Das Infiltrieren eines anderen Dienstes ist in der Welt der Agenten die Königsdisziplin – und niemand beherrscht sie besser als der israelische Mossad. Wie der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Herbst bestätigte, saß ausgerechnet an der Spitze einer Geheimdienstabteilung in Teheran, die den Aktivitäten des Mossad im Iran auf die Schliche kommen sollte, ein Doppelagent der Israelis. Mit ihm sollen noch 20 weitere „Maulwürfe“ aus seiner Einheit Informationen über den Stand des iranischen Atomprogramms an Israel weitergereicht haben.
Für Arye Sharuz Shalicar ist das kein glücklicher Zufall, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Vorarbeiten. Seit den späten Neunzigerjahren habe der Mossad den Iran bereits „auf dem Kieker“, sagt der Nahost-Experte und frühere Sprecher der israelischen Armee. Damals habe Israel begonnen, gezielt Informationen über nukleare Anlagen, die wichtigsten Atomwissenschaftler und die Repräsentanten des Mullah-Regimes für den Fall der Fälle zu sammeln. „Nun haben wir diese Akte aus der Schublade geholt“, sagt Shalicar, der selbst persische Vorfahren hat und in Berlin aufgewachsen ist. Dass die israelische Luftwaffe innerhalb weniger Tage mehr als 1000 gezielte Angriffe auf Atomanlagen und Raketenfabriken fliegen konnte, sei allerdings nicht allein dem Mossad zu verdanken. Auch der militärische Geheimdienst und die Aufklärer der Luftwaffe hätten wichtige Informationen zugeliefert.
Führende Köpfe des iranischen Regimes gezielt liquidiert – höchstwahrscheinlich durch den Mossad
Im Iran selbst allerdings waren es nach allem, was man weiß, Mitarbeiter des Mossad, die über Jahre Drohnen, Munition und Waffenteile in Koffern, Lastwagen und Schiffscontainern in den Iran geschmuggelt haben – die meisten von ihnen diskret angeworbene und gut bezahlte Iraner. Anschließend sollen sie die Teile zusammengebaut und versteckt haben, bis die israelische Regierung grünes Licht für den Angriff gab – einen Angriff aus dem Iran auf den Iran. „Er ist der Höhepunkt jahrelanger Arbeit des Mossad“, sagt die frühere Leiterin seiner Forschungsabteilung, Sima Schine. Außerdem wurden gezielt hohe Generäle und andere führende Köpfe des Regimes liquidiert. Auch ihre Koordinaten hatte der Mossad.
Zum Mythos wird der Dienst schon im Mai 1960, als drei Agenten des Mossad Adolf Eichmann ausfindig machen, ihn in der Nähe seiner Wohnung in einem Vorort von Buenos Aires stellen, überwältigen und an einen geheimen Ort bringen. „Ich habe gewusst, dass Ihr Israelis mich eines Tages finden werdet“, sagt Eichmann zu ihnen, der nach dem Krieg unter falschem Namen in Argentinien untergetaucht ist. Elf Tage später wird der Architekt des Holocaust heimlich nach Israel geflogen, wo das Land der Opfer dem Mastermind der Täter den Prozess macht – ein mediales Weltereignis. In der Nacht zum 1. Juni 1962 wird das Urteil vollstreckt und Eichmann gehängt.

Nach der amerikanischen CIA mit ihren 20.000 Mitarbeitern ist der offiziell als „Institut für Aufklärung und besondere Aufgaben“ firmierende Mossad mit rund 7000 Agenten, Technikern und Analysten einer der größten Geheimdienste der Welt, bekannt für seine Kompromisslosigkeit und seinen Einfallsreichtum. Die vermeintlich harmlosen und veralteten Pager etwa, die im Herbst vergangenen Jahres in den Taschen von Tausenden von Hisbollah-Kämpfern im Libanon explodieren, hat er schon Jahre vorher präpariert und sie über Scheinfirmen der Terrormiliz geliefert, die dachte, sie kaufe die Geräte in Taiwan. Zwei Monate zuvor stirbt Hamas-Chef Ismail Haniyeh in Teheran, vermutlich durch eine vom Mossad in sein Hotelzimmer geschmuggelte Bombe. In den Achtzigerjahren betreiben Agenten des Dienstes im Sudan sogar mehrere Jahre eine Tauchschule, mit deren Booten sie nachts diskret Tausende von verfolgten Juden aus dem benachbarten Äthiopien in Sicherheit bringen – eine klandestine Operation, der Netflix später in „The Red Sea Diving Resort“ ein filmisches Denkmal setzt.
Zur Geschichte des Mossad gehören allerdings auch Fehlschläge wie das Münchner Olympia-Attentat 1972, das der Dienst nicht verhindern kann. Umso entschlossener reagiert er anschließend mit dem Aufbau der Spezialeinheit „Cesarea“, die gezielt Jagd auf die Geiselnehmer und ihre Hintermänner macht und mehr als 20 von ihnen liquidiert. Erster Kommandeur der Einheit ist der spätere Ministerpräsident Ehud Barak. In seine Amtszeit fällt 1973 auch eine missglückte Kommandoaktion im norwegischen Lillehammer, bei der Mossad-Agenten einen unschuldigen marokkanischen Kellner erschießen, den sie irrtümlich für einen der Anführer der Terrorgruppe Schwarzer September halten.
Auch im Iran weiß jeder, dass der israelische Mossad fast alles weiß
Der Iran rückt spätestens im Jahr 2002 stärker in den Fokus des Mossad, als dessen neuer Leiter Meir Dagan eine Art Geheimkrieg gegen das Atomprogramm der Mullahs beginnt. Dazu gehören Attentate auf iranische Atomforscher, Explosionen in Nuklearanlagen und Angriffe mit dem Computerwurm Stuxnet auf die Urananreicherungsanlage in Natans. „So ist es uns immer wieder gelungen, das Atomprogramm zu torpedieren und Zeit zu gewinnen“, sagt Experte Shalicar. Gezielte Luftschläge lehnt Mossad-Chef Dagan damals jedoch ab. „Den Iran anzugreifen, bevor alle anderen Vorgehensweisen ausgeschöpft sind, ist in meinen Augen nicht tragfähig“, sagt er, als er 2011 aus dem Dienst scheidet.
Doppelagenten, Killerkommandos, Cyberkrieger: „In der Zeitung klingt das oft schwer nach James Bond“, schmunzelt der ehemalige Mossad-Offizier Zahar Palti, in einem Interview mit dem Sender Arte. Dabei sei die Geschichte mit den Pagern für die Hisbollah doch eigentlich nur eine kleine Sache gewesen. „Es gibt viel Bedeutsameres als diese eine Operation.“ Was – das darf auch ein emeritierter Agent wie er nicht erzählen. Über allem soll stets ein Schleier der Ungewissheit liegen. Trotzdem weiß auch im Iran jeder, dass der Mossad fast alles weiß. In Teheran jedenfalls kursiert schon länger eine Scherzfrage: Weißt du, wo Khamenei ist, der oberste Führer des Landes? Antwort: Frag den Mossad.
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