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Kommentar: Warum Kanzler Merz mehr Langeweile wagen muss

Kommentar

Warum Kanzler Merz mehr Langeweile wagen muss

Stefan Küpper
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    Bundeskanzler Friedrich Merz spricht bei seiner Regierungserklärung im Plenum des Bundestags.
    Bundeskanzler Friedrich Merz spricht bei seiner Regierungserklärung im Plenum des Bundestags. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Dieser Satz klickt garantiert nicht, er ist aber notwendig: Wäre schön, wenn es künftig politisch ein bisschen langweiliger würde. Es braucht Diskussionen, einen lebhaften Diskurs, manchmal harten Streit in der Sache. Es braucht aber vor allem aber eine Regierung, die sich einig ist, die Probleme intern bespricht, erarbeitete Kompromisse (sind was Gutes, Urdemokratisches) gemeinsam kommuniziert und gegen Kritik verteidigt, sprich: die ihren Bürgern das begründete Gefühl gibt, dass sie gemeinsam das Land voranbringt. Dass Parteitaktik mindestens mal zwei Jahre zurücksteht. Dass was geht, schon bis zum Sommer. So will es Friedrich Merz. Das ist das erklärte Ziel, das er in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Parlament bekundete. Und deshalb bitte: Einfach mal machen.

    Es ist nicht bekannt, ob Carsten Linnemann sich diesen Satz inzwischen auch auf den Unterarm tätowiert hat, klar ist aber, dass Schwarz-Rot es in Gänze jetzt schon mehr beherzigen sollte. Sicher, es gilt die 100-Tage-Frist, die jede Regierung bekommen sollte. Aber nachdem die geheimnisvollen 18 Merz im ersten Wahlgang abgekanzelt haben und die eigentlich mit dem Kainsmal der Unvereinbarkeit gebrandmarkte Linke den Weg zur Vereidigung ebnen musste, ging es in der Summe ziemlich ampelartig weiter.

    Sich nicht auf Kosten der anderen profilieren

    Ein paar Beispiele aus dem Kabinett Merz I: Bärbel Bas (SPD) will Beamte mit in die gesetzliche Rente einbeziehen. Der Union gefällt das nicht. Joe Wadephul (Union) findet wie Donald Trump Verteidigungsausgaben in Höhe von fünf Prozent angemessen, Lars Klingbeil (SPD) mag das nicht. Waffenlieferungen an die Ukraine sollen aus Gründen der strategischen Ambiguität künftig (zurecht) geheim gehalten werden, aber der neue SPD-Fraktionschef Matthias Miersch facht öffentlich die Taurus-Debatte an. Der Koalitionsausschuss, der sich einmal pro Monat treffen soll, hat noch nicht einmal getagt, aber schon eine Agenda. Dabei haben doch alle ganz fest miteinander vereinbart, sich nicht auf Kosten der anderen zu profilieren. Und das soll sogar für das ständige Mitglied dieses hochmögenden Gremiums gelten, das auf den Rufnamen Markus Söder hört.

    Sicher, Sachpolitik von Machtpolitik zu trennen, wäre naiv. Letzteres gehört auch zur Demokratie, ob es einem gefällt oder nicht. Nach der Regierungsbildung ist vor dem nächsten Landtagswahlkampf, schon klar. Aber gerade weil das so ist, aus aktuellen Anlässen, Folgendes zum 100-Tage-Geleit: Wenn Mitte August diese berühmte Frist endet und zum ersten Mal ein Strich unter das Wirken von Merz und Klingbeil gezogen wird, dann muss noch keines der dringend notwendigen Reformwerke vollendet sein. Weder muss schon die Rente sicher, noch das Bürokratieknäuel entwirrt, noch die Armee abwehrbereit sein (wobei: besser wär's). Schwarz-Rot kann sich - wie noch jede Koalition vor ihr - Stolperer und Ungereimtheiten erlauben. Der politische Sommer muss nicht mal groß gewesen sein. Nur eines muss dann gewiss sein: Diese Bundesregierung zieht gemeinsam an einem Strang, den Karren aus dem Reformstau und die EU nach vorn. Ohne Stellwerkstörungen.

    Nicht billige Klicks, sondern Maß im Diskurs halten

    Der Job dieser ablaufenden 100 Tage heißt: Zuversicht verbreiten. Glaubwürdig. Gemeinsam. Belastbare Schlagzeilen produzieren. Für die professionellen Beobachter heißt es: Sich nicht billig an die Quote verhökern und den Diskurs in Gewinner und Verlierer verreißen. Für alle heißt es: solides Handwerk. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieser Anspruch bedeutet nicht, sich in den kleinsten gemeinsamen Nenner zu schicken. Es bedeutet im besten rheinischen Sinne (auch Konrad Adenauers) ganz schlicht: „Mer muss och jünne künne“. Gilt von Berchtesgaden bis Borkum. Besonders aber für Berlin.

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    1 Kommentar
    Günter Köhler

    Gebetsmühlenartige Versuche des Gesundbetens werden hier auch nicht viel helfen, Herr Küpper. In dieser Regierung steckt eine Menge Sprengstoff, der sie vielleicht schneller als man jetzt ahnt, denkt oder möchte zur Explosion bringen könnte. Und der Sprengmeister sitzt dabei ganz vorn, aber die Zündkapseln sind im Regierungszug gut verteilt. Dazu hat auch der "Schatten aus Bayern" kräftig mit beigetragen.

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