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Interview: „Es spürt doch jeder im Land, dass wir wachsamer sein müssen“

Interview

„Es spürt doch jeder im Land, dass wir wachsamer sein müssen“

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    Der thüringische Ministerpräsident Mario Voigt (CDU).
    Der thüringische Ministerpräsident Mario Voigt (CDU). Foto: Martin Schutt, dpa

    Herr Voigt, im Juli beginnt die Brombeersaison. Mögen Sie die Früchte überhaupt? Oder haben Sie Brombeeren langsam satt?
    MARIO VOIGT: Brombeeren schmecken sehr gut. Ich habe zu meiner Wahl einen Brombeerbusch geschenkt bekommen. Die Brombeeren blühen. In meinem Garten und auch politisch.

    Von außen betrachtet funktioniert Ihre Koalition aus CDU, BSW und SPD reibungsloser, als man das hätte erwarten können. Auf Bundesebene allerdings gibt es immer wieder Schlagzeilen, die das BSW betreffen. Wie wirkt sich das auf Ihre Regierung in Erfurt aus?
    VOIGT: Wir regieren pragmatisch und vertrauensvoll miteinander. Das hat sich sehr gut angelassen.

    Und das haben Sie wie geschafft?
    VOIGT: Wir haben uns auf klare Schwerpunkte verständigt: Wir wollen wirtschaftliches Wachstum, einen funktionierenden Staat und Investitionen in die Zukunft – in Bildung, Sicherheit und Infrastruktur. Das eint uns. Und über allem steht die Stärkung der Thüringer Identität. Diese gemeinsame Klammer gibt unserer Arbeit Richtung und Stabilität. Deshalb lassen wir uns von Berliner Debatten nicht ablenken – wir konzentrieren uns auf das, was für Thüringen zählt.

    Sie haben Zivildienst gemacht. Wie blicken Sie gerade auf die Militarisierung in Deutschland?
    VOIGT: Ich spreche von Verteidigungsfähigkeit. Es spürt doch jeder Bürger im Land, dass wir wachsamer und verteidigungsbereiter sein müssen. Es gibt Verschiebungen hin zu einer neuen Weltordnung, die jeden Tag sichtbar und spürbar sind. Im Übrigen bin ich ein großer Befürworter eines Deutschlandjahres. Das stärkt auch den Zusammenhalt im Land.

    Nach Jahren der Abrüstung kam plötzlich die Zeit des Aufrüstens. Dazwischen war wenig, eine Debatte über die Notwendigkeit einer stärkeren Bewaffnung fiel doch praktisch aus?
    VOIGT: Aufrüstung ist der falsche Begriff. Es geht darum, dass wir über lange Jahre die deutsche Sicherheit an andere outgesourct haben. Und wenn die USA jetzt einen Präsidenten haben, bei dem nie klar ist, was jetzt als nächstes kommt, sind wir als Europäer gut beraten, verantwortungsvoll eigene Entscheidungen zu treffen. Sie führen dazu, dass wir auch in Konfliktsituationen selbst entscheiden können. Wir sind in der Realpolitik angekommen und da gefällt es mir besser, wenn Politiker nicht um den heißen Brei herumreden, sondern Klartext reden. Und Klartext bedeutet heutzutage, alles dafür zu tun, dass Deutschland und Europa sicher sind.

    In Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern ist die Haltung stärker verbreitet, dass man sich mit Russland irgendwie einigen sollte, damit der Krieg in der Ukraine endet. Was ist Ihre Meinung?
    VOIGT: Ich bin einer der ersten gewesen, die mehr diplomatische Initiative von Europa gefordert haben. Meine Kritik war, dass es nicht die Bemühungen gegeben hat, die sich viele Menschen wünschten. Nur was haben wir in den letzten Wochen erlebt? Es gab viele Angebote, auch initiiert von Bundeskanzler Merz, sich an einen Tisch zu setzen und jedes Mal ist das von Russland zurückgewiesen worden. Ein Großteil der Menschen will weiterhin, dass wir schnell zu Frieden und einer diplomatischen Lösung kommen. Gleichzeitig sind die Menschen aber in ihrem Realismus weiter als manche Politiker.

    Sie haben im Koalitionsvertrag in Thüringen vereinbart, dass sie den Stimmen der Bevölkerung mehr Ausdruck verleihen wollen, und zwar über Bürgerräte. Das wurde auch mal auf Bundesebene diskutiert, ist über ein Modellprojekt aber nicht weit hinausgekommen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
    VOIGT: Wir beginnen in der zweiten Jahreshälfte mit den Bürgerräten. Das hat auch mit der vorherigen Frage zu tun: Wir brauchen in diesen Zeiten einen viel engeren Austausch mit der Bevölkerung. Wir werden das als Thüringer beispielgebend für andere Regionen in Deutschland umsetzen. Das entbindet Politik allerdings nicht davon, Entscheidungen zu treffen.

    Wie gehen Sie vor?
    VOIGT: Ich bin ein Anhänger der parlamentarischen Demokratie und halte es für wichtig, dass die maßgeblichen Institutionen gewählt sind. Es wird also kein Nebenparlament geben. Gleichzeitig finde ich, dass Politik sich nicht nur dadurch auszeichnen sollte, alle fünf Jahre mal zur Wahlurne zu rufen. Es gilt vielmehr, in Zeiten der Digitalisierung unterschiedliche Gesprächsformate zu nutzen. Ich möchte für eine politische Kultur stehen, die in Zeiten der Polarisierung dafür Sorge trägt, dass möglichst alle Stimmen gehört werden. Gleichzeitig muss die Gesellschaft wieder zusammenfinden. Es gibt zu viele, die die Trennung in der Gesellschaft anheizen, und das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel als Ministerpräsident ist es, Thüringen zusammenzuführen. Und ich glaube, dass Bürgerräte dafür ein erfolgversprechendes Instrument sein können.

    Und die Ergebnisse nehmen Sie dann mit in Ihre Regierungsarbeit?
    VOIGT: Ja. Sonst wäre es ja luftleer. Das ist ernsthafte Beteiligung.

    Thüringen zeichnet sich durch eine lebendige Wirtschaft aus. Sie haben fast 100 Weltmarktführer, die wirtschaftlichen Kennzahlen sind so schlecht nicht. Braucht Ihr Land eigentlich diesen schwarz-roten, mit massiven neuen Schulden finanzierten Investitionsbooster, oder kämen Sie auch alleine klar?
    ICH WERBE SEHR FÜR DEN INVESTITIONSBOOSTER, WEIL WIR JETZT DEN NÄCHSTEN SCHRITT GEHEN MÜSSEN. DIE ZENTRALE FRAGE IST DOCH: Wie gelingt es uns, eine moderne Infrastruktur zu schaffen, bei der die Menschen spüren, dass der Staat funktioniert? Dafür braucht es jetzt einen klaren Impuls – und der ist mit diesem Programm möglich.
    Was meinen Sie genau?
    VOIGT: Es geht beispielsweise darum, dass es genug Polizei auf der Straße gibt, dass das Schlagloch wegkommt, dass die Schule stattfindet, dass die Bahn pünktlich kommt. Wir haben in Deutschland 5000 unbesetzte Hausarztsitze, in meinem Heimatland sind es 117. Mein Anspruch ist aber, dass man in 20 Minuten beim Arzt oder bei der Apotheke sein kann. In den großen Regionen Thüringens funktioniert das, auf dem Land hingegen wird es schwierig. Das Sonderinvestitionsprogramm bietet uns die Chance, neue Zukunftsantworten zu geben.

    Können Sie Beispiele nennen?
    VOIGT: Wir setzen auf modernste Technologie, um den Kontakt mit den Ämtern zu erleichtern. Zum Beispiel planen wir Lieferdienste für Medikamente per Drohne. Außerdem bauen wir ausreichend Ladestationen für E-Autos – und zwar nicht nur in den Städten, sondern auch in den kleinen, ländlichen Gemeinden.

    Und das bekommen Sie schnell genug umgesetzt?
    VOIGT: Wir haben unseren Haushalt bereits im April beschlossen und viele Projekte schon fest eingeplant. Damit sind wir handlungsfähig und können zügig umsetzen.

    Am Ende wird Thüringen beim Länderfinanzausgleich gar noch zum Geberland? Herrn Söder würde es freuen.
    VOIGT: Thüringen ist das industrielle Herzstück Deutschlands gewesen. Hätte es nicht die Nationalsozialisten und die Kommunisten gegeben, dann wären wir jetzt schon längst Geberland. Uns wurden durch Mauer und Stacheldraht über 40 Jahre Zeit vor allem bei der wirtschaftlichen Entwicklung genommen, das können wir nicht kompensieren. Aber ich sage Ihnen eins: Wie lange hat Bayern gebraucht, bis es Geberland wurde? 30, 40 Jahre?

    Zur Person: Mario Voigt wurde im Februar 1977 in Jena geboren. Der CDU-Politiker ist seit Dezember 2024 Ministerpräsident in Thüringen. Voigt studierte Politikwissenschaften, Öffentliches Recht und Neuere Geschichte an den Universitäten Jena, Bonn und Charlottesville (USA). Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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