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Österreich: Der Rubel rollt: Reiche Russen kaufen sich ein

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Der Rubel rollt: Reiche Russen kaufen sich ein

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    Österreichische Berge.
    Österreichische Berge.

    Das Zauberwort in Kitzbühel heißt Zweitwohnsitz. Den haben in dieser glamourösen, ebenso mondänen wie monströs teuren 7000-Einwohner-Stadt unterhalb des „Wilden Kaisers“ in Tirol nicht nur die ansässige Schickeria aus München und Umland, nicht nur Leute wie Franz Beckenbauer und Uschi Glas. Sondern auch Jelena Baturina.

    Mit sieben Milliarden Dollar Vermögen ist sie die reichste Frau Russlands, verheiratet mit dem früheren Bürgermeister von Moskau, Juri Luschkow. Baturina besitzt in „Kitz“, wie der Geldadel das kleine Städtchen liebevoll nennt, neben ihrer prächtigen Privatvilla das Fünf-Sterne-Hotel „Grand Tirolia“ samt 18-Loch-Golfplatz – augenfälligstes Symbol für die Präsenz von extrem reichen Russen im Ort: In den vergangenen Jahren haben die sich hier eingekauft im großen Stil. Trotz oder gerade wegen der horrenden Kitzbüheler Grundstückspreise von 1000 Euro pro Quadratmeter.

    Furcht vor der Dominanz der russischen Reisenden

    76226 russische Touristen kamen 2010 nach Kitzbühel, sie blieben durchschnittlich mehr als sechs Tage. Mancher Urlauber und erst recht manch Einheimischer fürchtet deshalb die Dominanz der russischen Reisenden und vor allem die schlechten Manieren vieler.

    2007 machten die Touristiker in Kitzbühel deshalb den Vorschlag, Hotels sollten den Anteil ihrer mit Maybach und Ferrari bestückten russischen Gäste auf zehn Prozent begrenzen. Eine Woge der Empörung ergoss sich damals über die besorgten Manager. Seitdem wird das Thema Russen in Kitzbühel so gut wie möglich totgeschwiegen. „Das war alles ein Missverständnis“, sagt die Hauptkritikerin von damals.

    Aber nicht nur in Kitzbühel haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt zahlungskräftige Russen niedergelassen. Und nicht nur dort hat sich darüber eine teilweise kontroverse Diskussion entspannt. Die ehemalige russische Bankerin Tatjana Maximova hat in Hopfgarten im Defereggental in Osttirol mit einer Zehn-Millionen-Euro-Investition das 100-Betten-Hotel Zedernklang eröffnet. Außerdem füllt sie Mineralwasser aus der Gegend ab. Sie fühlt sich gern gesehen. „Ich habe Geld mitgebracht. Deshalb haben mir alle geholfen“, meint sie nüchtern. Anfangs habe es Misstrauen gegeben, doch dann hätten sich die Einheimischen überzeugen lassen, dass die gepflegte Blondine „keine gefährliche Mafiosa“ sei.

    Mehr Reisende aus Russland als Tirol zieht nur Wien an. In die Hauptstadt kamen 2010 insgesamt 145580 russische Gäste, was dazu führt, dass im Feinkostgeschäft auf dem „Graben“ die Verkäufer ebenso aus Russland kommen, damit fachgerecht über die Qualität des Kaviar parliert werden kann. Auch in der „Schwäbischen Jungfrau“ am Graben, wo feinste Wäsche, jetzt auch mit kyrillischem Monogramm, gefertigt wird, stellt man sich auf die Kunden mit den dicken Bargeldbündeln ein. „Wir würden uns schwertun, ohne die russische Kundschaft zu überleben“, gibt der Juniorchef Theodor Vanicek zu.

    Der Chef des russischen Musikklubs „Balalaika“ im ersten Wiener Bezirk kann genau beschreiben, worin die Verbindung zwischen Wien und Russland liegt: Russen seien in vier Wellen nach Österreich gekommen. Die erste nach der Oktoberrevolution, die zweite nach dem Zweiten Weltkrieg und die dritte kam nach 1975 und bestand vor allem aus jüdischen Bürgern der Sowjetunion. Doch die meisten Russen kamen nach 1990, als die Sowjetunion zusammenbrach und die Grenzen geöffnet wurden. Die russischen Reichen wollen nicht nur Geld ausgeben, sie wollen auch in Österreich investieren. Und zwar nicht nur in der Gastronomie.

    Die österreichisch-russischen Geschäfte gehen blendend

    Das beruht auf Gegenseitigkeit; denn die österreichisch-russischen Geschäfte gehen blendend. Die russischen Importe aus Österreich haben sich seit 2000 von 0,7 Milliarden Euro auf 2,5 Milliarden Euro verdreifacht und auch Österreich importiert Waren im Wert von inzwischen 2,3 Milliarden Euro, vor allem Erdöl und Erdgas. Viele wichtige russische Unternehmen haben in Wien Niederlassungen.

    Die österreichische Strabag baut in Sotschi das olympische Dorf für die Winterspiele 2014. Ex-Magna-Chef Sigi Wolf arbeitet heute für den Bau- und Transportkonzern des Oligarchen Oleg Deripaska. Wolf soll einen ausgezeichneten Draht zu Putin haben. Und auch Sergej Netschajew, der russische Botschafter in Wien, setzt alles daran, dafür zu sorgen, dass sich das gute Investitionsklima nicht eintrübt. Wen wundert es also wirklich, dass sich Netschajew am 14. Juli dieses Jahres in kürzester Zeit am Flughafen in Wien-Schwechat einfand, um einem Landsmann zu helfen? Der russische KGB-Offizier und Ski-Sportfunktionär Michail Golowatow wollte mit einem finnischen Visum nach Österreich einreisen. Als er um 16.45 Uhr am Gate C35 ankam, wurde er festgenommen, weil der Grenzkontrollcomputer mit dem Schengener Informationssystem (SIS) einen Straftäter signalisierte. Gegen Golowatow liegt ein Europäischer Haftbefehl vor.

    Er soll in der „Blutnacht von Vilnius“ am 13. Januar 1991 für vierzehn Morde verantwortlich gewesen sein. 13 Litauer und ein Russe starben, als die von Golowatow befehligte Sondereinheit „Alpha“ des russischen Geheimdienstes KGB den Fernsehturm der litauischen Hauptstadt stürmte. Litauen fordert, dass Golowatow als Kriegsverbrecher an die baltische Republik ausgeliefert wird.

    Doch dazu kam es weder am 14. Juli noch später. Im Gegenteil: Österreich ließ Golowatow nach nur 22 Stunden nach Russland ausreisen. Die litauische Bevölkerung, deren Wunden aus der sowjetischen Besatzungszeit keineswegs verheilt sind, ging zu Massenprotesten gegen Österreich auf die Straßen. Dabei hatte der Umgang der Behörden mit dem Ex-KGB-Mann rechtlich einwandfrei begonnen.

    Der Salzburger Bürgermeister spricht von einem Super-GAU

    Noch wird in Österreich darüber spekuliert, ob Justizministerin Beatrix Karl verantwortlich für die Entscheidung ist, Golowatow nicht festzuhalten. Der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden von der SPÖ entschuldigte sich offiziell bei seinem litauischen Kollegen, „damit er zunächst auch eine andere Stimme aus Österreich hört“.

    Schaden hält die Auslieferung für einen außenpolitischen Super-GAU. „Da haben die Russen sicher nicht gekleckert, sondern geklotzt. Und Österreich hat salutiert“, sagt er.

    Auch in den Regierungsparteien regt sich inzwischen Kritik am Umgang Österreichs mit dem Gesuchten. Es stehe „schrecklich“ da, sagt Erhard Busek, ehemaliger ÖVP-Vizekanzler und früher Südosteuropa-Beauftragter der EU. „Wir haben unsere Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen verloren“, bedauert er. Gerade gegenüber den ehemaligen Ostblockstaaten sei Österreich immer als Verfechter der Menschenrechte aufgetreten. Unterstützt wird Busek vom früheren EU-Kommissar Franz Fischler.

    "Österreich habe rechtskonform gehandelt"

    Die Justizministerin Beatrix Karl hält dagegen, Österreich habe rechtskonform gehandelt, weil es das alte Auslieferungsrecht habe anwenden müssen. Der Europäische Haftbefehl habe zur Tatzeit noch nicht gegolten, sondern erst seit 2002. Die „Blutnacht von Vilnius“ liege zu lange zurück.

    Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer verteidigt das Vorgehen der österreichischen Behörden: Litauen werde „sich überzeugen lassen“, sagte er. Es habe „keine böse Absicht“ vorgelegen.

    Fischer hat erst im Mai mit einem Flugzeug voll von Politikern und Wirtschaftsleuten Moskau besucht. 140 Manager aus allen Branchen bemühten sich um Verträge mit der prosperierenden russischen Wirtschaft. Der russische Regierungschef Medwedew hob sowohl den Bau eines Alpinzentrums im Nordkaukasus hervor als auch das österreichische Know-how bei alternativen Energiequellen und Energieeffizienz. Insgesamt wurden 27 Kooperationsprojekte mit einem zusätzlichen Handelsvolumen von einer halben Milliarde Euro in den nächsten drei Jahren vereinbart.

    Angesichts dessen wirkt es naheliegend, dass die Interessen kleiner Staaten wie Litauen auf der Strecke bleiben. Der Chef des Wiener ICEUR-Thinktanks konstatiert in der Wiener Presse „vorauseilenden Gehorsam“, den die Diplomatie aus Furcht vor wirtschaftlichen Nachteilen an den Tag lege. Russen seien sich dessen bewusst. Sie bauten deshalb gern eine Drohkulisse auf, legten Temperament an den Tag und testeten so die Angst der Verhandlungspartner. Bei Unerschrockenheit der Gegner lenkten Russen ein und verhandelten pragmatisch.

    Das hatte der russische Botschafter im Fall Golowatow wohl nicht nötig. Die österreichischen Beamten reagierten so, wie sie es seit der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 gewohnt sind. Sie kuschten, wie es das Stillhalteabkommen für einen neutralen Staat vorsieht. Offenbar ist noch nicht überall angekommen, dass Österreich als EU-Mitglied auch auf gute Beziehungen zu den übrigen kleinen Mitgliedstaaten angewiesen ist.

    Andererseits: Reiche Russen bringen derzeit ja viel Geld ins Land.

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