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Jacinda Ardern: Wie empathische Führung die Politik verändert und inspiriert

Neuseeland

Jacinda Ardern: Die Premierministerin, die Macht einfühlsam machte

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    Jacinda Ardern war von 2017 bis 2023 Premierministerin von Neuseeland.
    Jacinda Ardern war von 2017 bis 2023 Premierministerin von Neuseeland. Foto: Ben Mckay, AAP/dpa (Archiv)

    Es ist der 15. März 2019 in der neuseeländischen Stadt Christchurch. Ein Freitag – der Wochentag, an dem sich gläubige Muslime für das wichtigste Gebet der Woche in die Moschee begeben. Der Freitag, an dem ein Rechtsextremist bewaffnet durch zwei Moscheen läuft und insgesamt 51 Menschen tötet. Es ist die Tat mit den meisten Todesopfern in Neuseelands Kriminalgeschichte. Als Premierministerin Jacinda Ardern vor die Presse tritt, muss sie Worte dafür finden – irgendwelche Worte. Es ist die härteste, die schmerzhafteste Prüfung ihrer Karriere. Sie ist gerade 38 Jahre alt. Und sie besteht diese Prüfung. Umarmt die Menschen, geht auf Angehörige zu, mit offenem Herzen und trauerndem Gesicht. Sie trägt dabei ein Kopftuch, um Solidarität mit der muslimischen Gemeinschaft zu zeigen. Ihr schwerster Tag als Premierministerin ist der, für den sie in Erinnerung bleibt.

    Jacinda Ardern stellt ihre Memoiren in Berlin vor

    „Wir haben diese falsche Annahme, dass empathische Führung und klares Handeln im Widerspruch zueinander stehen“, sagt Ardern sechs Jahre später. Sie sitzt auf einer kleinen Bühne in Berlin, um ihre Memoiren zu präsentieren. 475 Seiten, die den Titel „A Different Kind of Power“ tragen. „Meiner Meinung nach motiviert dich empathische Führung aber dazu, sehr klarsichtig zu sein“, fährt sie fort. „Besonders wenn du verhindern willst, dass der Bevölkerung erneut ein solcher Schaden hinzugefügt wird.“ Nur wenige Tage nach dem Terroranschlag in Christchurch verbot Neuseelands Regierung den Verkauf von Sturmgewehren und halbautomatischen Waffen. Wenige Wochen später auch den Besitz.

    Jacinda Ardern wurde mit nur 37 Jahren Premierministerin von Neuseeland – und war damit die jüngste weibliche Regierungschefin der Welt. Sie galt als Hoffnungsträgerin in einer Zeit, in der sich das Erstarken rechtspopulistischer Parteien bereits abzeichnete. Sie fiel auf, weil sie vieles anders machte. Und weil sie mit Gegensätzen aufräumte, die in ihren Augen keine waren: Familie und Politik, Empathie und Stärke, Optimismus und Krise. Politik sei dabei keine Berufswahl für sie gewesen, sondern „ein Weg, etwas zu tun“.

    Am Montag präsentierte Jacinda Ardern ihre Memoiren „A Different Kind of Power“ in Berlin.
    Am Montag präsentierte Jacinda Ardern ihre Memoiren „A Different Kind of Power“ in Berlin. Foto: Sophia Krotter

    Ardern wuchs auf der Nordinsel Neuseelands auf, in einem Ort namens Murupara, in dem weniger als 2000 Menschen leben. Sie ist ein Kind der Provinz. „In Murupara aufzuwachsen, hat mich politisch gemacht“, schreibt sie in ihren Memoiren. Schon früh war sie dort mit Arbeitslosigkeit und armutsbedingten Krankheiten konfrontiert. Dinge, die ihr als Kind „unfair“ erschienen. Als junge Erwachsene begann sie deshalb, die sozialdemokratische Labour Party im Wahlkampf zu unterstützen. Bevor sie Premierministerin wurde, war sie neun Jahre lang Abgeordnete im Repräsentantenhaus. Trotz ihrer politischen Erfahrung habe sie das Gefühl gehabt, nicht für den Job gemacht zu sein, gesteht Ardern bei der Vorstellung ihres Buches am Montag. Und meint mit „Job“ das Amt der Premierministerin.

    Ardern hadert mit dem „Imposter Syndrome“

    Über das Gefühl, zu „dünnhäutig“ für eine politische Führungsrolle zu sein, spricht sie offen. Und auch über das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein. Noch während sie nach der Macht griff, drückten die Zweifel. „Ich habe gehofft, dass es nicht passiert“, sagt Ardern und meint damit, dass sie tatsächlich Regierungschefin wird. Ganz nebenbei erfuhr sie, dass sie schwanger ist. Die Kombination schwanger und Premierministerin war bis dahin im Kanon der Macht nicht vorgesehen.

    Ihre Tochter Neve bekam die heute 44-Jährige neun Monate später, als zweite Frau überhaupt im Amt einer Regierungschefin. Und sie bewies, dass es möglich war. 2018 machte sie weltweit Schlagzeilen, als sie auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York sprach. Denn als sie das Rednerpult verließ, nahm sie ihre damals vier Monate alte Tochter vor laufender Kamera auf den Arm. „Ich habe noch gestillt, also musste sie mit mir mitkommen“, erzählt Ardern schmunzelnd.

    „Jetzt ist Zeit für eine andere Art der Politik“

    2023 entschied sich Jacinda Ardern dafür, sich aus der Politik zurückzuziehen. Es sei die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn sie ihr schwergefallen sei: „Es ist okay, zu gehen.“ Ob sie sich heute noch immer als dünnhäutig bezeichnen würde? „Ich bin die gleiche Person wie damals“, meint Ardern. „Ich habe einfach nur unterschätzt, wie widerstandsfähig ich tatsächlich bin.“ Heute lebt sie in Amerika und lehrt an der Harvard University Politikwissenschaft.

    Politik sei heute ein hartes Pflaster, „besonders für jemanden, der empathisch führen möchte“. Dass viele Frauen sich aktiv gegen eine politische Karriere entscheiden, kann Ardern nachvollziehen. „Das ist rational“, sagt sie, betont aber auch, dass gerade jetzt die Zeit für eine andere Art der Politik sei. Es gehe nicht darum, der Person zu folgen, die am lautesten ist. Es gehe darum, Lösungen zu finden.

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