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Nachruf: Die Jahrhundertzeugin ist tot: Margot Friedländer kämpfte bis zuletzt gegen den Hass

Nachruf

Die Jahrhundertzeugin ist tot: Margot Friedländer kämpfte bis zuletzt gegen den Hass

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    «Es darf nie wieder geschehen»: Margot Friedländer engagierte sich unermüdlich gegen das Vergessen.
    «Es darf nie wieder geschehen»: Margot Friedländer engagierte sich unermüdlich gegen das Vergessen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    29. Januar 2025, Gedenkstunde im Deutschen Bundestag. Fast auf den Tag genau vor 80 Jahren war das KZ Auschwitz durch die Rote Armee von den Nazis befreit worden. Margot Friedländer ist Ehrengast bei der Gedenkveranstaltung im Berliner Parlament. Die Menschen scharen sich um die kleine Frau mit den großen Augen. Friedländer wirkt dabei so sanft, so friedlich, so geduldig. „Ihre Augen haben eine unglaubliche Tiefe, ihr Händedruck ist fest“, schildert die Friedberger Künstlerin Monika Mendat, deren Familie aus Auschwitz stammt, ihre Begegnung mit der Holocaust-Überlebenden im Bundestag.

    Im Interview mit der Tagesschau sagte die 103-Jährige später an diesem Tag: „Ich spreche für die, die es nicht geschafft haben und nicht nur für die sechs Millionen Juden – für alle, die man umgebracht hat.“ Der Moderator ist so zu Tränen gerührt, dass ihm die Stimme versagt. Und Friedländer fährt fort, sie spreche „für Menschen, die nur Menschen sind. Und es ist für euch, für die Zukunft, für die Demokratie.“ Am 9. Mai, fast auf den Tag 80 Jahre nach der Kapitulation der Nazis, ist die couragierte Frau im Alter von 103 Jahren nun gestorben.

    Mit Sorge erlebte Margot Friedländer in ihren letzten Lebensjahren den Aufstieg der AfD

    Bis zu ihrem Tod wurde Margot Friedländer nicht müde, als eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen des Holocausts mahnend an die Vergangenheit zu erinnern. Gleichzeitig rief sie bis zuletzt persönlich, aber auch über die Kanäle ihrer Stiftung zu mehr Toleranz und Menschlichkeit auf.

    Mit Sorge beobachtete Margot Friedländer die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland, den wieder wachsenden Antisemitismus und die Rückkehr der völkischen Ideen mit der AfD ins Parlament. Sie erinnerte sich: „Ich weiß genau, wie es damals angefangen hat. Ich bin entsetzt, dass ich das heute erleben muss.“

    Damals hätte sie beinahe nicht überlebt. Margot Friedländer war zwölf Jahre alt, als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam. Als deutsche Jüdin in Berlin geboren, verlor sie in den folgenden zwölf Jahren praktisch ihre ganze Familie durch den nationalsozialistischen Terror. Sie selbst hat das Konzentrationslager Theresienstadt als einzige ihrer Familie überlebt. Ihr jüngerer Bruder Ralph und ihre Mutter Auguste Bendheim wurden 1943 in Auschwitz ermordet, ihr Vater Arthur und ihre Tante Lina 1942.

    Tod mit 103 Jahren: So überlebte Margot Friedländer den Holocaust

    Ihr eigenes Drama begann 1943. Friedländers Vater war bereits im KZ gestorben. Ihre restliche Familie hatte inzwischen beschlossen, den Nazistaat zu verlassen und die Flucht aus Deutschland organisiert. Noch einmal wollte man sich in der Berliner Wohnung treffen, um letzte Absprachen zu treffen. Als Margot Friedländer damals die Treppe hochging, stand ein fremder Mann vor der Tür - sie wusste sofort, dass er von der Gestapo war. Sie ging an der Wohnung vorbei und läutete an einer anderen Tür.

    Ihre Mutter hatte zuvor eine Tasche mit einer Bernsteinkette und ein Adressbuch bei Nachbarn deponiert, bevor sie sich der Polizei stellte, um ihrem Sohn Ralph in die Deportation zu folgen. Die Nachbarn übermittelten Margot Friedländer zudem eine Botschaft ihrer Mutter: „Versuche, dein Leben zu machen.“

    Dieser Satz, nach dem sie auch ihre Autobiografie betitelt hat, war fortan ihr Leitfaden. Über 80 Jahre später sagte sie: „Ja, ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich bin meiner Mutter Tag für Tag dankbar für diese Stärke, die sie hatte.“ Friedländer selbst hatte sich nach diesem Schicksalstag verstecken, verkleiden und tarnen müssen, wurde aber 1944 trotzdem von jüdischen Kollaborateuren entdeckt und von den Nazis ins Lager Theresienstadt gebracht.

    Margot Friedländer zog in die USA und mit fast 80 Jahren zurück nach Berlin

    Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie vom Jüdischen Kulturbund her bereits kannte. Auch er hatte seine gesamte Familie verloren. Gemeinsam überlebten die beiden das Lager, heirateten und reisten 1946 per Schiff nach New York, wo sie bis zu Adolf Friedländers Tod 1997 lebten.

    Für ihre Versöhnungsarbeit und ihren Mut erhielt Margot Friedländer viele Auszeichnungen.
    Für ihre Versöhnungsarbeit und ihren Mut erhielt Margot Friedländer viele Auszeichnungen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Für einen Dokumentarfilm reiste Margot dann das erste Mal wieder in ihre Heimatstadt Berlin zurück. Und blieb. Seit 2010 hat sie dort gelebt. Sie erhielt auch die deutsche Staatsbürgerschaft zurück und besuchte seitdem bis zu dreimal wöchentlich Schulen und andere Einrichtungen in ganz Deutschland, um über ihr Leben zu berichten. Dabei trug sie gelegentlich die Bernsteinkette ihrer Mutter.

    „Seid Menschen“ war das Credo der Holocaust-Überlebenden

    Ihre Worte waren immer die gleichen: „Ich sage den Kindern und Jugendlichen: ,Seid Menschen‘, das ist das, was ich ihnen mitgebe, das ist das einzige. Wenn ihr Menschen seid, tut ihr so etwas nicht. Ich sage das immer und immer wieder, die Kinder werden das nicht vergessen.“ Friedländer wirkte dabei immer freundlich, hoffnungsvoll, nie bitter. Immer wieder forderte sie ihre Zu­hö­re­rschaft auf, Gemeinsamkeiten zu feiern und sich nicht auf angebliche Unterschiede zu fokussieren.

    Ihr Engagement brachte ihr im Laufe der vergangenen Jahre viele Auszeichnungen ein, etwa die Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt, den Verdienstorden des Landes Berlin sowie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Mit 102 Jahren wurde sie dann noch von der deutschen Vogue noch als ältestes „Covergirl“ entdeckt.

    Sie machte das alles nur der einen Sache wegen: Margot Friedländer war kein Ort und kein Kanal zu minder, um ihre Botschaft der Menschlichkeit zu transportieren. Und die war und ist existenziell. Denn jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland kann einer aktuellen Studie zufolge nichts mehr mit Begriffen wie „Holocaust“ oder „Shoah“ anfangen. Jedes Wort, das sie an die junge Generation gerichtet hat, ist heute wichtiger denn je. 

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    3 Kommentare
    Marianne Böhm

    Frau Friedländer Kampf gegen das Vergessen des Holocaust ist berechtigt und doch hat jede Zeit ihr Leid und Freud.! Was Menschen verrückt macht und bedrückt, ist die Reue und Verbitterung für etwas was Gestern geschehen ist, und die Furcht vor dem, was das Morgen wieder bringen wird. Was die Deutschen seit 80 Jahren falsch machen, ist das was sie immer tun, sie verdrängen und sprechen nicht Miteinander darüber. Sie knieen überall hin und bitten um Verzeihung aber sie können sich selbst nicht Verzeihen.. So wird mit allen umgegangen, ob in Corona usw.. Wenn in unserem Land etwas schief geht, ist das Volk Schuld, geht es gut war es die Politik. Unser vielgepriesene Demokratie ist nichts anderes als Mittel zum Zweck. "Wer nicht für uns ist ist draußen. " Könnte es sein dass unsere Politiker Frau Friedländer nicht verstanden haben, weil sie von Menschen spricht...! Politiker schicken ihre Soldaten/Innen, Menschen in Kriege um ihnen später die Kriegsschuld tragen zu lassen..

    Felix Strobel

    Mein Beileid allen hinterbliebenen. Sie war, nein ist eine inspiration. "Es ist in eurer Hand, dass das nie wieder geschieht" Lasst uns ihr Lebenswerk ehren indem wir es nicht zulassen, dass kein Mensch dieses Leid wieder erleben muss.

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    Maria Reichenauer

    Es werden viele Worte von Margot Friedländer bleiben, die man sich aufs T-Shirt schreiben könnte. Eine kleine Frau, zu der man aufsehen konnte. Und sie hatte recht: Vergessen des Geschehenen würde bedeuten, dass so etwas wieder geschehen kann – wir sollten alle dafür eintreten, dass die Gesellschaft toleranter und humaner wird.

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