Selbst Bessergestellte können es sich oft nicht leisten, die eigene Pflege zu finanzieren
Waschen, Wickeln, Füttern: Heime und ambulante Dienste können oft nur noch das Nötigste leisten. Es fehlt an Personal – und vor allem an Geld. Ein Alarmruf.
Niedrige Löhne, katastrophale hygienische Bedingungen und eine Lebenserwartung, die kaum über das Arbeitsleben hinaus reichte: Auf die soziale Frage, die sich mit dem Beginn der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert immer drängender zu stellen begann, hat Deutschland mit der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung schon früh die richtige Antwort gefunden. Heute stößt dieses System vor allem wegen der demografischen Entwicklung zwar an gewisse Grenzen – in keinem Bereich aber sind die Probleme so dramatisch wie bei der jüngsten Sozialkasse, der 1995 eingeführten Pflegeversicherung.
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt
Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland von gegenwärtig knapp fünf auf mindestens 6,5 Millionen steigen – Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, die mit ihren Kindern die Beitragszahler von morgen großgezogen und selbst jahrzehntelang Beiträge für die Pflegeversicherung bezahlt haben, nun aber trotzdem fürchten müssen, dass ihre Versorgung im Falle eines Falles auf das Nötigste reduziert wird: Waschen, Wickeln, Füttern. Ein Leben ohne Würde.
Wie eine menschenwürdige Pflege aussehen soll, ist weitgehend unstrittig: Aufmerksamkeit, Ansprache, Zeit – und nicht nur in Minuten getaktete Minimalstversorgung. Diesen Anspruch aber kann heute kaum ein Heim, kaum ein ambulanter Pflegedienst und auch die engagierteste Pflegerin nicht einlösen – zu knapp ist das Personal, zu hoch die Fluktuation, zu defizitär das ganze System. Das vergangene Jahr hat die gesetzliche Pflegeversicherung mit einem Rekordverlust von 2,2 Milliarden Euro abgeschlossen, im laufenden Jahr könnten es bis zu fünf Milliarden werden, weil sich der Politik die ganze Dimension des Dramas erst allmählich erschließt. Für ein Land, das immer noch zu den wohlhabendsten der Welt gehört, sind seine Pflegebedürftigen vor allem eines: Kostenfaktoren.
Damit sich das ändert, muss deutlich mehr Geld in die Pflege fließen – für mehr und höher bezahlte Pfleger, für den vom Verfassungsgericht geforderten Beitragsnachlass für kinderreiche Familien, für die Ausstattung von Heimen und eine flexible, bessere Pflege zuhause. Mit einem jährlichen Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro und Beitragssätzen von weniger als vier Prozent eines Bruttoeinkommens wird das allerdings nicht zu leisten sein. Die jüngsten Kostenerhöhungen von mehreren hundert Euro im Monat für einen Heimplatz überfordern schon jetzt viele Betroffene, sodass der Staat immer häufiger über seine Sozialämter einspringen muss. Selbst eine gute Rente und das Ersparte reichen oft nicht mehr aus, um die eigene Pflege zu finanzieren.
Gute Pflege ist Dienst am Nächsten
Gesundheitsminister Karl Lauterbach, für die Pflege mit zuständig, hat zwar eine Reform angekündigt, sie aber noch nicht einmal in Umrissen skizziert. Es sieht so aus, als spiele er auf Zeit, obwohl er die eigentlich gar nicht mehr hat. Eine Antwort auf die neue soziale Frage könnte eine Kombination aus einem deutlich höheren Bundeszuschuss, aus moderaten Beitragserhöhungen und einer stärkeren Förderung von privaten Pflegeversicherungen nach dem Vorbild der Altersvorsorge sein. Gleichzeitig müssen Politik, Heime und Dienste deutlich engagierter als bisher gegen das Vorurteil ankämpfen, die Pflegeberufe seien Berufe zweiter Klasse, strapaziös, wenig angesehen und schlecht bezahlt. Tatsächlich ist eine liebevolle, gute Pflege im Alter nicht weniger als der letzte und vielleicht wichtigste Dienst am Nächsten.
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Bei kaum einem anderen Thema ist die Kluft zwischen Sonntagsreden und Alltag so groß wie bei der Pflege im Alter. Rudi Wais hat nur zu recht: Bei der Mittelausstattung und der Würdigung der Arbeit der Pflegekräfte müssen wir deutlich besser werden.
Aber reicht das? Nein! Wir dürfen unsere Eltern nicht einfach in Heime „abschieben“, sie „gut versorgt“ wissen und dann: vergessen. Wir können uns nicht "freikaufen". Auch im besten Heim brauchen Menschen die Zuwendung ihrer Familie.
Der Kurs dieser Währung „Menschlichkeit“ darf gegenüber anderen Währungen nicht noch weiter sinken. Sonst droht die Humanität unserer Gesellschaft endgültig unter die Räder zu kommen. Und dann gnade uns Gott.
In Würde alt werden ist für nicht gerade wenige Bürger unbezahlbar geworden. Das muss sich ändern.