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Foto: Anja Weber
Foto: Anja Weber

Maja Göpel ist Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung.

Interview
05.09.2022

Forscherin Maja Göpel: "Energie wird in Zukunft teurer sein müssen"

Von Stefan Küpper

Maja Göpel ist Expertin für Nachhaltigkeitspolitik. Sie erklärt, warum sie trotz der miserablen Weltlage Optimistin ist, was sie vom Tankrabatt hält und was die Ampel tun sollte.

Frau Göpel, wenn es gelingt, wenn wir anders können, wo könnten wir dann beim Klimaschutz 2050 sein? Wie stellen Sie sich unseren Planeten vor?

Maja Göpel: Wenn ich an die Oberfläche des Planeten 2050 denke, sehe ich viel mehr Grün. Ökologische Systeme zu regenerieren, gesund und stabil zu halten, ist die beste Garantie für einen Lebensraum, in dem es biologischen Wesen wie Menschen gut geht. Das ist die starke Botschaft. Außerdem finde ich biologische Systeme und Wesen – denken Sie nur an Wildwiesen, an Schmetterlinge oder auch einen Romanesco – oft wahnsinnig ästhetisch. Da kann ich nur immer wieder staunend den Kopf schütteln, wenn manche technologischen Superdurchbrüche abgefeiert werden. Wenn ich diese Schönheit und Genialität des Zusammenspiels sehe, die sich die Natur über Millionen Jahre orchestriert haben, drängt sich doch wirklich die Frage auf, warum wir das nicht mehr erhalten. Dann eben Technologien und Lösungen entwickeln, die diese Prinzipien unterstützen, aber nicht ersetzen. Das wäre mein 2050.

Wenn das Ihre Vorstellung der Zukunft ist, was haben Sie gedacht, als Finanzminister Christian Lindner das erste Mal mit dem Tankrabatt um die Ecke kam?

Göpel: In der Innovationsforschung werden drei Horizonte unterschieden, in denen wir nach Lösungen suchen. Der erste Horizont ist der Status quo, es geht um den Erhalt. Im zweiten Horizont geht es um all die innovativ-unternehmerischen Maßnahmen, aus denen Anpassungen des Status quo entstehen. Wichtig ist dabei eben die Orientierung: Schaue ich in den Rückspiegel oder nach vorn. In Transformationszeiten bedeutet zu viel Rückspiegel, dass die Maßnahmen den Horizont 1 weiter puffern sollen, ein System, das schon längst im Verfall begriffen ist. Eine möglichst effektiv und nachvollziehbar gestaltete Umbruchphase mit klarer Lenkungswirkung und Richtungssicherheit begünstigt das nicht.

Und welchen Horizont hat Wirtschaftsminister Robert Habeck, wenn er empfiehlt, kürzer zu duschen?

Göpel: Horizont 2 mit Blick auf Horizont 3 – wie kriege ich hin, dass nicht alles zusammenbricht, aber trotzdem den Kurs auf ein neues Energiesystem beibehalte. Wenn wir unsere Klima- und Umweltschutzziele ernst nehmen, müssen wir viel mehr darüber Rücksprache halten, was ein gutes Maß der Ressourcennutzung ist. Es geht nicht um Verbote, nicht darum, die Freiheit zu rauben. Ressourcenknappheit ist zunächst einfach Rechnen: Wenn alle etwas haben sollen, dann muss ich verteilen. Wenn wir im Winter mehr brauchen, macht es Sinn, jetzt durch Sparen die Speicher schneller zu füllen. Aktuell ändern vor allem die Menschen ihre Gewohnheiten, die es sich finanziell nicht anders leisten können. Gerecht ist das sicher nicht. Dass wir uns darüber nicht verständigen können, ohne dass die Diskussion feindlich wird, ist traurig. Was, wenn nicht eine als fair empfundene Politik, kann uns denn in Krisenzeiten anleiten?

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Der Klimawandel wirkt langfristig viel unbarmherziger als der Krieg. Tut die Ampel genug?

Göpel: Ich glaube nicht, dass sich Klimachaos und Krieg auf einer Ebene behandeln lassen. Im zweiten Fall ist die Rückkopplungsschleife zwischen Aktion und Effekt ja unmittelbar und direkt auf die Zerstörung des Gegenübers ausgerichtet. Genau deshalb bleibt das effektive Handeln bei Klimaschutz ja so schwer: „Die anderen“ in weit entfernten Regionen oder in der Zukunft sind mehr von den Effekten betroffen als ich und mein Handeln orientiere ich weiter an „den anderen“ in meinem direkten Umfeld heute. Ich würde mir wünschen, dass eine deklarierte „Zeitenwende“ dann auch bitte alle Zeitzeichen berücksichtigt. Das sehe ich nicht.

Fortschritt wagen geht anders?

Göpel: Fortschritt bedeutet eben, einen dritten Horizont zu benennen und daraufhin Wirkung erzielen zu wollen, selbst in der Krise. Wir dürfen in der Energiekrise nicht die Lenkungswirkung in Richtung unserer Klimaziele aufgeben. Jetzt werden die Energiepreise künstlich niedrig gehalten, aber klar ist doch: Energie wird in Zukunft teurer sein müssen. Bis alles erneuerbar geht, ist noch eine lange Übergangsfrist. Jetzt kaufen sich Leute ein schweres, dickes Auto, dann heißt es, tanken wird zu teuer, weil der Flottenverbrauch eben nicht sinkt, sondern steigt. Was ist das für ein Anspruch? 12 Liter auf 100 Kilometer – das muss man sich doch wohl noch leisten können in unserer Wohlstandsgesellschaft? Wenn die Idee von dem, was Versorgungssicherheit ist, immer mit unserem Konsumanspruch mitwächst, dann geht es eben nicht um Versorgungssicherheit, sondern um genau das: entgleiste Konsumansprüche. In der Summe ist dann aber durch diese wachsenden Ansprüche die globale Versorgungssicherheit bedroht. Bereits heute befinden wir uns in Situationen der Ressourcen-Triage. Verlieren tun dabei immer die mit weniger Kaufkraft und Macht. Ist dieser Tunnelblick wirklich ein Fortschrittsmodell für das 21. Jahrhundert? Unter welchen Bedingungen fühlen Menschen sich denn sicher versorgt? Bestimmt nicht, wenn ihnen alles weggeschwemmt wird, der Wald vor der Haustüre brennt oder wir die Bilder ertrinkender Menschen im Mittelmeer nicht mehr ertragen können.

Ist eine gewisse Portion an populistischen Maßnahmen vorübergehend nicht legitim, wenn sie dem sozialen Frieden in der akuten Krise dient?

Göpel: In dieser aufgeheizten Stimmung in unserer Gesellschaft würde ich dringend von Populismus jeglicher Art abraten. Faire, transparente und differenzierte Maßnahmen, die Bevölkerungsgruppen und Unternehmen erreichen, die wenig zur Krise beitragen, sie aber voll abkriegen: geringe Konsumniveaus und nachhaltige Geschäftsmodelle. Will ich den Populismus jetzt richtig anheizen, brauche ich nur das Muster weitertragen, das die Besitzstandswahrungspolitik begleitet, die wir aktuell beobachten: Privatisieren von Gewinnen und Sozialisieren von Kosten. Von der Finanzkrise über die Corona-Hilfen bis heute zu dem Nicht-Abschöpfen der Krisengewinne und pauschalen Gasumlagen.

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Trotz all der Krisen lese ich Ihr neues als ein optimistisches Buch. Wie nur kommen Sie zu dieser Haltung angesichts der Weltlage?

Göpel: Wenn es – wie oben skizziert – auch anders gehen würde, dann ist es doch die Verantwortung, das auch aufzuzeigen. Gerade von Personen, die einen großen Teil ihrer Zeit über solche Dinge lesen und forschen dürfen. Dabei geht es nicht unbedingt um klassischen Optimismus, also dass ich mich dafür rechtfertigen soll, ob etwas „realistisch“ ist. Es geht um ein von Vaclav Havel inspiriertes Verständnis von Hoffnung: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ Wenn ich keinen Schritt in Richtung meiner wünschenswerten Zukunft mache, wird Zukunft auch nicht so ausgehen können. Ob genügend Menschen einen ähnlichen Schritt tun, ist außerhalb meiner Kontrollzone – aber innerhalb meiner Inspirationszone. Ist Ihnen mal aufgefallen, wie schnell wir von „nicht so schlimm“ zu „viel zu spät“ gesprungen sind in der Debatte? Aber dazwischen liegt doch ein Möglichkeitsraum, den wir noch gar nicht konsequent genutzt haben! Und letztlich geht es auch nicht um: An oder aus. Planet gerettet oder nicht. Das ist Quatsch. Komplexe Systeme entwickeln sich dynamisch, Trends verstärken sich oder können verlangsamt werden. 1,8 Grad oder zwei Grad Erderhitzung sind immer noch viel besser als 3 bis 5 Grad.

Können Sie nachvollziehen, dass viele ihren Optimismus einfach naiv finden. Ohne staatliche Vorgaben wird es irgendwann nicht mehr gehen.

Göpel: Sind das denn wirklich so viele? Mir stellen sich kaum Personen mit so einer Kritik vor. Realistisch betrachtet ist es für die sehr große Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten deutlich naiver, die Option des Nicht-Handelns zu bevorzugen. Deshalb finde ich die Frage viel interessanter, warum sich einige anscheinend darüber aufregen, dass ich zum Handeln motiviere. Dazu gehört vielleicht der Aspekt, dass jede Transformation ein Strukturwandel ist und daher mit einer Veränderung von Macht und Privilegien einhergeht. Ich empfehle, bei jeder Was-Aussage auch zu fragen, wer das sagt, wie das begründet wird und warum es an diesem Zeitpunkt kommt.

Auf was verzichten Sie?

Göpel: Ich sage zum Beispiel viele Vorträge im Ausland ab, weil ich das als Mutter von zwei Grundschulkindern mit der Bahn zeitlich nicht schaffen würde. Das ginge nur mit dem Flieger.

Was sollte die Ampel machen?

Göpel: Zunächst stabilisieren. Ich würde einen Gesellschaftsvertrag ankündigen. Die Kernbotschaft: Wenn wir wieder in anderem Fahrwasser sind, wird die Chancengerechtigkeit signifikant verbessert, mindestens auf Vorkrisenniveau. Spannung und der Konkurrenzkampf in der Gesellschaft nehmen gerade zu, weil das Regierungshandeln notwendigerweise sehr reaktiv ist und jede Differenzierung gute Begründungen braucht, um nachher nicht angefochten zu werden. Die Verteilungswirkung wird also wenig diskutiert, große und systemrelevante Unternehmen bekommen fast alles, was sie fordern, ohne große Auflagen, während Gießkanne für die Bürger:innen eben auch die weiter stützt, die ihren hohen Konsum trotz der Teuerungen noch gar nicht verändert haben. Das macht vielen Angst, denn es entsteht der Eindruck: Wer näher am Tisch sitzt, bekommt mehr. Deshalb sollte die Regierung meines Erachtens klar sagen: Die jetzigen Verteilungseffekte sind nach der Krise nicht in Stein gemeißelt, sondern natürlich wird danach korrigiert, ohne dass jemand darum betteln müsste.

Und dann?

Göpel: Die Transformationspfade nicht infrage stellen. Auch den Green Deal nicht. Gesellschaften im Umbruch brauchen Richtungssicherheit, besagten Horizont 3. Der wird nicht mehr in Frage gestellt, der Weg dorthin natürlich adaptiv und lernend angepasst. Denn dass immer noch die Idee vertreten wird, wir könnten zu irgendwas zurück, was vor Corona war, ist eine steile These, gerade jetzt mit den geopolitischen Verschiebungen. Für Europa ist es eine wichtige Sicherheitsstrategie, mit so wenig Ressourcen wie möglich eine hohe Lebensqualität zu garantieren. Und mit dieser Fortschrittsformel entwickelte Produkte, Dienstleistungen und Technologien werden schlussendlich alle Länder brauchen.

Drittens?

Göpel: Die Kommunikation aus dem Rückspiegel auf die Ziele drehen, Zwischenziele, Erfolgskriterien, öffentlich präsentierte Fortschrittsmessung, wie es sogar schon mal diskutiert wurde in der Enquete-Kommission zu Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. So dreht sich die Architektur der Aufmerksamkeit weg von einem veralteten Wohlstandsbegriff hin zu dem Vermögen, was Gesellschaften im 21. Jahrhundert aufbauen und pflegen sollten: hohes soziales, ökologisches und Humankapital sind die Bestände, aus denen wir schöpfen können, gerade wenn es krisenhaft wird. Hier gibt es viel zu tun. Eine tolle Fortschrittsagenda.

Zur Person: Maja Göpel ist Expertin für Nachhaltigkeitspolitik. Die Wissenschaftlerin ist Mitglied im Club of Rome und Mitinitiatorin von „Scientists for Future“. Nach dem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ ist nun "Wir können auch anders – Aufbruch in die Welt von morgen" (Ullstein Verlag, 368 Seiten, unter Mitarbeit von Marcus Jauer) erschienen.

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