
Widersprüchliches Gedenken: Finanzministerium in ehemaligem Nazi-Bau

Immer wieder wird der Umgang mit Gebäuden, die von den Nazis errichtet wurden, diskutiert. Wie empfinden Holocaust-Überlebende diese Widersprüchlichkeit? Ein Ortstermin im Berliner Finanzministerium.
Nicht nur Deutschland, sondern Berlin. Nicht nur Berlin, sondern das Gebäude des Finanzministeriums. Allzu verständlich wäre es, wenn die Überlebenden des Holocaust diesen Ort meiden würden. Doch Colette Avital und Maurice Gluck sind da. Sie sitzen im Innenhof jenes gewaltigen Gebäudekomplexes, den der Nationalsozialist Hermann Göring für sein Luftfahrtministerium errichten ließ.
Hier steuerten die Nazis nicht nur ihren Luftkrieg. Hier beschlossen sie 1938 den Ausschluss der Jüdinnen und Juden aus allen Bereichen der Gesellschaft. „Ich kann nicht an diesem Ort sein, ohne daran zu denken, wozu er in der Vergangenheit diente“, sagt Avital. „Aber ich denke nicht nur an die Grausamkeit, sondern an die fantastische Geschichte deutscher Jüdinnen und Juden.“

Holocaust: Wie geht Erinnerung?
Die beiden Überlebenden sind an diesem Abend Teil der Ausstellungseröffnung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ und der Präsentation der Sonderbriefmarke zum 70. Geburtstag der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der Fotograf Martin Schoeller hat 75 Überlebende, darunter Avital und Gluck, in seinem charakteristischen Stil porträtiert. Im immergleichen Winkel hat er sie aufgenommen, der Blick direkt in die Kamera. Die Porträts werden nun für ein Wochenende im Innenhof des Ministeriums in der Wilhelmstraße ausgestellt.
„Manche, deren Gesichter ich hier sehe und die ich kannte, sind inzwischen verstorben“, sagt Colette Avital. Sie ist 1940 in Bukarest geboren und gehört damit noch zu den Jüngeren unter den Porträtierten. „Das ist furchtbar und ich vermisse sie.“ Ihre persönliche Trauer stellt gesellschaftliche Fragen an die Zukunft: Wie wird der deutsche Staat dem Thema Erinnerungskultur gerecht, wenn in einigen Jahren die letzten Zeitzeugen verstorben sind? Hier kommt dem Finanzministerium eine zentrale Rolle zu, da es für die Zahlungen im Rahmen der „Wiedergutmachung“ verantwortlich ist.
Umwidmung von Gebäuden: Ein Nazi-Bau für eine Ausstellung?
Seit Langem wird die Widersprüchlichkeit der Weiternutzung, Aneignung und Umwidmung von Nazi-Gebäuden diskutiert. Wie fühlt es sich an, als Überlebende des Nazi-Terrors durch ein Gebäude zu laufen, in dem ebenjener Terror geplant wurde? Ein Gebäude, in dem heute wieder ein deutsches Ministerium sitzt. Ein monumentaler Bau, der die Macht des Staates über das Individuum in Stein fassen soll. Dani Dayan, der Vorsitzende von Yad Vashem, spricht ruhig und bewegt von den Werten und Idealen, die jetzt in diesem Innenhof hochgehalten werden – und die von seinen Erbauern abgelehnt wurden.
Maurice Gluck muss kurz überlegen, ob es für ihn einen Unterschied macht, dass er die Ausstellung heute hier eröffnet und nicht, wie schon häufiger, etwa in einer Schule. „Es ist sehr gut, dass diese Zeremonie und diese Ausstellung hier, im Zentrum der Nazi-Luftwaffe, stattfinden“, sagt er dann. Für ihn persönlich mache es keinen großen Unterschied. „Aber es macht einen Unterschied für andere Menschen. Sie sollen sehen, dass im Herzen Berlins heute, auch angesichts der wachsenden Zustimmung für die AfD, noch Platz ist für Gedenken, Verständigung und menschliche Sympathie.“
Colette Avital hatte ebenfalls keine Zweifel, hierherzukommen. Grundsätzlich sei sie optimistisch, weil Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Verantwortung übernommen habe. Aber auch sie besorgt der Aufstieg der AfD. „Wir waren uns eigentlich sicher, dass die Menschen nach dem Krieg die Lektion gelernt hatten“, sagt sie. „Aber wir haben noch eine große Aufgabe vor uns.“
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Ich finde es gut, dass das Gebäude weiter genutzt und erhalten wird. So kann es neben seiner aktuellen Funktion auch in mehreren Jahrzehnten noch als verantwortungsvolle Erinnerung an das Geschehene eingesetzt werden. Der x-te moderne Glasbetonbau kann das nicht.