Macron verdient Unterstützung für seine europapolitische Offensive
Der französische Staatschef Macron wird die EU-Ratspräsidentschaft auch als Wahlkampf-Bühne nutzen. Für Europa könnte seine Hartnäckigkeit eine Chance sein.
Mehr „europäische Souveränität“. Formuliert hat Emmanuel Macron dieses Ziel bereits im September 2017 in seiner Europarede an der Sorbonne-Universität in Paris, in der er ein Feuerwerk an Ideen und Projekten für ein selbstbewusstes und eigenständiges Europa zündete. Er hielt diese Rede – wenige Monate nach seinem Wahlsieg – mitten hinein in eine europafreundliche Aufbruchstimmung in seinem Land.
Instinktiv blickte Europa darauf, wie Deutschland als größte EU-Wirtschaftsmacht auf diese Initiative aus Paris reagieren würde. Doch aus Berlin kam bestürzend wenig. Das brachte der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zu Recht Kritik ein. Es spricht für Macron, dass er in den nächsten Jahren immer neue Versuche unternahm, das Thema EU-Reformen auf der Tagesordnung zu halten. Mit guten Argumenten. Denn die tiefe Spaltung der USA mit dem unberechenbaren Präsidenten Donald Trump an der Spitze führte deutlich vor Augen, dass sich Europa auf eigene Stärken besinnen muss.
Jetzt hat Frankreich die Ratspräsidentschaft bis Ende Juni 2022 übernommen. Und wieder setzt Macron eine europapolitische Offensive in Gang. Zwei Parameter sind allerdings anders als 2017: In Frankreich ist die Europa-Euphorie längst verflogen, wie Umfragen zeigen. Gleichzeitig sieht der Präsident die Chance, seine Konzepte mit Unterstützung der neuen deutschen Regierung tatsächlich auf den Weg bringen zu können.
Natürlich wird Macron die Bühne Europa auch dazu nutzen, im angelaufenen Präsidentschaftswahlkampf zu punkten. Zwar hat der 44-Jährige seine Kandidatur noch nicht erklärt, aber dabei geht es eher um den perfekten Zeitpunkt, sich zu erklären – dass er antritt, gilt im Nachbarland als ausgemacht. So wird also voraussichtlich bis zur Stichwahl um das Präsidentenamt am 24. April mit den Europa-Initiativen Macrons immer die Frage mitschwingen, inwieweit Wahltaktik im Spiel ist.
Macron hat angekündigt, einen neuen Anlauf zur Reform der Migrationspolitik zu nehmen
Ein Beispiel dafür ist die Ankündigung Macrons, einen neuen Anlauf zu nehmen, die Regeln für die Migration im Schengen-Raum zu reformieren. Das Thema Asyl und Zuwanderung spielt schon jetzt im Präsidentschaftswahlkampf eine zentrale Rolle. Macron weiß, dass die Rechte – von den Konservativen bis hin zu den Rechtsextremen – diese Karte spielen wird. Er hat angekündigt, die EU-Außengrenzen stärker zu schützen und Migration effektiver zu regulieren. Daran dürften viele EU-Staaten – nicht zuletzt auch Deutschland – großes Interesse haben. Allerdings scheiterten Vorstöße für eine einheitliche EU-Politik mehrfach.
Ebenfalls auf Macrons Agenda stehen unter anderem der Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeit oder eine Lockerung der Verschuldungsregeln, um im Gegenzug mehr in Klimaschutz und digitale Technik investieren zu können. Dafür gab es Lob aus der Bundesregierung – obgleich das von der Koalition aus drei Parteien doch mitunter sehr abgestuft ausfiel.
Nukleartechnik als grüne Energiegewinnung - das kam nicht überall gut an
Der erste Erfolg Macrons kommt in Berlin allerdings nicht gut an. Die Anerkennung der Nukleartechnik auf EU-Ebene als grüne Energiegewinnung scheint beschlossene Sache. Ein Taschenspielertrick, denn ökologisch nachhaltig oder ökonomisch sinnvoll wäre die Renaissance der Kernkraft nicht – auch wenn sie bisher eher herbeigeredet als real ist.
Dennoch sollte die Bundesregierung nicht den Fehler machen, sich in dieser Frage zu verkämpfen. Denn Emmanuel Macron scheint derzeit der einzige Staatsmann in der Europäischen Union zu sein, der die Leidenschaft und Hartnäckigkeit besitzt, frische Impulse für Europa zu geben. Dafür hat er Unterstützung verdient.
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Bin gerade auf Interessantes zum Thema „Nachhaltigkeit“ gestoßen!
Vor seiner Wandlung zum Bundesfinanzminister in der Ampel schrieb Christian Lindner unter Abgeordnetenwatch am 15. September 2021:
„Es wäre fahrlässig, aufgrund der aktuell niedrigen Zinsen, die Verschuldung deutlich zu erhöhen. Die Zinsen werden wieder steigen. Aber wenn sie steigen, werden die Zinsen einen großen Teil der Steuereinnahmen auffressen. Wer Nachhaltigkeit in der Politik ernst nimmt, muss der Jugend möglichst viele Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft sichern.“
Genau diesen Christian Lindner habe ich gewählt. Und was hab‘ ich, ja was hat Deutschland bekommen?
Noch besser allerdings wäre es, wenn Deutschland endlich seiner Rolle als größter Wirtschaftsmacht in Europa gerecht und eigene Vorschläge für eine Zukunft Europas in der Welt von morgen vorlegen würde!
Mir würde schon reichen, wenn Deutschland auf Einhaltung der europäischen Verträge (z. B. Maastricht!) dringen und sie auch selbst einhalten würde.
Ganz grundsätzlich sollte man vielleicht entscheiden, in welche Richtung man die EU reformieren will. Oder noch grundsätzlicher, ob die EU in der jetzigen Form eine Zukunft hat.
Sicherlich liegt die Zukunft Europas aber nicht darin, dass es der Welt zwei konkurrierende Kampfjets anzubieten hat (den auch mit deutschem Steuergeld entwickelten französischen FCAS und den in Kooperation mit den Schweden und Italien entwickelten britischen Tempest). Interessant in diesem Zusammenhang: „Die Franzosen, die ja anders als die Bundesrepublik Atommacht sind und den FCAS als Träger für Nuklearwaffen konzipieren, wollen gewisse Herzstücke der Technologie derzeit nicht mit den Deutschen teilen, sogenannte Blackboxes.“ und „In Frankreich wird die eigene Rüstungsindustrie überwiegend als stolzer GARANT DER NATIONALEN SOUVERÄNITÄT angesehen, in Deutschland eher misstrauisch beäugt.“
(https://www.sueddeutsche.de/politik/europa-kampfflugzeug-verteidigung-1.5062218)
Gestern Abend hat Frau Slomka im „heute journal“ auf die Hyperinflation 1923 hingewiesen. (Die Bedeutung der – völkerrechtswidrigen – Ruhrbesetzung durch Franzosen und Belgier blieb unerwähnt – vgl. https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-weimarer-republik/ruhrbesetzung). Jedenfalls leben wir im Euroraum auch schon wieder seit vielen Jahren zu großen Teilen von der Notenpresse, was Argumente wie „Nachhaltigkeit“ absurd klingen lässt. – vgl. z. B. Hans-Werner Sinn und Thomas Mayer im Wirtschaftsbeirat Bayern unter https://www.youtube.com/watch?v=DBOTwBkQbLI.
Übrigens, seit dem Beschluss zur Einführung des Euros haben sich Frankreichs Staatsschulden mit dem höchsten Faktor vervielfacht. Der französische Ökonom Gilbert Cette sieht das so: „Seit der Französischen Revolution erwarten die Menschen, dass der Staat all ihre Wünsche erfüllt.“ (https://www.wiwo.de/politik/europa/pensionen-in-frankreich-wer-soll-fuer-all-das-bezahlen-/25517502.html)
Klar, wenn man glaubt, dass andere Euroländer die Zeche zahlen, dann ist der Druck auf Veränderung im eigenen Land nicht besonders hoch, z. B. bei den Pensionen der Eisenbahner, wo 140.000 Aktive Pensionsbeiträge für 258.000 Ruheständler mit weit überdurchschnittlichen Bezügen zahlen.