
Worauf es Friedrich Merz in der Ukraine ankommt


Friedrich Merz reist in die Ukraine. Er will dort seine Solidarität bekunden. Und den Sieg seiner CDU in Nordrhein-Westfalen ein bisschen wahrscheinlicher machen.
Es ist eigentlich der Spruch von Hendrik Wüst. „Machen, worauf es ankommt“, steht auf dem Wahlkampfbus des nordrhein-westfälischen CDU-Spitzenkandidaten. Sein Chef hat das für sich umgedeutet, Friedrich Merz ist in die Ukraine gereist. Von Anfang an war klar, dass der Sauerländer politisch dort nichts würde ausrichten können. Merz und seine CDU sind, auch wenn das nach außen manchmal anders aussieht, Opposition. Der Unions-Fraktionsvorsitzende darf der Ukraine keine Zusagen machen, er vertritt nicht die Bundesregierung. Er kann nur da sein und das machen, worauf es ihm ankommt. Solidarität zeigen. Und Wahlkampf veranstalten.

Während in der Ukraine täglich Menschen sterben, nutzt die Berliner Politik den russischen Angriffskrieg zum innerdeutschen Positionskampf. Die Auswirkungen muten bizarr an. Nachdem Kanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, er könne nicht nach Kiew reisen, weil der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das deutsche Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ausgeladen hat, reagiert der ukrainische Botschafter scharf. „Eine beleidigte Leberwurst zu spielen, klingt nicht sehr staatsmännisch", sagte Andrij Melnyk der Nachrichtenagentur dpa.
Melnyk hat Scholz bereits mehrfach angegriffen. Beobachter in Berlin wundern sich über das wenig diplomatische Vorgehen des Botschafters, der zuletzt am Freitag das gesamte Bundeskabinett verurteilte. Auf dem Bundespresseball rügte er in scharfen Worten, dass weder der Kanzler noch Ministerinnen oder Minister bei dem Ereignis anwesend seien. Merz hingegen ist da, er sitzt im Festsaal des Nobelhotels Adlon und lauscht gespannt Melnyks Worten. Währenddessen zeigt eine Umfrage, dass die Mehrheit der Deutschen die Haltung von Scholz richtig findet.
Laut CDU-Generalsekretär Mario Czaja hat Merz die Reise bereits am 22. Februar geplant, also nur einen Monat nach seiner Wahl zum Parteichef und eine Woche, nachdem er Fraktionsvorsitzender wurde. Dann sei der Krieg dazwischengekommen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war schon in Kiew, der britische Premier Boris Johnson auch, UN-Generalsekretär António Guterres geriet während seines Besuchs unter Raketenbeschuss. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will noch hinfahren, der Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi reist gar für mehrere Tage „in die Ukraine zu Krankenhäusern, Notkliniken und Hilfsorganisationen, um Spenden und Hilfsgüter zu übergeben und weitere zu organisieren“. Ein Friedrich Merz kann da nicht einfach zusehen.
Am Montagabend macht er sich im Schlafwagen in die Ukraine auf, er folgt der Einladung des ukrainischen Parlaments, wie er sagt. Erste Station ist Irpin nahe der Hauptstadt Kiew. Später findet überraschend sogar ein Treffen mit Selenskyj in dessen Amtssitz statt, obwohl der Präsident immer wieder betont hatte, dass er nur Politiker empfängt, die ihm etwas Konkretes bieten können. Geplant sind zudem Treffen mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko, mit Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk sowie mit Oppositionspolitikern.
In NRW wird es bei der Landtagswahl knapp für Merz' CDU
Merz twittert, die Botschaft misslingt ein wenig. „Alles sicher, alles gut und die ukrainischen Behörden sind äußerst kooperativ. Es ist schön, in diesem Land zu sein“, sagt er. Die ukrainischen Flüchtlinge und Kriegsopfer werden das sicherlich anders beurteilen.
In Merz‘ politischer Heimat tobt der Kampf um Stimmen. Wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai liegen SPD und CDU nahezu gleichauf. Der CDU-Vorsitzende musste bei der Wahl im Saarland bereits zusehen, wie die SPD die absolute Mehrheit gewann. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am kommenden Sonntag liegt die CDU klar vorne, aber wirklich wichtig ist für die Christdemokraten NRW. Verliert die Partei dort, verliert auch ihr Vorsitzender.
Czaja weist den Eindruck zwar weit von sich. „Das hat mit den anstehenden Landtagswahlkämpfen rein wirklich gar nichts zu tun“, sagt er im Deutschlandfunk. Doch in Kiew kann Merz machen, worauf es für ihn in einer solchen Situation ankommt. Er kann versuchen, Olaf Scholz zu brüskieren, dessen vermeintliche Taktiererei ihm wirklich und ernsthaft auf die Nerven geht. Wenn die Reise wie geplant verläuft, mag daraus am Ende der für Wüst entscheidende Vorsprung bei der Landtagswahl erwachsen. Der Nutzen für die Ukrainerinnen und Ukrainer hingegen dürfte überschaubar bleiben.
Die Diskussion ist geschlossen.
Ob es angemessen ist, den Wahlkampf zuspitzend in die Ukraine zu tragen, nach Lawrows Motto "im Krieg macht man, was man im Krieg zu tun hat", das ist die eine Frage. Die andere ist, ob es nicht angebracht wäre, mit Bundespräsident und Kanzler in Zeiten wie den jetzigen Solidarität zu erweisen. Eine dritte Frage ist, wie man das verstehen muss, dass Selenskyj von seinem Muster, Politiker nur zu empfangen wenn sie etwas anbieten können, demonstrativ abweicht. Widerliche Zwischensumme: Merz brüskiert Steinmeier wie Scholz und instrumentalisiert Selenskyj zum Wahlkampfhelfer, Selenskyj instrumentalisiert Merz zu seinem Lobbyisten im innerdeutschen Diskurs. Eine vierte Frage: Wie seltsam ist denn das, dass Melnyk, während sein Land im Krieg ist, überhaupt an einem Ball teilnimmt - und dort die Anwesenheit des Bundeskabinetts einfordert. Eine fünfte Frage, mehr ein Fazit: Befinden wir uns mittlerweile auf einem riesigen Maskenball? Ein paar Schlussfragen: Reicht es den Herren Melnyk und Selenskyj immer noch nicht, dass der Westen mit seiner Unterstützung einen Ritt auf dem Rasiermesser unternimmt? Und haben sie noch immer nicht wahrgenommen, dass die zunehmende Kriegsbeteiligung der Nato-Staaten die Souveränität der Ukraine bei den zwingend anstehenden Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs und Gestaltung der ukrainischen Zukunft untergräbt? Ist die Maske der Vermessenheit vielleicht Realität?
Welch ein Bild heute als Aufmacher in der Printausgabe!
Zwei, die sich mit Geld auskennen - der Black-Rocker Merz und der ukrainische Patriot Selenskij, der "seine" (woher er die wohl hat?) Moneten über die EU-Waschanlage Zypern in Belize und den Britischen Jungferninseln geparkt hat.
Da treffen sich Propaganda und Wahlkampf - auf dem Rücken der Ukrainer, die unter dem Krieg massenhaft leiden!