Frau Haber, Sie waren während der ersten Amtszeit von Donald Trump als deutsche Botschafterin in Washington. Wie haben Sie Trump damals erlebt?
EMILY HABER: Es war schon damals klar, dass Donald Trump sich absetzt von den außenpolitischen Traditionen, die die amerikanischen Vorgänger-Regierungen gekennzeichnet haben. Aber das lässt sich nicht vergleichen mit dem, was wir heute erleben. Natürlich gibt es Konstanten. Dazu gehört etwa die Neigung der Administration, alle Fragen auf eine bilaterale Ebene zu heben. Das verschafft den USA einen asymmetrischen Vorteil in Verhandlungen. Auch die Bedeutung persönlicher Beziehungen war schon in Donald Trumps erster Amtszeit erkennbar. Genauso die Verachtung für internationale Strukturen und Regularien. Dennoch hat sich sehr vieles verändert.
Welche Punkte fallen darunter?
HABER: Das Weiße Haus ist heute sehr viel stärker als das zwischen 2017 und 2021 der Fall war. Das Team um Trump ist viel besser vorbereitet, sowohl personell als auch inhaltlich. Es legt eine ungeheure Eile und Dynamik an den Tag. Diese Dominanz-Inszenierung, die wir heute erleben, ist deutlich ausgeprägter und der Fokus liegt auf harten Machtfaktoren, etwa der Sicherheits- und der Wirtschaftspolitik. Das hat eine neue Qualität.
Werden Donald Trump und seine Administration in diesem Tempo, mit dieser hohen Schlagzahl weiterregieren?
HABER: Die Eile der Trump-Regierung ist ganz klar politisch motiviert. Der Präsident hat die nächsten Zwischenwahlen und die mehr als 30 Gouverneurswahlen, die bis dahin anstehen, im Blick. Bei all diesen Wahlen wird auch ein Urteil gesprochen über die Politik der gegenwärtigen Administration. Deshalb will die Administration so rasch wie möglich Fakten schaffen und die Kosten und möglichen negativen Auswirkungen ihrer Politik möglichst an den Anfang der Regierungszeit setzen, um später die Vorteile einzufahren. Dennoch rate ich bei einer Beobachtung zur Vorsicht: Wir neigen dazu, aus dem Umstand, dass diese Administration so dynamisch agiert, zu schließen, dass die Politik strategisch ausgefeilt ist.
Und das ist nicht der Fall?
HABER: Nein, das ist nicht der Fall. Wir müssen zwingend auch den experimentellen Charakter der Politik von Donald Trump wahrnehmen. Das sehen wir unter anderem in der ständigen Überprüfung oder gar Zurücknahme und dann doch Umsetzung von Entscheidungen, etwa als es um die Einführung von Zöllen gegen Mexiko und Kanada ging. Es sind keine strategischen Ziele, die die Politik definieren. Es ist die Gestaltung eines möglichst großen Handlungsspielraums, aus dem der Präsident dann Ziele ableitet. Dazu setzt Trump auf möglichst große Härte, Drohungen, Zölle oder auch Sanktionen.

Heißt das, dass Präsident Trump eben keinen großen Plan in der Schublade hat, den er nun abarbeitet?
HABER: Es gibt in seiner Umgebung durchaus Menschen, die an einem großen Plan mitgefeilt haben. Das Project 2025 der „Heritage Foundation“ ist ja bekannt. Aber der Präsident selbst traute schon in seiner ersten Amtszeit und nun offenkundig noch sehr viel stärker seinem eigenen Urteil, seinem „snap judgement“. In allen Fragen, mit denen er direkt befasst ist, müssen wir deshalb davon ausgehen, dass er Ziele immer wieder neu definiert – abhängig davon, was erreichbar ist. Wir müssen davon ausgehen, dass er Themen fallen lässt, wenn seine Ziele sich als nicht durchsetzbar erweisen. Trump testet immer wieder aus, was erreichbar ist. Aber einen großen strategischen Masterplan erkenne ich nicht. Was wir sehen, ist experimentelles Regieren durch die Inszenierung maximaler Dominanz.
Alle Experten, auch Sie, haben prophezeit, dass eine zweite Amtszeit Trumps radikaler werden würde als die erste. Trotzdem fallen wir gerade von einer Ohnmacht in die nächste. Hätte Europa sich vorbereiten können? Oder ist das bei einem Unberechenbaren wie Trump nicht möglich?
HABER: Wir hätten uns darauf vorbereiten müssen, dass die USA den Fokus von Europa abwenden, weil sie sich in anderen Regionen stärker herausgefordert sehen. Wir hätten daraus den Schluss ziehen müssen – und haben damit ja auch angefangen -, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, was wir selbst leisten können und leisten müssen. Und zwar unabhängig davon, welcher Präsident im Weißen Haus regiert. Aber richtig ist auch, dass man sich im Detail manchmal nur schwer vorbereiten kann, wenn ein Präsident experimentell agiert oder wenn er völlig unterschiedliche und unverbundene Themenfelder miteinander verknüpft. Nehmen Sie das Beispiel Kolumbien. Das Land hätte sich schlicht nicht darauf vorbereiten können, dass der Präsident mit maximalen Zöllen und Sanktionen reagieren würde, weil in einem konkreten Fall zwei US-Militärmaschinen mit abgeschobenen Migranten nicht landen konnten. Dies war jenseits des Planbaren. Wenn ein Vorgehen ad-hocistisch, experimentell und ohne klare Vorstellungen von einem strategischen Endziel ist, dann ist eine immunisierende Vorbereitung schwierig.
Haben Sie den Eindruck, dass die Europäer den Ernst der Lage inzwischen erkannt haben? Oder bleibt es bei Sonntagsreden?
HABER: Ich glaube, dass die Europäer den Ernst der Lage erkannt haben und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Erst in dieser Woche wurde im Bundestag über ein milliardenschweres Paket für die Vereidigung abgestimmt, im Mittelpunkt der Debatte stand auch die neue amerikanische Politik. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir aufrüsten müssen, weil sich ein transatlantischer Paradigmenwechsel vollzogen hat. Den kann niemand mehr übersehen.

Ein Bild, das sich auch den Europäern eingebrannt hat, war, als Trump und sein Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras gedemütigt haben. Es ist so etwas wie das Symbol dieser neuen Zeitrechnung geworden. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Aufnahmen gesehen haben?
HABER: Das war eine Dominanz-Inszenierung. Und es war ein Beispiel dafür, dass der Präsident seine Macht vor allem gegenüber Schwächeren und gegenüber Verbündeten ausspielt. Er macht das weitaus weniger gegenüber China und Russland. Wenn wir also von einem transaktionalen Präsidenten sprechen, also einem Präsidenten, der Deals abschließt, so können wir das nach diesen ersten Wochen eigentlich nur bei gleichrangigen Mächten konstatieren – nicht bei Partnern. Dort ist Donald Trump bereit zu eskalieren, egal ob es sich um nachrangige Meinungsverschiedenheiten handelt oder um existenzielle Fragen. Selbst, wenn das eine totale Abkehr von der bisherigen Politik bedeutet. Insofern hat die Erwartung getrogen, dass er in seiner zweiten Amtszeit angesichts der geopolitischen Verschiebungen auf der globalen Landkarte sehr viel stärker auf Verbündete setzen müsse, um gemeinsame westliche Macht zu projizieren.
Während der Pressekonferenz von Trump und Selenskyj schwenkten die Kameras auf die ukrainische Botschafterin, die sichtlich erschüttert war. Sie waren selbst Diplomatin. Was kann Diplomatie noch ausrichten im Umgang mit einer solchen Administration?
HABER: Sie dürfen aus dem Umstand eines vollkommen undiplomatischen Verhaltens nicht schließen, dass Diplomatie sich erübrigt hat. Diplomatie bedeutet, Möglichkeiten auszuloten, die roten Linien der anderen Seite und auch die eigenen zu kennen, zu unterscheiden zwischen eilig, wichtig und unverzichtbar. Das erlaubt es der Diplomatie, Handlungsspielräume und mögliche Kompromisse zu definieren. So etwas bleibt nach wie vor wichtig, auch wenn der Modus Operandi, also die Art des Handelns, dieser Administration so konfrontativ ist. Hinzu kommt allerdings aktuell, dass viele Stellen der neuen Regierung noch gar nicht besetzt sind. Es fehlen ganze Hierarchie-Ebenen, und das schmälert die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.
Ist Amerika so etwas wie unser Gegenspieler geworden – oder geht diese Feststellung dann doch zu weit?
HABER: Ich glaube, dass sich tatsächlich drei neue Fronten aufgetan haben. Die erste ist die Wirtschafts- und Handelspolitik. Diese Front ist nicht ganz neu, sie war schon in Trumps erster Amtszeit sichtbar. Die zweite ist die Sicherheitspolitik. Erkennbar wird dies in den Äußerungen des Präsidenten über die Belastbarkeit von Artikel 5 des Nato-Vertrages, also der Beistandspflicht. Die dritte Front wurde erkennbar, als der amerikanische Vizepräsident Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen hat. Er sagte dort, dass die größte Gefahr für Europa von europäischen Regierungen ausgeht, weil diese angeblich die freie Rede und die freie Meinungsäußerung einschränken. Da offenbarte sich, dass wir auch in der Frage unserer Werte in unterschiedliche Richtungen gehen. Das ist kein unerheblicher Punkt, weil der Topos der freien Meinungsäußerung – oder die Art und Weise, wie diese selektiv verstanden wird - im amerikanischen Kulturkampf ganz bewusst genutzt wird. Mit der Rede hat der Vizepräsident diese Auseinandersetzung auch zu einem Faktor der transatlantischen Beziehungen gemacht.
Trotz – oder wahrscheinlich ja sogar eher wegen – seiner Politik sind die Zustimmungswerte für Trump in der amerikanischen Gesellschaft hoch. Wie lässt sich das erklären? Was ist mit den USA geschehen?
HABER: Es hat in den USA einen Rechtsruck gegeben, das steht völlig außer Frage. In neun von zehn Distrikten haben die Republikaner bei den letzten Wahlen erheblich oder zumindest etwas zugelegt. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren zunehmend politische Loyalität statt Sachinteressen zum bestimmenden Kriterium geworden ist. Gleichzeitig gibt es einen anderen Trend: Viele Amerikaner sehen die Entwicklung der Wirtschaft kritisch, das Vertrauen der Konsumenten ist gesunken und die Erwartungen trüben sich stark ein. Das könnte zumindest ein Hinweis darauf sein, dass auf längere Sicht der Blick auf Trump kritischer werden könnte.
Gibt es überhaupt noch ein Korrektiv, was ist mit den Demokraten?
HABER: Im Moment ist die demokratische Partei vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sie hat sich für eine Strategie entschieden, die davon ausgeht, dass die Trump-Administration sich durch ihr Vorgehen selbst beschädigen wird. Protest gibt es dennoch, aber er geht stärker aus von den Bundesstaaten, der Justiz und auch von Nichtregierungsorganisationen, die fast alle Schritte der neuen Regierung juristisch anfechten.
Sehen Sie in Trumps Umfeld noch Menschen, die auf ihn positiv einwirken können?
HABER: In Trumps erster Amtszeit gab es viele Republikaner, die ein großes Standing hatten und als angesehene Persönlichkeiten mit eigenen Vorstellungen galten. Inzwischen hat der Präsident vor allem Loyalisten um sich versammelt. Das heißt nicht, dass sie alle einer Meinung sind, es gibt sehr wohl unterschiedliche politische Vorstellungen. Einig sind sie sich in ihrem Umsetzungsfuror. Aber ich sehe im Moment im republikanischen Lager keine Persönlichkeit, die sich gegen Trump profilieren würde. Loyalität ist das Entscheidende, auch wenn das Team ein „team of rivals“, ein Team von Rivalen ist.
Müssen wir nun „einfach“ vier Jahre durchhalten und dann sind wir das System Trump wieder los?
HABER: Wir müssen uns anschauen, wo es strukturelle Veränderungen gibt und was vielleicht nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Zu den strukturellen Veränderungen gehört, dass ein Großteil des heutigen Amerikas nicht mehr an die Kosten-Nutzen-Rechnung glaubt, die frühere Jahrzehnte geprägt hat: dass freier Handel und offene Grenzen Vorteile für alle bringen würden, dass die Investitionen in die Sicherheit von Verbündeten Amerikas Rolle in der Welt unterstützen. Daran glauben die Menschen nicht mehr. In diesem Punkt sind sich Demokraten und Republikaner einig. Daraus müssen wir schließen, dass sich in vier Jahren die politischen Verhältnisse keineswegs in Richtung einer vergangenen Normalität zurückbewegen werden. Anders gesagt: Die neue Normalität wird diese strukturellen Verschiebungen widerspiegeln. Hinzu kommt: Einzelne Entscheidungen kann man vielleicht rückgängig machen. Was man nicht rückgängig machen kann, ist ein Vertrauensverlust in die internationale und kooperative Führungsrolle der USA. Insofern haben wir es mit einer transatlantischen Zeitenwende zu tun.
Zur Person
Emily Haber, 69, hat eine lange diplomatische Karriere hinter sich. Sie war unter anderem politische Direktorin (2009–2011) und Staatssekretärin im Auswärtigen Amt (2011–2013), später im Innenministerium (2014–2018). Von 2018 bis 2023 diente die promovierte Historikerin als deutsche Botschafterin in Washington - als erste Frau in diesem Amt. 2024 wurde Haber das Große Bundesverdienstkreuz verliehen.
>>>Müssen wir nun „einfach“ vier Jahre durchhalten und dann sind wir das System Trump wieder los?<<< Nein, denn eines ist sicher. Trump wird im Laufe seiner aktuellen Amtszeit versuchen Gesetzesänderunge dahingehend durchzusetzen, dass das Präsidentenamt nicht nur für zwei Amtszeiten ausgeübt werden kann, sondern dass er noch für weitere eins, zwei, drei oder mehr Amtszeiten (sofern die Natur es nicht hoffentlich bald regelt) als Präsident gewählt werden kann. Amerika ist auf dem Weg in eine korrupte Bananenrepublik.
Ja - es wird die erste Bananenrepublik, die in Wirtschaft, Militär, Wissenschaft (die USA stellen seit Jahren schon die meisten Nobelpreisträger) usw. weltweit führend ist und auf nicht absehbare Zeit führend bleibt. Und ob Trump 4 Jahre, 8 Jahre oder noch länger Präsident ist, jeder Präsident der USA hat/hatte das America-first-Gen in seinerm Blut.
Das Problem: Deutschland hat keine Spitzenpolitiker, die sich gegen Trump oder andere Länderfürsten*innen durchsetzen können. Und wer glaubt, dass sich die USA-Politik ändern würde, wenn Trump sein Amt beendet, sollte vor dem Schlafengehen dafür beten.
Die Spitzenpolitiker, die Sie sich vorstellen, müssen wahrscheinlich erst geschnitzt werden. Oder Sie orientieren sich an Vorbildern, die wir nicht mehr im Portfolio haben möchten.
DEU ist einfach zur weichgespült. Immer schön Rücksicht nehmen ; im Zweifelsfall klein beigeben- Kompromisse um jeden Preis auch zum eigenen Nachteil eingehen, international nicht anecken , sich auf übergeordnete Regeln beziehen wie EU und sich dahinter verstecken. Bei deu Politikern fehlt vollständig die Mentalität. Germany First. Und dann jammern oder gar noch den moralischen Oberlehrer heraus kehren
Was denn nun? Nicht anecken oder moralisch handeln? Wenn moralisch gehandelt wird - kein Geld an Kriegstreiber und Menschen Schlächter wie Russland, Saudi Arabien und China - dann ist das für Leute wie sie moralisierend. Wenn man Germany First handelt: Unabhängigkeit in der Stromversorgung, Investitionen im Inland, Förderung von Arbeitskraft im Inland um für die alte Generation zu zahlen: Weichgespült und Staatsversagen! Wenn Germany first bedeutet die Rente zu zerstören und die Zukunft des Landes aufs Spiel zu setzen - dann sind Menschen wie sie auf einmal fröhlich, oder?
Nein, Herr Hoeflein, Germany first brauchen wir wirklich nicht. Das können sich vielleicht in begrenztem Rahmen die USA leisten, aber wohin Trumps Reise mit diesem Trip gehen wird, wird man sehen. Ein Land wie Deutschland kann nicht allein in der Welt bestehen, es braucht Partner und ein gutes Netzwerk wie die EU. Dass es da Regeln gibt, ist selbstverständlich. Dass man sie einhält, ist kein Wegducken und sich Verstecken, sondern dient dem Zusammenleben. Wissen Sie, warum Dänemark eines der glücklichsten Länder ist? Weil der Gemeinsinn sehr viel mehr zählt als das Individuum. Mit ihrem Ego-Trip können Sie vielleicht Eindruck schinden, produktiv ist er nicht.
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