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Foto: Kay Nietfeld, dpa
Foto: Kay Nietfeld, dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei.

NRW-Wahl
16.05.2022

Nach der Wahl in NRW hält Scholz Kurs – aber stimmt die Richtung noch?

Von Bernhard Junginger

Plus Bei der NRW-Wahl muss die SPD die nächste Schlappe einstecken, will aber keine Konsequenzen ziehen, sondern besser kommunizieren. Manchen Genossen reicht das nicht.

Haben Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD-Spitze irgendwann die Grenze von einer Politik der ruhigen Hand zu einem Kurs des schädlichen Trotzes überschritten? Das fragen sich hochrangige Sozialdemokraten am Tag nach der historischen Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen. Noch nie hat die SPD in ihrer selbsterklärten „Herzkammer“ schlechter abgeschnitten als am Sonntag. Weil Scholz sich selbst so intensiv in den Wahlkampf eingemischt, den örtlichen Kandidaten Thomas Kutschaty mit gemeinsamen Auftritten und Plakaten unterstützt hat, geht die Niederlage auch auf sein Konto. Das räumt Parteichef Lars Klingbeil am Montag im Willy-Brandt-Haus unumwunden ein: Die gesamte SPD, inklusive der Bundespartei und des Bundeskanzlers, habe dieses Wahlergebnis zu verantworten. Doch, und das überrascht viele Genossen, eine Neuausrichtung oder Kurskorrekturen schließt der Vorsitzende aus.

Sozialdemokratisches Jahrzehnt mit Startproblemen

Erst wenige Monate ist es her, da hatte Klingbeil von einem bevorstehenden „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ gesprochen. Doch inzwischen ist von der Euphorie nach dem so überraschenden wie knappen Sieg bei der Bundestagswahl nichts mehr zu spüren. Dem großen Erfolg im kleinen Saarland folgten zwei bittere Niederlagen in Schleswig-Holstein und jetzt in Nordrhein-Westfalen - das ist die Bilanz in diesem Jahr. Scholz, so heißt es in den eigenen Reihen, wäre gern der Kanzler, der über den Dingen steht, souverän und rational die Richtung vorgibt. Doch im Moment wird ihm das als Führungsschwäche ausgelegt.

Verteidigungspolitsicher Sprecher der FDP VerlässtBeinahe-Eklat im AusschussAnton Hofreiter von den Grünen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) etwa hatten den Kanzler zu einer Korrektur seiner zögerlichen Ukraine-Politik aufgefordert. Die Reaktion des Kanzlers fiel dünnhäutig aus. Nach seiner Führung gefragt, teilte er aus: „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich. “ Jungs und Mädels, das wirkte nicht nur arrogant und herablassend, es war auch ziemlich klar, wer gemeint war: Die beiden Kritiker aus dem Ampel-Lager.

Am vergangenen Freitag hat Scholz Gelegenheit, seinen Ukraine-Kurs wenn nicht zu schärfen, so doch besser zu erklären. Er ist in den Verteidigungsausschuss des Bundestags geladen, dessen Vorsitzende Strack-Zimmermann ist. Bei der Sitzung am Vormittag soll es unter anderem um den weiteren Kurs bei der Lieferung schwerer Waffen gehen. Deutschland steht hier eher auf der Bremse, die Wehrexperten im Bundestag erwarten endlich klare Signale, wie es weitergeht. Marcus Faber von der FDP etwa. Der verteidigungspolitische Sprecher seiner Fraktion gilt nicht als Heißsporn, sondern als einer, der sich akribisch in alle Vorgänge einarbeitet, die mit der Bundeswehr zu tun haben. Von Scholz erhoffen sich Faber und andere an diesem Freitagvormittag zumindest Hinweise darüber, wie es nun weitergehen soll mit der deutschen Unterstützung für das Land, das von Russland angegriffen wurde. Offenbar werden die Erwartungen des jungen Wehrpolitikers nicht im Ansatz erfüllt. Scholz, so berichten Teilnehmer, verkündet wenig Neues, wiederholt stattdessen wortreich bekannte Positionen.

Beinahe Eklat: Verteidigungspolitischer Sprecher der FDP verlässt Ausschuss

Noch vor dem Ende der Sitzung reicht es Faber offenbar. Er steht auf und verlässt den Saal im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. „Leider wurden viele Antworten nicht gegeben“, twittert er. In die Kameras der wartenden Fernsehleute sagt er, dies sei der Grund, warum er und einige Fraktionskollegen rausgegangen sein. Einige Zeit lang steht der Eklat im Raum: Angehörige des eigenen Regierungslagers zeigen dem Kanzler aus Protest die kalte Schulter? Das würde die ganze Ampel erschüttern. Faber rudert schließlich zurück. Er und die anderen hätten den Ausschuss wegen „Anschlussterminen“ verlassen, er bedauere, dass ein anderer Eindruck entstanden sei. Am Nachmittag verzichtet er auf sein Amt als verteidigungspolitischer Sprecher.

Fürs Erste ist die offene Koalitionskrise abgewendet, doch der Vorfall zeigt, wie sehr es in Teilen der Ampel gärt. Längst stören schiefe Misstöne die anfängliche Harmonie. Scholz, so heißt es – noch hinter vorgehaltener Hand – werde gerade seinem alten Versprechen nicht gerecht, dass, wer bei ihm Führung bestelle, auch Führung bekomme. Ausgerechnet in Zeiten schwerster Krisen sei der Kanzler nicht in der Lage, seinem Bündnis und letztlich dem ganzen Land Orientierung zu bieten.

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Foto: Britta Pedersen, dpa
Foto: Britta Pedersen, dpa

Olaf Scholz (SPD) bei seiner Fernsehansprache an die Nation zum Krieg in der Ukraine.

Die Wirkung der fulminanten „Zeitenwende-Rede“, die Scholz kurz nach dem Beginn der russischen Attacke auf die Ukraine hielt, ist längst verpufft. Oft ist jetzt wieder vom „Scholzomat“ die Rede, wenn der Hamburger in langen komplizierten Sätzen wenig sagt. Die Strategen im Kanzleramt wissen um die Defizite und ihre Wirkung in der Bevölkerung. Ein Versuch, die Deutungshoheit wieder zu übernehmen, ist die Fernsehansprache zum Jahrestag des Weltkriegsendes am 8. Mai. Scholz spricht in für ihn ungewöhnlich kurzen, prägnanten Sätzen. Vier klare Botschaften zum Ukraine-Krieg, die wie ein Manifest klingen: Keine deutschen Alleingänge. Das Bekenntnis zur Verbesserung der deutschen Verteidigungsfähigkeit. Die Absage an Maßnahmen, die Deutschland mehr schaden als Russland. Die Nato darf auf keinen Fall Kriegspartei werden. Er kündigt engagierte Unterstützung der Ukraine an, mit Blick etwa auf die Lieferung schwerer Waffen sagt er: „Wir werden aber nicht alles tun, was der eine oder die andere gerade fordert.“ Doch all das hat er – viel ausführlicher und komplizierter – schon oft zuvor formuliert.

Den Worten müssten jetzt Taten folgen, sagen Parteifreunde. Endlich ein Besuch beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj etwa, den viele westliche Spitzenpolitiker schon absolviert haben. Sogar Oppositionschef Friedrich Merz war schon in Kiew. So wie der Kanzler sich als Mit-Verlierer von Nordrhein-Westfalen fühlen muss, darf der CDU-Chef sich als Mit-Gewinner fühlen. Im Bundestrend der Umfragen liegt die Union seit Wochen stabil vor der SPD. Merz gelingt es immer wieder, Scholz und seine Ampel-Regierung zu düpieren – etwa, als es um die Einführung einer Corona-Impfpflicht ging. Die hielt Scholz für notwendig, doch sie scheiterte im Bundestag. Schon bald hat Merz wieder die Möglichkeit, gegen Scholz zu punkten. Die Verfassungsänderung über das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr steht an. Dafür braucht die Ampel die Stimmen der Union. CDU und CSU fordern aber, dass das Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, dauerhaft erfüllt wird. Und nicht nur, bis das Sondervermögen aufgebraucht ist, was schon in vier Jahren der Fall sein könnte. Dafür muss Scholz noch Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten, denn viele Genossen, allen voran Fraktionschef Rolf Mützenich, sehen Rüstungsausgaben weiter kritisch.

Der SPD wird ihre alte Russland-Nähe zum Verhängnis und sie plagen neue Sorgen

Die lange Zeit ausgesprochen russlandfreundliche Politik der SPD nagt unterdessen weiter am Image. Ex-Kanzler Gerhard Schröder hält seinem Freund Putin treu die Stange, doch ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ist nicht in Sicht. Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und einstige sozialdemokratische Nachwuchshoffnung, gerät tiefer und tiefer in den Strudel der Affäre um die Gaspipeline Nord Stream 2. Immer neue Enthüllungen über den russischen Einfluss auf die Landesregierung schaden der SPD auch im Bund. Ebenso peinlich: Mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als SPD-Außenminister enge Beziehungen zu Moskau pflegte, war ein wichtiger Scholz-Vertrauter kürzlich in Kiew unerwünscht.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa
Foto: Kay Nietfeld, dpa

Christine Lambrecht spricht im Bundestag in der Aktuellen Stunde. Kanzler Scholz hatte die Bundesverteidigungsministerin gegen den Vorwurf in Schutz genommen, sie gebe zu zögerlich Waffen an die Ukraine ab.

Ein wachsendes Problem hat Scholz im Verteidigungsministerium, auf das in Zeiten des Ukraine-Krieges alle Augen blicken. Ressortchefin Christine Lambrecht gerät für ihre Amtsführung fast täglich heftiger in die Kritik. Es geht um fachliche Dinge, aber auch um Private, wie den Mitflug ihres Sohnes im Dienst-Helikopter. Rufe nach einer Kabinettsumbildung werden lauter, doch Scholz hält unverdrossen an Lambrecht fest. Ebenso wie an Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dem kaum etwas gelingen mag. Wenn es im Herbst wirklich wieder schlimm wird, steht Deutschland bei Corona kaum besser da als in den beiden Jahren davor.

Nach der Wahl in NRW wird es in der Ampelkoalition ungemütlich

Für die in großer Eintracht gestartete Ampel-Koalition verheißt das Wahlergebnis von Düsseldorf wenig Gutes. Die Grünen strotzen nur so vor Selbstbewusstsein und werden wohl künftig im bevölkerungsreichsten Land das schwarz-grüne Modell proben. Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck laufen dem Kanzler in der Gunst der Bevölkerung zunehmend den Rang ab, was in der SPD mit Argwohn gesehen wird. FDP-Chef Christian Lindner dagegen wird sich nach der Niederlage seiner Partei in seiner Heimat fragen, wie er das liberale Profil wieder schärfen kann. Das riecht förmlich nach mehr Widerspruch gegen den Kanzler.

Was Scholz nun brauche, sei nichts weniger als ein Befreiungsschlag, sagen erfahrene Genossen, das sei sowohl der Parteispitze als auch dem Kanzleramt bewusst. Im Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen, zeichnen die Kommunikationsexperten das Bild eines Regierungschefs, der unermüdlich, aber ohne große Worte darüber zu verlieren, an der Lösung der ganz großen Probleme arbeitet. Am Tag nach der Schmach von Nordrhein-Westfalen kündigt Scholz an, seine Vermittlungsversuche im Ukraine-Krieg mit Russlands Präsident Wladimir Putin fortzusetzen. Über seinen Sprecher Steffen Hebestreit lässt er verlauten, dass sich das Kriegsgeschehen hin zu einem Stellungskrieg zu verändern drohe. Gerade in dieser Phase sei es wichtig zu versuchen, „wieder in Gespräche zu kommen, wie man das Töten, das Schießen beenden kann“. Dazu habe Scholz die Initiative ergriffen und vergangene Woche zunächst mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und anschließend nach wochenlanger Funkstille auch wieder mit Putin telefoniert. Der Kanzler versuche, „den diplomatischen Pfad da wieder zu beschreiten, so schwer das auch ist“. Nichts dürfe unversucht bleiben, auch wenn die Situation verfahren sei.

Sollten Scholz’ Vermittlungsversuche mit dem russischen Präsidenten rasch zu einem Ergebnis führen, das die Situation in der Ukraine zumindest entspannt, wäre das ein grandioser Erfolg. Sollten sie hingegen scheitern, droht sich die Misere des Kanzlers weiter zu verschärfen. Denn die Umsetzung seiner angekündigten Zeitenwende stockt und praktische Konsequenzen aus der Schlappe an Rhein und Ruhr will die SPD nicht ziehen, wie Lars Klingbeil beteuert. Vielmehr gehe es darum, „dass wir das, was wir Gutes tun, auch stärker kommunizieren“. Der SPD-Chef weiter: „Das ist für mich die Lehre.“ Eine Lehre freilich, an die in der Partei längst nicht alle glauben. „Der Übergang zwischen Beharrlichkeit und Sturheit“, so unkt ein erfahrener Funktionär, „ist bekanntlich fließend“.