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Kommentar zur Steuergerechtigkeit: Mehr Zumutung wagen

Kommentar

Die Bürger sind oft weitsichtiger, als die Regierenden meinen

Jonathan Lindenmaier
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    Im Koalitionsvertrag werden große Reformen eher ausgespart. Dabei wären die Bürgerinnen und Bürger durchaus bereit dafür.
    Im Koalitionsvertrag werden große Reformen eher ausgespart. Dabei wären die Bürgerinnen und Bürger durchaus bereit dafür. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Im Ausland sind die Deutschen nicht gerade für ihren Mut zur Erneuerung bekannt. Im Gegenteil. Von der „German Angst“ ist gerade in den USA gerne die Rede. Soll heißen: Die Deutschen zögern, sie wägen ab, scheuen große Veränderungen und das Risiko. Das erkennt man unter anderem dann, wenn es um Renten- oder Steuerreformen geht.

    Dass die angesichts überlasteter Sozialsysteme und des demographischen Wandels notwendig sind, bestreitet kaum jemand. Nur den Mut, sie auch anzugehen? Den hat leider auch kaum jemand. 

    Beispiel Steuerreform. Laut dem Koalitionsvertrag von Union und SPD soll die ab Mitte der Legislaturperiode kommen. Damit will die Regierung kleine und mittlere Einkommen entlasten. Aber wie genau das aussehen und finanziert werden soll? Das wird nicht weiter erläutert. Ähnlich bei der Rente. Das Niveau soll gesichert werden. Wie das zu schaffen ist? Viele Ideen findet man da nicht.

    Die Regierung darf mehr Zumutung wagen

    Die Historikerin Hedwig Richter nannte diese Art des Regierens in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung mal eine „Null-Zumutungs-Politik“. Nur keine Feinde machen, nur die Bürger nicht mit Veränderungen überfordern, nur keinen Frust erzeugen. Lieber bleibt man vage und versteift sich auf das Kleinklein.

    Das trifft natürlich nicht nur auf diese neue Regierung zu. Olaf Scholz wollte den Deutschen so gleich so wenig zumuten, dass er lieber schwieg, als seine Politik zu erklären – „never complain, never explain“ nannte man das im engeren Kreis des Kanzlers. Und Angela Merkel bezeichnete ihren Politikstil mal als „auf Sicht fahren“. Das Problem ist nur: Wer immer nur auf Sicht fährt und nicht auf den weiteren Weg achtet, der verfährt sich schnell.

    Dabei sind die Bürgerinnen und Bürger gar nicht so resistent gegenüber Veränderungen, wie Merkel, Scholz und Merz zu glauben scheinen. In einem Bürgerrat erarbeiten gerade Männer und Frauen aus ganz Deutschland Konzepte für mehr Gerechtigkeit bei Steuer- und Sozialsystemen. In einem ersten Ergebnis sprachen sie sich unter anderem für eine höhere Erbschaftssteuer aus, sie wollen die private Krankenversicherung abschaffen und Staatsbedienstete in die gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungssysteme integrieren. Für einen ähnlichen Vorschlag war Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) kürzlich hart kritisiert worden.

    Blickt man auf die Ergebnisse des Bürgerrats, muss man sagen: Nur weil die Kritik laut ist, sollte man sich nicht gleich von solchen Vorhaben abbringen lassen. Man darf – ja, man sollte sogar – den Bürgerinnen und Bürgern auch unangenehme Debatten zumuten. Sie sind oft weitsichtiger, als die Regierenden meinen.

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