Frau Buyx, in Ihrem neuen Buch „Leben und Sterben“ gehen Sie der Frage nach, wie Entscheidungen über Leben und Tod ethisch getroffen werden können. Fangen wir bei der Entstehung des Lebens an. Die Pränataldiagnostik kommt immer häufiger zum Einsatz. Führt das zu einer Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung?
ALENA BUYX: Das sogenannte Kränkungsargument besagt, dass werdende Eltern, die sich nach einem entsprechenden Befund bei der Pränataldiagnostik entscheiden, eine Schwangerschaft abzubrechen damit auch eine Abwertung von Menschen mit Behinderung zum Ausdruck bringen, die sich dadurch gekränkt fühlen können.
Aber Frauen und Paare, die sich in solchen Fällen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, haben doch gar nicht die Absicht, Menschen mit Behinderung zu kränken…
BUYX: Richtig. Wer sich in einem solchen Fall für den Schwangerschaftsabbruch entscheidet, macht zunächst lediglich Gebrauch von seinem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Aber wenn – auch aufgrund von pränataler Diagnostik – immer weniger Kinder mit bestimmten Behinderungen geboren werden, kann das dazu führen, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien stärker stigmatisiert werden. Eltern von Kindern mit Behinderung werden ja durchaus mal gefragt: „Warum haben Sie das denn nicht verhindert? Das wäre ja nun wirklich nicht nötig gewesen.“ Das ist für die Betroffenen natürlich fürchterlich.
Was kann dagegen getan werden?
BUYX: Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen sagen völlig zu Recht, dass das Klima für sie gerade nicht gerade besser wird. Wir müssen für ein gesellschaftliches Klima sorgen, das Vielfalt toleriert.
Elon Musks Firma Neuralink will weiteren Patienten Chips ins Gehirn implantieren, um so unter anderem Parkinson, Demenz und Depression zu behandeln. Würden Sie sich von Elon Musk einen Chip ins Gehirn implantieren lassen?
BUYX: Ich kann mich ja für Neues begeistern und sehe auch in dieser Technologie durchaus Potenzial, aber mir von Elon Musk beziehungsweise seinem Unternehmen einen Chip einbauen zu lassen, wäre das Letzte, was ich machen würde. Never ever! Ich bin doch nicht wahnsinnig!
Warum würden Sie Elon Musk nicht an Ihr Gehirn lassen?
BUYX: Mit Hilfe des Chips könnte man ja über meine neuronalen Aktivitäten möglicherweise Ableitungen machen. Bei dem, was umgangssprachlich als „Gedankenlesen“ bezeichnet wird, wurden zuletzt mit KI irrsinnige Fortschritte gemacht. Zudem könnten über den Chip auch Impulse an mein Gehirn geschickt werden. Es ist vielleicht noch ein bisschen Science-Fiction, aber schon bald könnte man so von außen gewisse Kontrollfunktionen ausüben. Nie, nie, niemals würde ich einem Unternehmen von Elon Musk – einer so derart nicht vertrauenswürdigen Figur – den Zugriff auf mein Gehirn gewähren.
Sie beschäftigen sich auch ausführlich mit dem Lebensende und raten allen, eine Patientenverfügung abzuschließen. Aber die meisten Leute wollen sich nicht mit ihrem Tod auseinandersetzen. Warum sollte man es dennoch tun?
BUYX: Lassen Sie mich mit zwei Zahlen antworten. In Deutschland sterben über 70 Prozent der Menschen in einer Einrichtung des Gesundheitswesens. Die schöne Vorstellung, dass wir zu Hause gemütlich im Kreis der Familie entschlafen, ist für die meisten Menschen also keine Realität.
Und die zweite Zahl?
BUYX: Fast 11 Prozent aller Menschen – ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das Ergebnis dieser Studie aus dem Jahr 2024 las – sterben in Deutschland unter künstlicher Beatmung. So will man wirklich nicht sterben, wenn es irgendwie geht. Das sage ich in aller Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen, die sich um diese Patienten kümmern. Aber wir sollten alle ein bisschen mehr darüber nachdenken, wie wir unser Leben und eben auch unser Lebensende gestalten wollen. Und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist.
Beim selbstbestimmten Sterben spielt auch die aktive Sterbehilfe eine Rolle. In Belgien, Holland und Luxemburg dürfen Ärztinnen und Ärzte unheilbar Kranken auf deren Wunsch ein tödliches Mittel verabreichen. Sollte die aktive Sterbehilfe auch in Deutschland legalisiert werden?
BUYX: Ich denke über diese Frage seit Langem nach und halte aktive Sterbehilfe für ethisch begründbar. Dennoch plädiere ich nach Abwägung der verschiedenen Pro- und Contra-Argumente nicht dafür, sie in Deutschland einzuführen.
Was spricht für die aktive Sterbehilfe?
BUYX: Vor allem die Selbstbestimmung, das Argument: „Ich will möglichst selbst bestimmen, wann und wie ich sterbe.“ Dagegen zu argumentieren ist durchaus schwer, denn in einer freiheitlichen Demokratie ist Selbstbestimmung ein sehr hohes Gut.

Warum plädieren Sie dennoch nicht für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe?
BUYX: Beim ärztlich assistierten Suizid setzt der Patient seinem Leben zum Beispiel durch das Trinken eines Medikamenten-Cocktails selbst ein Ende. Bei der aktiven Sterbehilfe hingegen ermächtigt der Patient den Arzt, dies zu tun. Die sogenannte Tatherrschaft liegt damit beim Mediziner. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen: Töten soll prinzipiell nicht Teil unserer Praxis sein. Andere sagen, die übertragene Verantwortung sei einfach zu groß. Wieder andere verweisen auf die bestialischen Tötungen durch Mediziner zur Zeit des Nationalsozialismus. Und andere haben Angst vor einem Normalisierungseffekt. Sie befürchten, dass ältere oder kranke Menschen die aktive Sterbehilfe als vermeintlich ‚einfachen‘ Ausweg sehen könnten, um Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu entgehen oder sich sogar gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen könnten, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
BUYX: Ich habe Angst vor dem Tod der Menschen, die ich liebe, nicht so sehr vor meinem eigenen Tod. Allerdings: Wenn man Kinder hat, denkt man schon darüber nach, was man verpassen würde, wenn man früh stirbt.
Zur Person
Alena Buyx (47) ist Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München. 2016 wurde sie in den Deutschen Ethikrat berufen, von 2020 bis 2024 war sie dessen Vorsitzende. Sie ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. 2024 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Buyx ist verheiratet und hat mit ihrem Mann zwei Söhne. Ihr Buch „Leben und Sterben. Die großen Fragen ethisch entscheiden“ erscheint am 26. März im S. Fischer Verlag.
Wenn Frau Buyx sagt „Bei dem, was umgangssprachlich als „Gedankenlesen“ bezeichnet wird, wurden zuletzt mit KI irrsinnige Fortschritte gemacht. Zudem könnten über den Chip auch Impulse an mein Gehirn geschickt werden. Es ist vielleicht noch ein bisschen Science-Fiction, aber schon bald könnte man so von außen gewisse Kontrollfunktionen ausüben.“ … dann sollten wir das sehr ernst nehmen, denn bereits vor vielen Jahren wies ihre Vorgängerin im Ethikrat darauf hin, dass das, was machbar ist, früher oder später auch ausgeführt werden wird. Es mag jetzt noch „gruselig“ anmuten, doch (nicht nur) diese Entwicklungen werden uns sehr bald sehr deutlich vor Augen geführt werden. Auch ich habe mich vielfach mit dem Tod auseinandersetzen müssen, nicht zuletzt mit meinem. Daher unterstütze ich ausdrücklich das Werben für Patientenverfügungen, denn diese sichern unsere Selbstbestimmtheit und unsere Würde in Situationen, in denen wir uns zu äußern nicht in der Lage sind. (Broschüren unter bmj.de)
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