Die Verdoppelung der Sitze für die AfD hat den Bundestag verändert. Nicht nur, dass die Abgeordneten der Alternative für Deutschland rein physisch gesehen einen großen Block im Parlament bilden. Bei gleichzeitiger Verringerung der Sitzzahl fallen auch ihre Mitarbeiterstäbe stärker auf als früher. Mitte März verschärfte die Verwaltung als Reaktion darauf die Hausordnung und ordnete beispielsweise eine Zuverlässigkeitsüberprüfung an. Angestellte anderer Parteien berichten, dass sie neuerdings ihre Büros selbst bei nur kurzen Abwesenheiten abschließen. AfD-Angehörige fallen unangenehm auf, sie seien leicht zu erkennen, heißt es. Der Haarschnitt ist der neue Stechschritt.
Das alles ist gewollt und Teil einer Inszenierung. Der Versuch der Einschüchterung trägt Früchte, wie das Beispiel des CDU-Abgeordneten Jens Spahn zeigt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD in organisatorischen Fragen müsse möglich sein, erklärte Spahn, der dabei die Beschlusslage seiner Partei völlig ignorierte: Ein Unvereinbarkeitsbeschluss schließt jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus. Die berechtigte Kritik ließ nicht lange auf sich warten und Spahn ruderte zurück. Es gehe ihm nicht um eine Normalisierung, sagte er. Es war der Entschuldigungsversuch eines Berufspolitikers, der Fehler noch nie öffentlich eingestehen konnte.
Weimar ist eine Warnung
Spahn begründete seinen Vorstoß damit, dass Politik anerkennen müsse, wie viele Millionen Deutsche die AfD gewählt haben. Dahinter steckt in der Tat eine wichtige Frage. Wieso wird die AfD anders behandelt als andere Parteien, wo sie doch demokratisch gewählt wurde? Der Blick in deutsche Geschichte kann bei der Antwort helfen, denn das Thema ist an sich so neu nicht.
Von der Weimarer Verfassung hieß es einst, sie habe die demokratischste Demokratie der Welt begründet. Diese Einschätzung erwies sich vor allem aus einem Grund als falsch: Führende Politiker und Staatsrechtler waren der Meinung, dass die Demokratie, wenn sie sich selbst treu bleiben wolle, auch eine Partei dulden müsse, die ihre Vernichtung betreibe – wenn diese denn nur von ausreichend vielen Menschen gewählt wurde. Das Ergebnis ist bekannt. Die Nazis nutzten Lücken in der Verfassung aus und schafften sie am Ende ab.
Spahn biedert sich an
Das Grundgesetz zog nach Kriegsende die notwendigen Konsequenzen. Der Staatsrechtler Karl Loewenstein prägte es wesentlich mit, er gilt als Vordenker der wehrhaften Demokratie und Politiker wie Jens Spahn sollten seine Arbeiten lesen, bevor sie einer Zusammenarbeit mit der AfD das Wort reden. Loewenstein rief zum „aktiven Schutz der Demokratie“ auf und erklärte, in bestimmten Fällen könne es notwendig sein, eine extremistische Partei zu verbieten, wenn sie gegen die Verfassung arbeite.
Im August 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für verfassungswidrig erklärt und verboten. Danach herrschte weiter Angst vor einer Unterwanderung des Staates durch die Kommunisten, es traf besonders die DKP. Der „Radikalenerlass“ untersagte rechten wie linken „Extremisten“ eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst. KPD-Verbot wie Erlass lösten Proteste aus, stießen aber insgesamt auf eine hohe Akzeptanz.
Einem AfD-Verbot weicht die Politik heute aus. Sie sollte sich dafür an anderer Stelle anstrengen. Es gilt, die Demokratie im Loewenstein’schen Sinne proaktiv zu verteidigen. Dazu gehört es einerseits, Werten und Normen wieder Geltung zu verschaffen. Zudem braucht es wirtschaftliche Erfolge, damit jene angesprochen werden, die der irrigen Meinung sind, dass dieses Land vor die Hunde gehe. Politiker wie Jens Spahn sollten ihre Energie darauf verwenden und sie nicht mit ängstlicher Anbiederung an die AfD verschwenden.
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