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Migration: Die heikle Debatte über Gespräche mit den Taliban

Migration

Die heikle Debatte über Gespräche mit den Taliban

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    Abschiebeflüge nach Afghanistan sind derzeit nur mit großem Aufwand möglich.
    Abschiebeflüge nach Afghanistan sind derzeit nur mit großem Aufwand möglich. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Mehr als drei Jahre ist es her, seit der Westen Afghanistan fluchtartig verlassen hat. Die Taliban regieren mit harter Hand, doch zumindest die Sicherheitslage am Hindukusch hat sich spürbar entspannt. Nun könnte für die islamistische Regierung sogar die Rückkehr auf die internationale Bühne bevorstehen. Unter anderem in Deutschland ist eine Debatte entfacht, ob die Bundesregierung mit den Taliban verhandeln soll, um mehr Abschiebungen in das Land möglich zu machen. Vor allem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder macht sich für diesen politischen Kursschwenk stark. Es brauche jede Woche einen Flug nach Afghanistan, forderte er nach dem Anschlag eines afghanischen Asylbewerbers in München.

    In Kabul hört man diese Worte gern – stellt aber Bedingungen. „Wir haben unsere Bereitschaft gezeigt, die konsularischen Dienste für Afghanen in Deutschland wieder aufzunehmen, die alle Aspekte der Migration abdecken“, sagte der Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi. Es wäre die offizielle Aufnahme zwischenstaatlicher Kontakte. Genau das wurde bislang vermieden. Aktuell verweigert Deutschland den Taliban eine konsularische Vertretung in Berlin. Doch: Bis jetzt hat kein Land der Welt die afghanische Regierung anerkannt. Die deutsche Debatte bekommt damit eine internationale Dimension.

    Keine Zusammenarbeit mit den Taliban

    Im Auswärtigen Amt in Berlin ist man deshalb mindestens zurückhaltend. „Die Taliban haben in Afghanistan ein präzedenzloses grausames Regime errichtet, das international nicht als rechtmäßig anerkannt wird, auch nicht von uns“, heißt aus dem Ministerium. Insbesondere Mädchen und Frauen würden unter den Taliban leiden, sie würden gezielt aus vielen Bereichen des Lebens ausgeschlossen, insbesondere auch von Bildung. „Direkte Verhandlungen, beziehungsweise eine Normalisierung mit den radikalislamischen Taliban würden das Unrechtsregime legitimieren und nicht europäischen oder deutschen Sicherheitsinteressen dienen“, heißt es. Die Bundesregierung stehe deshalb vor allem über das deutsche Verbindungsbüro für Afghanistan mit Sitz in Doha auf technischer Ebene mit Vertretern der De-facto-Regierung in Afghanistan in Kontakt.

    Auf diese Weise wurde auch einer der wenigen Abschiebeflüge der jüngsten Zeit in Richtung Afghanistan organisiert. Erstmals seit drei Jahren war im vergangenen August ein Flieger mit Ziel Kabul gestartet, in dem afghanische Straftäter saßen. Möglich war das nur durch die enge Zusammenarbeit mit dem Emirat Katar. Das Verfahren ist aufwändig. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock will sich deshalb auch künftig auf jene konzentrieren, die schwere Verbrechen in Deutschland begangen haben. „Es ist zu unterscheiden zwischen Schwerstverbrechern, die in Deutschland nichts verloren haben und sich nicht auf das Asylrecht berufen können, und denjenigen, die zum Beispiel auch aus Afghanistan geflohen sind, genau vor diesen Islamisten, vor diesen radikalen Kräften, die nicht nur das Leben der Menschen in Afghanistan kaputt machen“, betonte sie am Sonntagabend in der Sendung „Bericht aus Berlin“.

    Abschiebeflug nach Kabul steht bevor

    Ganz auf Abschiebungen nach Afghanistan verzichten will die aktuelle Bundesregierung also nicht. Das Bundesinnenministerium arbeite aktuell sogar gemeinsam mit den Ländern intensiv daran, schnellstmöglich weitere Abschiebungen von schweren Straftätern durchzuführen. „Der nächste Abschiebeflug soll baldmöglichst stattfinden“, bestätigt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber unserer Redaktion. „Solche Maßnahmen werden aber grundsätzlich nicht angekündigt, um diese nicht zu gefährden. Die Abschiebemaßnahmen werden durchgeführt, sobald alle rechtlichen, tatsächlichen und logistischen Voraussetzungen dafür gegeben sind.“ Dies hänge - insbesondere bei Afghanistan - von der Kooperation mit Drittstaaten, Fluggenehmigungen und weiterem ab. Sobald diese Voraussetzungen gegeben seien, würden die Maßnahmen durchgeführt.

    Die Diskussion über den künftigen Umgang mit den Taliban wird nicht allein in Deutschland geführt. Österreich schickte jüngst eine Delegation nach Kabul, um über die Rücknahme von Flüchtlingen zu sprechen. In Österreich gehören Afghanen genau wie in Deutschland zur größten Flüchtlingsgruppe. Auch Norwegen versucht Gesprächskanäle mit den Radikalislamisten zu finden, genauso die Türkei. Doch die Erfolge sind überschaubar, zumindest wenn man die Zahl der Abgeschobenen als Grundlage nimmt.

    „In einem Rechtsstaat sind Abschiebungen kein Massengeschäft“, sagt Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR). Die Gerichte seien aus guten Gründen sehr streng. „Das kann man kritisieren, andererseits sind gerade diese Verbürgungen, dass man nicht beliebig verhaftet wird, sondern dass es eine gerichtliche Anordnung braucht, wichtige rechtsstaatliche Sicherungsmechanismen. Hau-Ruck-Aktionen sind da keine Lösung.“ Das dürfe in den Debatten nicht ausgeblendet werden. Doch wahr sei, dass Deutschland eine gewaltige Altlast mit sich schleppe, verursacht durch die hohen Flüchtlingszahlen der vergangenen Jahre und die Schwächen bei den Abschiebungen.

    In Zahlen ausgedrückt heißt das: Ende 2024 waren 42.300 Menschen in Deutschland unmittelbar ausreisepflichtig, unter ihnen auch Afghanen. „Deshalb reicht es auch nicht aus, die Grenzen zu schließen“, sagt Kluth. „Wegen der großen Zahl an Personen, die eigentlich ausreisen müssten, sind die Behörden überfordert, ihren Aufgaben nachzukommen.“ Deshalb sei es wichtig, auch diesen Aspekt in den Blick zu nehmen: Wie können die Behörden besser zusammenarbeiten und Daten austauschen? Wie können die Ausländerbehörden und die zuständigen Polizeistellen personell besser ausgestattet werden? Die Arbeit dort sei, so Kluth, häufig belastend und werde nicht angemessen bezahlt.

    Schwung in das Thema bringen könnte die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Denn das sieht unter anderem vor, dass Flüchtlinge schneller und einfacher in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Auch die EU hat die Bedeutung der Debatte erkannt. Die Europäische Kommission habe Deutschland immer wieder aufgefordert, die Zahl der Rückführungen zu erhöhen, so Kluth. Es sei rechtlich sogar eindeutig formuliert, dass derjenige, der sich illegal in einem Land aufhält, abgeschoben werden müsse. Doch in der Praxis scheitert genau das immer wieder – obwohl es in den vergangenen Jahren mehrfach Anläufe des Gesetzgebers gegeben hat, die unter anderem den Zugriff vereinfachen sollen. „Früher konnte man sich in einer Gemeinschaftsunterkunft einfach in einem anderen Raum verstecken, schon konnte die Polizei nicht mehr zugreifen“, sagt Kluth. „Abschiebungen scheitern aber auch vielfach an den Herkunftsländern, die sich häufig weigern, die Menschen zurückzunehmen oder ihnen Pässe auszustellen.“

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    2 Kommentare
    Franz Xanter

    In der ganzen Debatte vermisse ich die Punkte, welche zur kontrollierten und überprüfbaren Kontrolle bei Asylstellung notwendig sind. Nicht nur Abschiebungen müssen funktionieren, nein auch der Prozess bei Antragstellung muss funktionieren.

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    Thomas Keller

    Meinen Sie damit: Ich werde keine Straftaten begehen. Ich gehöre keiner extremistischen Vereinigung an usw. Da habe ich mich schon in den 90ern kaputtgelacht als mir beim Anflug beim JFK so ein Handzettel überreicht wurde. Klar, wer da "JA" ankreuzt muss auch selten dämlich sein.

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