Man darf diesen Dienstag getrost als großen Tag bezeichnen. Es ist ein großer Tag für den künftigen Kanzler Friedrich Merz, es ist ein großer Tag für seine kommende Regierungskoalition, es ist ein großer Tag für Deutschland. Denn auch wenn es nicht ohne Risiko ist – wirtschaftlich wie politisch -, Schulden in geradezu astronomischer Höhe zu machen, geht die Politik damit doch einen Schritt, für den ihr lange etwas Entscheidendes gefehlt hat: Mut. Der Mut, notfalls auch zu scheitern.
Dieser Mut, den sowohl die Union und die SPD, aber auch die Grünen in dieser Stunde zeigen, ist umso bemerkenswerter, weil es in den vergangenen Jahren – oder waren es gar Jahrzehnte? – nicht unbedingt das fehlende nötige Kleingeld war, das zu erheblichen Mangelerscheinungen geführt hat, sondern die leider fatale Neigung der Parteien, für ihre Überzeugungen eher kein Wagnis einzugehen. Doch Verzagtheit bringt Deutschland nicht weiter. Im Gegenteil: Die taumelnde Wirtschaft, die lückenhafte Verteidigungsbereitschaft, ja sogar die kaputten Schultoiletten sind unter anderem ein Produkt dieser fatalen Geisteshaltung. Selbst wer Merz politisch weniger zugetan ist, sollte ihm deshalb die Daumen drücken. Eine blutleere Politik hat sich Deutschland lange genug geleistet – und das auch noch zum Nachteil der in diesen Tagen so häufig vorgeschobenen kommenden Generation.
In welchem Land wollen wir künftig leben?
Volle Kassen, aber ein nahe an den Abgrund gewirtschaftetes Land sind nichts, was in die Kategorie „verantwortungsvoll“ fällt. Selbst die inzwischen zum Symbol gewordene „schwäbische Hausfrau“ weiß, dass es ohne laufende Investitionen nicht geht – weil sonst irgendwann die ganze dicke Rechnung kommt. Natürlich darf es jetzt nicht darum gehen, das XXXL-Vermögen für Klientelgeschenke auszugeben. Dafür ist der Preis, den die gesamte Gesellschaft für den Kraftakt „Sondervermögen“ schultert, schlicht zu hoch. Schon jetzt steigen etwa die Bauzinsen deutlich an – nichts anderes als eine Reaktion auf die neuen Schulden. Je höher die Nachfrage am Kapitalmarkt nach Geld, umso teurer wird’s. Auch die Inflation dürfte noch einmal anziehen.
Es ist daher nicht nur das Privileg für die kommende Regierung, einen gut gefüllten Extratopf zu haben, es ist auch Verpflichtung. Ohne grundlegende Reformen wird es nicht gehen. Auch für die braucht es Mut. Welches Land wollen wir sein? Welche Idee von der Zukunft haben wir? Wie können Wirtschaft und Klimaschutz verschränkt werden? Wie können Frauen im Beruf so unterstützt werden, damit sie gar nicht erst auf das Almosen Mütterrente angewiesen sind? Wer schon diese grundlegenden Fragen nicht beantworten kann, dem ist auch mit Geld nicht zu helfen. Das zeigt sich ganz aktuell übrigens an einem sehr plastischen Beispiel: am Bürgergeld. In einigen Jobcentern fließen bis zu 70 Prozent der Mittel in die Verwaltung, hat die Bertelsmann-Stiftung vorgerechnet.
Deshalb muss das Sondervermögen mit Zielen verbunden werden, die gerne auch ehrgeizig sein dürfen. Orientieren sollten sie sich zwingend an der Zukunft und nicht an der Vergangenheit. Die Milliarden müssen der Welt des Jahres 2050 gerecht werden, sie dürfen nicht versuchen, das Jahr 1980 zurückzuholen, in dem sich alles so gemütlich angefühlt hat. Die Wahrheit, selbst wenn sie für einige unangenehm klingt, ist, dass Nostalgie kein Konzept ist. Denn die Welt dreht sich weiter, egal ob Deutschland weiter in seinem Schlafwagen schlummert oder endlich aufwacht und handelt.
Wer Risiken eingeht hat eine gewisse Portion Mut. Ist in Ordnung wenn die Risiken kalkulierbar sind. Wer unkalkulierbar hohe Risiken eingeht ist ein Hasardeur. In einigen Jahren wissen wir vielleicht mehr.
„Volle Kassen, aber ein nahe an den Abgrund gewirtschaftetes Land sind nichts, was in die Kategorie ‚verantwortungsvoll‘ fällt.“ Wenn der deutsche Staat tatsächlich noch irgendwo über volle Kassen verfügt, dann hält er sie gut versteckt. Die Formulierung, „die kaputten Schultoiletten sind unter anderem ein Produkt dieser fatalen Geisteshaltung“ ist zwar nicht ganz falsch, aber wenn ein Staat nicht mal in der Lage ist, die Schultoiletten in Ordnung zu halten, dann hat er auf der Weltbühne nichts zu suchen. Gestern sah ich unter 3sat den Museums-Check „Mit Vince Ebert im Deutschen Museum in München“ und dabei die Gerätschaften, mit denen Otto Hahn, Fritz Straßmann und Lise Meitner den ersten Atomkern gespalten haben. Vince Ebert meinte da, er findet es nicht klug, dass wir nicht an dieser technischen Entwicklung teilnehmen. Leider erkannte ich da, auch bei meinen Enkelkindern ist in der Schule das Interesse hierfür nicht geweckt worden.
Was ist mutig daran, sich Geld von der Zukunft zu leihen, weil man bis in die Gegenwart versagt hat? Angesichts der Erfolgsquote von Reformen in der Vergangenheit kann man Eltern nur raten darauf zu achten, dass die Kinder, wenn nötig, auch im Ausland arbeiten könnten.
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