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Interview: Militärexperte Masala zur Bedrohung durch Russland: „Wer das nicht sehen will, ist blind“

Interview

Militärexperte Masala zur Bedrohung durch Russland: „Wer das nicht sehen will, ist blind“

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    Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, will die Gesellschaft für die Gefahr durch die russische Politik sensibilisieren.
    Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, will die Gesellschaft für die Gefahr durch die russische Politik sensibilisieren. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Sie schildern in ihrem neuen Buch „Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“, wie Moskau im Jahr 2028 mit einer faktischen Kapitulation der Ukraine im Rücken die Nato durch eine kluge Bündnispolitik und militärische Nadelstiche ins Wanken bringt. Haben Sie das für einen Politikwissenschaftler nicht alltägliche Stilmittel einer Fiktion mit literarischen Elementen gewählt, um für Ihre Warnung vor einem aggressiven Russland mehr Resonanz zu finden?
    CARLO MASALA: Ja, genau. Ich wollte zeigen, was passieren könnte, wenn Russland den Krieg gegen die Ukraine gewinnt. Um das ein bisschen interessanter zu machen als einen rein wissenschaftlichen Essay, mit dem ich wohl weniger Leute erreichen würde.

    Hat es Ihnen Spaß gemacht, dieses Genre einzusetzen?
    MASALA: Nein, überhaupt nicht. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, weil ich ständig daran dachte, dass ich mich auf ein mir völlig fremdes Terrain vorgewagt hatte. Ich habe mich total aus meiner Wohlfühlzone herausbewegt.

    Als sie dieses Buch geschrieben haben, konnten Sie noch nicht wissen, wie feindselig sich US-Präsident Trump und seine Berater über ihre einstigen Verbündeten äußern würden und wie klar sie sich Putin annähern. Wäre Ihre Fiktion mit diesem Wissen noch düsterer ausgefallen?
    MASALA: Nein, das war relativ unabhängig davon, was Trump im Konkreten machen wird. Mein Text spielt im Jahre 2028. Was bis dahin passiert, wer in den wichtigsten Staaten regiert, konnte ich nicht absehen. Also wäre ich in einer Sackgasse gelandet, wenn ich die einzelnen Figuren feingranuliert Trump oder einem Kanzler Merz nachempfunden hätte. Ich habe das Buch vor der US-Wahl geschrieben. Ich war mir allerdings fast sicher, dass Trump es schaffen würde. Deshalb habe ich in meiner Fiktion einen amerikanischen Präsidenten skizziert, der sich definitiv einer Unterstützung oder einer Sicherheitsgarantie für Europa verweigern würde.

    Ihr US-Präsident ähnelt tatsächlich nicht dem aktuellen Amtsinhaber. Dennoch: Wie können Politiker in Europa mit dem real existierenden Trump umgehen?
    MASALA: Er will aus Europa rausgehen. In diesem Punkt kann man ihn nicht umstimmen. Er hat erklärt, dass er die Sicherheit primär für Europa nicht mehr garantieren werde. Das Zweite ist, dass Trump bewusst Unberechenbarkeit in alle Richtungen einsetzt. Am Beispiel des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine: Da spielt er mit seiner Unberechenbarkeit gegenüber Russland, gegenüber der Ukraine und gegenüber den Europäern. Von daher ist er kein zuverlässiger Partner mehr.

    Wie kann man ihm begegnen?
    MASALA: Die Europäer sollten nicht über jedes Stöckchen springen, sich nicht daran entlanghangeln, was Trump jeden Tag von sich gibt, sondern ihren eigenen Weg verfolgen.

    In Ihrem Szenario besteht die Nato den Test nicht. Die russischen Politiker und Militärs sind der Allianz taktisch und mental überlegen. Wie kommt es dazu?
    MASALA: Es geht um Ablenkung. Russland übt Druck auf Europa aus, indem es Migration aus Afrika forciert. Moskaus Verbündeter China provoziert den Westen durch die Besetzung eines Riffs im Südchinesischen Meer, das von den Philippinen beansprucht wird. Dann besetzen russische Truppen die estnische Kleinstadt Narva, in der viele Russen leben, und eine kleine Insel in der Ostsee.

    Sie schildern eine kühl durchdachte Strategie des Kremls ...
    MASALA: Ich schreibe ja nicht über einen vollumfänglichen Angriff auf Estland oder Polen. Es ist ein kalkuliertes Risiko, das Russland in meiner auf Gegebenheiten und wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Fiktion eingeht. Moskau testet den Zusammenhalt der Nato aus: Sollte die Allianz reagieren, zieht sich Russland zurück, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Wenn die Nato nicht reagiert, ist das Bündnis am Ende. So ist das Szenario in meinem Buch. Dann hätte Russland gewonnen.

    Sie sind sich sicher, dass es Putin um mehr geht als die Vernichtung der Ukraine. Was sind seine strategischen Ziele?
    MASALA: Denken Sie an den Brief, den Putin am 17. Dezember 2021 nach Washington und Brüssel geschickt hat. Und denken Sie an die Äußerungen vor zwei, drei Monaten mit Blick auf amerikanisch-russische Verhandlungen. Da sagen die Russen, sie wollen über europäische Sicherheitsstrukturen reden. Es geht ihnen dabei um die Abwicklung der Nato-Erweiterung seit 1997. Das würde bedeuten, dass die US-Truppen Mittel- und Osteuropa verlassen. Ja, die Russen haben weitergehende Ziele, die sie sehr klar formuliert haben, und zwar schon vor dem militärischen Angriff auf die Ukraine. Wer das nicht sehen will, ist blind.

    Ihr Buch liest sich wie eine Abrechnung mit der Strategielosigkeit der Europäer. Was muss sich ändern?
    MASALA: Jetzt sind wir in Europa zum ersten Mal an einem Punkt, an dem wirklich klar wird, dass man allein dastehen könnte und handeln muss. Früher gab es nur Lippenbekenntnisse, jetzt sehen wir zumindest konkretes Handeln, das aber noch konkreter und schneller werden muss.

    Sie beklagen, dass das hypnotische Starren auf die nukleare Bedrohung durch Russland die Handlungsfähigkeit der EU lähmt.
    MASALA: Ich glaube, es geht nicht um die Frage, ob wir jetzt einen eigenen nuklearen Schutzschirm spannen, oder darum, dass die Deutschen eigene Nuklearwaffen produzieren. Wir müssen realistisch mit nuklearen Drohungen umgehen. Denn nicht jede nukleare Drohung führt zum nuklearen Krieg. Wir müssen lernen, einzuschätzen, wann das Risiko eines Einsatzes von Nuklearwaffen real ist und wann es nur Teil einer Abschreckungsstrategie ist. Im Ukraine-Krieg jedenfalls war ein solcher Einsatz bisher nicht real. Wenn Sie die Diskussion in Frankreich, Italien oder in Polen verfolgen, sehen Sie, dass keine Gesellschaft, keine Politik sich so sehr von nuklearen Drohungen hat einschüchtern lassen wie die Deutschen.

    Nach aktuellen Umfragen ist eine große Mehrheit der Deutschen für ein Sondervermögen zur Verteidigung. Ist die Bevölkerung auf dem Weg zu einer größeren Resilienz gegen die russische Bedrohung?
    MASALA: Die Deutschen waren – was ihre öffentliche Meinung anbelangt – eigentlich immer stabil gegen die russische Bedrohung. Es war die Politik, die geglaubt hat, dass man den Deutschen viele Dinge nicht zumuten kann.

    Ich nehme an, Sie hoffen, dass Sie mit Ihrer Fiktion völlig danebenliegen?
    MASALA: Ja, natürlich hoffe ich, dass ich nicht recht habe. Die Szenario-Technik, die ich anwende, ist dazu da, darüber nachzudenken, was in Zukunft möglich wäre. Ich sage nicht, dass wir eigentlich gleich aufgeben können. Es geht mir um die Diskussion, ob Russland in der Lage ist, Nato-Gebiet anzugreifen. Greifen sie Polen an oder die baltischen Staaten? Ich halte es für wahrscheinlicher, dass Russland die Nato austestet. Und im Nachwort schreibe ich, was wir aus meiner Sicht tun müssen, damit wir nicht vor diese Situation gestellt werden.

    „Wenn Russland gewinnt“ von Carlo Masala ist ab 20. März 2025 im Handel erhältlich.
    „Wenn Russland gewinnt“ von Carlo Masala ist ab 20. März 2025 im Handel erhältlich. Foto: Verlag

    Zur Person

    Carlo Masala, 54, arbeitet als Professor für internationale Politik bei der Universität der Bundeswehr in München. Sein neues Buch „Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“, 116 Seiten, ist jetzt im Beck Verlag erschienen.

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    4 Kommentare
    Sieglinde M. Kolb

    Herr Masala ist ein äußert bedachter, intelligenter Experte, denn er hat gerade mit seinem Buch bewiesen, wie sehr … er die Deutschen versteht. Aus eigenem Erleben (u.a. Themen Hochsensibilität und Seele) weiß ich, wenn man in Deutschland etwas Wichtiges, Eindringliches zu sagen hat und es mit der Wahrheit versucht, diese sogleich als Fiktion abgetan wird. Fiktion scheint demnach die beste Version zu sein, die Wahrheit auf den Tisch zu legen. So wird sie besser verstanden und schneller akzeptiert. Die unterirdische Nadelstichpolitik des großen Ost-Reichs ist hinlänglich seit Urzeiten bekannt und der Autor ein absoluter Kenner der Lage. Es ist im Kleinen wie im Großen – als vor etwa 20 Jahren die Amerikaner aus Deutschland abzogen, wurde diese Lücke unumkehrbar „anschleichend unfreundlich“ gefüllt. Jetzt verlassen/verunsichern die USA uns im Großen (D/EU). Deutschland muss aus seinem dummen (!) Denken und Verharren in Ängsten sofort herauskommen! Zum AUFWACHEN gibt es keine Alternative!

    Franz Wildegger

    Richtig, Frau Sieglinde M. Kolb, aber das begreifen einfach ein paar "hörige Schreiber/innen von Putin und Trump" hier im Forum leider nicht, Nein. Diese Leute glauben wenn man diesen beiden radikalen Führern von Russland und den USA, schon die linke Wange mehrmals hingehalten hat, dass Mann/Frau dann auch noch die rechte Wange hinhalten soll, um darauf geschlagen zu werden! Unglaublich wie dumm doch manche Leute sind, dass man glaubt so den Frieden in der Ukraine und vot Allem wir unsere eigene Sicherheit bekommen können! Wie gut doch, dass es die Sahra Wagenknecht mit ihrer komischen BSW-Truppe "nicht" in den neuen Bundestag geschafft hat, wenigstens ein kleiner Trost für alle vernünftigen Menschen, Ja!

    Wolfgang Boeldt

    Masala selbst redet von einer Fiktion. Das sit eben nicht über all angekommen. Das könnte vielleicht bei einigen, nicht allen, etwas aufhellen: "Mit der Realität ist die Wirklichkeit, also die tatsächliche Lage gemeint. So wie etwas "in echt" ist. In einer Nachrichtensendung wird über die Realität berichtet. Fiktion ist immer etwas Erdachtes, frei Erfundenes, das der Einbildung von jemandem entspringt." Zitat aus Google

    Maria Reichenauer

    Herr Boeldt, Sie brauchen uns nicht über Fiktion und Realität aufklären, so schlau sind wir schon selbst. Aber Masala schreibt nicht nur Fiktionen, er ist auch häufig als Experte Gast in Nachrichtensendungen und da geht es tatsächlich um Realität. Und es klingt durchaus vernünftig, was er da zu sagen hat, auch wenn ein Trump-Fan das nicht immer so sehen will.

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