Für die Menschen in Israel war die Befreiung von drei jungen Frauen aus quälend langer Geiselhaft ein Anlass für Freude, Rührung, Erleichterung. Die Hamas dagegen nutzte die Übergabe der Geiseln am Sonntag als brachiale Demonstration ihrer Macht. Hunderte Hamas-Männer, vermummt und bewaffnet, drängten sich um die Frauen, während diese sich in Gaza-Stadt den Weg zu einem Wagen des Roten Kreuzes bahnten. Auf einem der Bilder legt ein vermummter Hamas-Mann seine schwarz behandschuhte Hand auf die Schulter der 24-jährigen Romi Gonen – eine Geste, die einer muslimischen, einer „ehrbaren“ Frau in Gaza gegenüber ein Tabu wäre. Eine andere Aufnahme zeigt einen Hamas-Kämpfer in Tarnfleck, Kalaschnikow über der Schulter, auf dem Dach des Roten-Kreuz-Wagens stehend – eine rohe, bedrohliche Pose des Triumphs.

Seit Israel und die Hamas sich Ende vergangener Woche auf eine Waffenruhe geeinigt haben, lassen sich die Terroristen als Sieger feiern. Die Bilder aus Gaza stehen dabei in krassem Gegensatz zu den Verkündungen der israelischen Regierung. Israels Armee werde die Hamas „zerstören“, hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu noch am 7. Oktober 2023, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas, verkündet. Seitdem hat Netanjahu dieses Versprechen vielfach wiederholt, zudem konkretisiert: Keinesfalls dürfe die Hamas nach dem Krieg noch Gaza kontrollieren, weder politisch noch militärisch.
Doch wer stattdessen Gaza regieren sollte, sobald die Waffen schweigen würden, sagte er nicht. Versuche der israelischen Regierung, einflussreiche Clans in Gaza als alternative Führungsmacht zu rekrutieren, liefen ins Leere. Israels Rechtsaußen-Finanzminister Bezalel Smotrich fordert inzwischen offen die Eroberung des gesamten Gazastreifens. „Wir müssen den gesamten Streifen erobern und dort eine Militärherrschaft errichten“, sagte er. Doch vorerst sind es die Männer der Hamas, die sich noch vor dem Abzug der israelischen Truppen in Gaza als triumphierende Herrscher inszenieren.
Hamas reklamiert den Waffenstillstand als Erfolg für sich
Khalil Al-Hayya, einer der führenden Hamasvertreter außerhalb Gazas, feierte die Waffenruhe als „historischen Moment“. In einer Rede, die er vergangene Woche in Katar aufnahm, verurteilte er den Krieg, in dem den Hamas-Behörden zufolge über 46.000 Palästinenser zum Opfer gefallen sind, als „schlimmsten Völkermord der Moderne“ – und pries zugleich den Angriff vom 7. Oktober, der diesem Krieg vorausgegangen war, als „Quelle des Stolzes für unser Volk und unseren Widerstand“.
In ihrem Machtanspruch beschränkt die Hamas sich nicht auf Propaganda. Am Samstag verkündete die Gruppe, die ihr unterstellte Polizei würde „sofort nach Inkrafttreten der Waffenruhe in sämtlichen Provinzen des Gazastreifens eingesetzt“.
Für Michael Milshtein, Vorsitzender des Forums für Palästinenserstudien an der Universität von Tel Aviv, kommen diese Entwicklungen nicht überraschend. „Schon jetzt, in diesem Moment, baut die Hamas in Gaza ihre Macht wieder auf“, sagt er gegenüber dieser Redaktion. „Für die Hamas ist die Waffenruhe ein großer Sieg. Dass zehntausende Palästinenser getötet wurden, dass Gaza komplett zerstört ist, spielt keine Rolle. Es reicht, dass die Hamas überlebt hat und Israel keinen großen Sieg einfahren konnte.“ Milshtein, der früher die Abteilung für palästinensische Angelegenheiten des militärischen Geheimdienstes leitete, zählt zu den wenigen israelischen Experten, die vor dem 7. Oktober 2023 so konsequent wie vergeblich vor der Hamas gewarnt hatten.
Wer soll künftig im Gazastreifen herrschen?
Die vormalige US-Regierung unter Präsident Joe Biden hatte darauf gedrängt, der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die Teile des Westjordanlands kontrolliert, nach Kriegsende mit der Verwaltung Gazas zu betreuen. Israels Regierung sperrt sich gegen diese Möglichkeit. Um die Hamas in Schach zu halten, haben US-Vertreter außerdem die Idee einer multinationalen Friedenstruppe unter Beiteilung arabischer Golfstaaten ins Spiel gebracht. Milshtein hält die Erwartung, die daran geknüpft werden, jedoch für unrealistisch, weder die PA noch eine multinationale Truppe wären willens und in der Lage, es mit der Hamas aufzunehmen.
Mit seiner Lesart ist Milshtein in Israel nicht allein. „Jeder, der sich die Mühe gemacht hat, die Lage in Gaza zu verfolgen, und der sich nicht von Netanjahus Erklärungen und seinen Propagandisten hat täuschen lassen, hätte schon vor langer Zeit ahnen können, dass dies das Ergebnis des Krieges sein würde“, schrieb am Montag der Analyst Amos Harel in der Zeitung Haaretz. „Die traurige Wahrheit ist, dass Israel den Krieg größtenteils am 7. Oktober 2023 verloren hat.“
Möglicherweise wäre die Überschrift "Ein Pakt unter Terroristen" angebrachter.
Ich denke eher die Bilder sprechen sich; eine wirklich wehrhafte liberale Demokratie auf der einen Seite und Faschisten dieses mal mit grünem Band auf der anderen Seite.
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