aktuell dringend benötigen: Die Versicherer sind seit Langem im Defizit, Rücklagen wurden etwa im Lauf der Corona-Pandemie auch auf Druck der Politik aufgebraucht – eine Folge davon sind auch steigende Beiträge. Um die Löcher in den Kassen zu stopfen, ist man nun offenbar bereit dazu, die ungeliebte Praxisgebühr wieder einzuführen. Das hat auch soziale Sprengkraft: Denn für Arztbesuche eine Gebühr zu verlangen, könnte arme Menschen und diejenigen, die häufiger auf Behandlungen angewiesen sind, benachteiligen.
Nicht zuletzt deshalb schaffte man die Praxisgebühr 2012 wieder ab. Leisten konnte man sich das damals noch eher: Im Vergleich zu heute sahen die Finanzen der Kassen deutlich entspannter aus. Ob die derzeit angespannte Lage mit der Praxisgebühr jedoch tatsächlich aufgelockert werden kann, wird von vielen bezweifelt: 320 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen vergangenes Jahr eingenommen. Einen großen Unterschied dürften die zwei Milliarden Euro aus der Praxisgebühr nicht zwingend machen.
Bei Fehldiagnosen der Ärzte, sollten die Krankenkassen nur einen Teil der Vergütung bezahlen. Gleiches für erfolglose Behandlungen. Da könnten die Krankenkassen viel Geld einsparen. Das Anbieten von den s.g. IGel Leistungen gehört den Kassenärzten untersagt. Hier werden in vielen Fällen, die Patienten nur unter Druck gesetzt.
"Zu einer besseren und zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe führen wir ein verbindliches Primärarztsystem ein ...“. Frei nach den Gebrüdern Grimm "Es war einmal". Mensch, welche Märchen will man den Wählern denn noch erklären. Wie soll eine schnelle Terminvergabe stattfinden, wenn ganz einfach viel zu wenige Fachärzte vorhanden sind?
Was haben Ihre "Fehldiagnosen" (was auch immer das sein soll) nun mit der "Praxisgebühr" zu tun? Das erschließt sich mir nicht.
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