Einigkeit und Recht auf Freizeit sind des Glückes Unterpfand. Die Verballhornung der Nationalhymne ist nicht mehr taufrisch. Gleiches lässt sich über den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands sagen. Die deutsche Wirtschaft lahmt, sie hat nicht erst seit Corona merklich an Wachstumskraft verloren.
Einer der Hemmschuhe, die eine kräftige Erholung behindern, ist der Faktor Arbeit. In vielen Branchen wird trotz Wirtschaftskrise qualifiziertes Personal gesucht. Der Grund ist die Alterung der Gesellschaft. Deutschland altert schneller als die derzeitige Schwächephase Jobs kostet. Die demografische Lücke kann auch nicht durch Zuwanderung ausgeglichen werden.
Bei der Arbeitszeit liegt Deutschland im unteren Drittel der Industrieländer
Gesamtgesellschaftlich müsste es also darum gehen, dass die Beschäftigten mehr arbeiteten oder produktiver würden. Beides ist nicht der Fall. Die Produktivität legt seit Jahren nur noch schwach zu, und bei der Arbeitszeit liegt Deutschland im unteren Drittel der Industrieländer. Um Empörung vorzubeugen: Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, einzelnen Faulheit vorzuwerfen. Sondern darum, allgemeine Entwicklungen kenntlich zu machen, die zur Konjunkturflaute beitragen. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat für das Jahr 2022 analysiert, wie viel die Beschäftigten im Durchschnitt pro Jahr arbeiten. Mit 1031 Stunden lagen die Deutschen gleichauf mit den Franzosen und vor den Italienern mit 1019 Stunden, aber hinter den Schweden mit 1111, den Schweizern mit 1215 und den US-Amerikanern mit knapp 1300 Stunden pro Jahr.
Die schiere Zahl korrespondiert mit der vor einigen Jahren stark gewordenen Erzählung über die richtige Balance aus Arbeit und Leben (work-life). Statt Ranklotzen, Schaffe-Schaffe und in die Hände spucken, werden Selbstentfaltung und Achtsamkeit betont. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat herausgefunden, dass die berechnete Wunscharbeitszeit seit 2007 um drei Stunden pro Woche abgenommen hat. Der Trend, weniger arbeiten zu wollen, geht quer über alle Altersgruppen, ist also keine Spezialität der als wohlstandsverwöhnt verschrienen Generation Z.
Großkonzerne wie Allianz und Daimler klagen über den hohen Krankenstand
Laut Statistischem Bundesamt war der Krankenstand im Jahr 2007 so gering wie seit der Wiedervereinigung nicht. Im Schnitt fehlten die Beschäftigten acht Tage pro Jahr. Über die folgenden Jahre erhöhte sich die Zahl auf zehn Tage im Jahr 2015 und elf Tage im Jahr 2020. Die jüngsten amtlichen Daten stammen aus dem Jahr 2023. Die Fehlzeit schnellte auf 15 Tage empor.
Zuletzt hatten die Chefs der Großkonzerne Allianz und Daimler für Wirbel gesorgt, weil sie einen zu hohen Krankenstand in Deutschland beklagten. Interessant in diesem Zusammenhang: Wegen der vollen Lohnfortzahlung über sechs Wochen haben die Unternehmen hierzulande laut der OECD die höchsten Kosten für Mitarbeiter, die wegen Krankheit ausfallen – gemessen an der Wirtschaftsleistung. Mit rund 80 Milliarden Euro im Jahr haben sich diese Ausgaben seit 2010 verdoppelt, wie das IW ausgerechnet hat.
Nun war Deutschland nie ein Niedriglohnland. Wegen der stark gestiegenen Energiekosten, den vergleichsweise hohen Abgaben an Fiskus und Sozialkassen sowie der schlagkräftigen Konkurrenz aus Asien kommt die Wettbewerbsfähigkeit unter die Räder. Dass die Deutschen weniger zupacken als früher, ist ein Teil des Problems. Die Einstellung zur Arbeit wird sich wieder ändern, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, wie jetzt zu beobachten ist. Oder anders gesagt: Wer Sorge um seinen Job hat, schleppt sich auch mit Schnupfen zur Arbeit und legt trotzdem eine Überstunde ein.
Was in der Analyse fehlt, ist das noch nie so viele Menschen in Arbeit waren wie 2024 und zumindest 2023 über 1,3 Milliarden Überstunden erarbeitet wurden, die Hälfte davon unbezahlt. Von Bequemlichkeit sehe ich da nichts. Aber wie passt das zu geringen Arbeitszeit? Zumindest ein nicht unwesentlicher Teil ist darauf zurückzuführen, dass mittlerweile beide Elternteile arbeiten, häufig beide in Teilzeit, um sich die Sorgearbeit zu teilen. Damit fällt die Arbeitszeit pro Person automatisch, während trotzdem die Gesamtarbeitszeit zunimmt. Die ausbaufähige Gesamtlage in der Kinderbetreuung tut ihr übriges. Fr. Schnitzer sprach zurecht davon, dass man sich auf das Kitaangebot nicht verlassen kann. Damit steigt der Stresslevel bei den Eltern erheblich. Wenn dann noch die Unsicherheiten der wirtschaftlichen Lage in den Betrieben mit teils kontraproduktiven Narrativen der Führung ("alle wieder ins Büro! Zuhause sind eh alle faul") brauch man sich über den hohen Krankenstand nicht zu wundern.
Kaum lahmt die deutsche Wirtschaft wird schon wieder der Arbeitnehmer in Verantwortung gezogen. Die Ursache für lahmende deutsche Wirtschaft ist nicht die schlechte Arbeitsmoral wie Herr Grimm uns suggerieren will. Konjunkturelle und strukturelle Belastungen standen im Jahr 2024 einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung im Weg. Dazu kommt noch dass Mittelstand und vor allem die Industrie sich zu lange am erfolgreichen Export in Sicherheit gewogen hat.
Herr Merk, Zustimmung. Als Ergänzung zum Export kommt noch das zulange Festhalten an Produkten und Geschäftsmodellen, deren Zeit abgelaufen ist. Aber es ist immer einfacher, anderen die Schuld für die eigenen Versäumnisse zu geben.
Man sollte auch über die Motivation der Arbeitnehmer reden Herr Grimme. Das Abgabensystem das Mehrarbeit bestraft ist da wenig förderlich. Man sollte auch über die Ausbildung der Arbeitnehmer reden. Vielleicht haben wir in den letzten Jahrzehnten zu wenig in den produktiven Berufen ausgebildet. Die Generation in der ein Großteil ausgebildete Praktiker sind geht demnächst in den Ruhestand. Vielleicht benötigen wir wieder mehr Handwerker, Krankenschwestern und Ingenieure als Geisteswissenschaftler und Bürokraten.
Nicht die deutsche Bequemlichkeit sondern die deutsche Inkompetenz ist die Wurzel der Karies.
Ich vermute, der Grimm'sche Kommentar ist in vielen Teilen richtig. Vor 30/40 Jahren war die Einstellung zur Arbeit generell noch eine andere. Sind die Prios heute: Freizeit, Arbeit, war es früher wohl Arbeit, Freizeit.
Sehr richtig Herr Boeldt, angefangen hat das mit der faulsten Generation: die Nachkriegszeit! "Samstags gehört Papi mir!" Dreck! Und überhaupt, schon mit dem 8 Stunden Tag hat das Übel begonnen 1918. Also als ich jung war, da hab ich mit 12 Jahren schon 14 Stunden bei Krupp gearbeitet, und was hab ich damals gesagt: Danke Herr Krupp, dass ich den Schornstein schrubben darf!
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