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Österreich: Die ersten Monate der neuen Dreier-Koalition und ihr Kurs gegen die FPÖ

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Neue Regierung in Österreich: Die FPÖ, der blaue Elefant im Raum 

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    Das sind die Gesichter der neuen österreichischen Bundesregierung (von links): Christian Stocker (Bundeskanzler, ÖVP), Andreas Babler (Vizekanzler, Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Äußeres, Neos).
    Das sind die Gesichter der neuen österreichischen Bundesregierung (von links): Christian Stocker (Bundeskanzler, ÖVP), Andreas Babler (Vizekanzler, Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Äußeres, Neos). Foto: Roland Schlager, dpa/APA

    Es hat sich etwas verändert in den Räumlichkeiten des Bundeskanzleramts am Wiener Ballhausplatz. In dem altehrwürdigen Palais, vis-à-vis und nur wenige Schritte von der Hofburg entfernt, drängen sich an diesem Dienstagmorgen zahlreiche Vertreter internationaler Medien. Der neue Hausherr, ÖVP-Kanzler Christian Stocker, hat zur Antritts-Pressekonferenz geladen, und die fällt so ganz anders aus, als man es in den vergangenen Jahren von seinen Vorgängern gewohnt war: Nachdem es durch einen Sicherheits-Check gegangen ist, erwartet die Journalisten oben im Saal auf Beistelltischen ein reichhaltiges Brötchen-Buffet. Service-Mitarbeiter versorgen die Gäste mit Kaffee auf Tabletts, sogar Tischservice gibt es. Als Stocker mit seinen beiden Pressesprecherinnen eintrifft, macht er im Saal die Runde und begrüßt die Anwesenden samt und sonders einzeln per Handschlag.

    Österreichs neuer Kanzler unterscheidet sich damit deutlich etwa von seinem Vorgänger Karl Nehammer: Der Jurist aus Niederösterreich, von kleiner, gedrungener Statur, ist ein gemächlicher Typ, er spricht langsam und verzichtet auf einstudierte rhetorische Floskeln. Wo sein Vorgänger oft harsch wirkte und teilweise theatralisch, gibt sich Stocker bedacht und unkapriziös, er spricht geradeheraus, und das scheint auch bei den Journalisten anzukommen. Er will auch rasch zu Punkte kommen: Anstatt lange herumzureden, beantwortet Stocker die Fragen der Medienvertreterinnen und -vertreter, freilich nicht ohne zuerst seinen Standardsatz zu bemühen: Eigentlich habe er ja eine andere Karriereplanung verfolgt, aber jetzt sei es eben so. Jetzt sei er eben Kanzler.

    Die neue Regierung ist kaum drei Monate im Amt – und das überraschend stabil

    Kaum drei Monate nach Amtsübernahme scheint die Dreier-Koalition in Wien, bestehend aus ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos, stabil zu regieren. Für Christian Stocker könnte es nicht besser laufen. Die Spitzen der drei Regierungsparteien demonstrieren Harmonie und gemeinsamen Tatendrang – selbst eine am Donnerstag bekannt gewordene Anklage wegen Amtsmissbrauchs in einer mutmaßlichen Postenschacher-Affäre für den Chef der ÖVP-Parlamentsfraktion, August Wöginger, schafft es nicht, Unruhe zu stiften. Längst vergessen scheinen auch die Turbulenzen vom Jahresanfang, Stockers Hin-und-her, als im ersten Anlauf die Verhandlungen für eine Dreier-Regierung platzten, und Stocker dann mit dem monatelang propagierten Credo brach, sicher nicht mit der Kickl-FPÖ zu verhandeln. Genau das tat Stocker als neuer ÖVP-Chef, und nur weil Kickl schlussendlich unannehmbare Forderungen stellte, was die EU, den Rechtsstaat und nicht zuletzt die Verteilung der Ressorts anging, kehrten Stocker und seine ÖVP schließlich doch an den Verhandlungstisch zurück. Jetzt gilt es, das milliardenschwere Schuldenloch zu stopfen, das die eigene Partei in Koalition mit den Grünen hinterlassen hat.

    Immerhin: Es ist nicht der neue Kanzler, der den Österreichern erklären muss, was in den kommenden Jahren auf sie zukommt. Das musste am Dienstag ein Sozialdemokrat übernehmen. Markus Marterbauer, prononcierter Linker, ehemaliger Chefökonom der Arbeiterkammer – ihm kam als neuem SPÖ-Finanzminister die Aufgabe zu, eines der wohl härtesten Sparpakete der vergangenen Jahre zu verkünden. Ein EU-Defizitverfahren ist unabwendbar, aber bis 2028 will der rote Finanzminister ein solches hinter sich lassen.

    Bis dahin: Einsparungen bei Pensionen und bei der Familienbeihilfe, Kürzungen in den Ministerien, massives Zurückschneiden von Förderungen und vor allem ein Aus für so gut wie alle Klimaschutzmaßnahmen, die die Grünen mit der ÖVP in der vorangegangenen Regierung eingeführt hatten – so will Marterbauer im laufenden und im kommenden Jahr insgesamt über 15 Milliarden Euro einsparen. Klimapolitik als Förderpolitik, das sei bisher ohnehin der falsche Weg gewesen, sagt er und klingt damit nicht unähnlich wie die deutsche Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, für die Klimapolitik bisher „überbetont“ worden sei. Auf der Haben-Seite blieb vom linken Kurs der SPÖ unter Vizekanzler Andreas Babler nicht besonders viel: Banken und Energiekonzerne müssen einen höheren Beitrag als bisher zum Budget leisten, etwas mehr als eine halbe Milliarde Euro bringt das 2025. Für Marterbauer aber ist klar: Die nun fixierten Sparmaßnahmen werden in den kommenden Jahren nicht die letzten bleiben. Spielraum für Investitionen? So gut wie nicht vorhanden.

    ÖVP-Chef Christian Stocker (links) und FPÖ-Chef Herbert Kickl: Der Bundeskanzler will die extreme Rechte in Österreich wieder von Platz eins verdrängen.
    ÖVP-Chef Christian Stocker (links) und FPÖ-Chef Herbert Kickl: Der Bundeskanzler will die extreme Rechte in Österreich wieder von Platz eins verdrängen. Foto: Helmut Fohringer, dpa/APA

    Unter diesen Rahmenbedingungen gerät ein anderes, zentrales Ziel, das Stocker sich für seine Kanzlerschaft gesetzt hat, zur Mammutaufgabe: Die extreme Rechte in Österreich wieder von Platz eins zu verdrängen, eine drohende „Ver-Trump-ung“ Österreichs zu verhindern, wie Stocker es nennt. Kickls FPÖ führt nach wie vor deutlich in den Umfragen, das Vabanquespiel des „blauen“ Parteichefs dürfte dem Zuspruch unter den FPÖ-Wählern keinen Abbruch getan haben. Kickl beobachtet die ersten Schritte der Dreierkoalition aus bequemer Distanz. Der FPÖ-Chef beschränkt sich darauf, das Corona-Thema am Leben zu halten. In einer Art Papierterrorismus schickte er jüngst medienwirksam nicht weniger als 827 parlamentarische Anfragen zu den Corona-Schutzmaßnahmen an die zuständigen Ministerien. Das kommt an bei den eigenen Wählern und sorgt für Schlagzeilen.

    Wie Christian Stocker die Rechtsaußen-Partei FPÖ wieder zurechtstutzen will

    Die FPÖ wieder zurechtzustutzen, das soll in den kommenden fünf Jahren über drei Punkte erfolgen, sagt Kanzler Stocker, und für die brauche es auch nicht zwingend mehr Geld: den Wohlstand bewahren, das Funktionieren der Systeme sichern – und vor allem einen scharfen Kurs beim FPÖ-Kernthema Migration und Asyl. „Regeln sind nicht als Vorschlag eingeführt worden, sondern sind einzuhalten, und das gilt für viele Bereiche.“ So klingt das bei Stocker. Wenn es um eine harte Hand beim Thema Asyl und Migration geht, trennt den Österreicher kein Blatt Papier vom deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz, Stockers ebenfalls turbulent ins Amt gestarteten Parteifreund in Berlin – Diskussionen über Asylrückführungen an der deutsch-österreichischen Grenze hin oder her. Das gilt für den ÖVP-Chef auch bei einem Gesetzesprojekt, das in Österreich für heftige Diskussionen sorgt: das vorläufige Aus für die Familienzusammenführung in Asylfällen. Wieder einmal will die ÖVP Vorreiter sein, bei einem Law-and-Order-Kurs und möglichen Tabubrüchen, was EU-Recht betrifft. Und Stocker holt sich dafür Unterstützung aus Deutschland.

    Daniel Thym, EU- und Völkerrechtler an der Universität Konstanz, ist einer der Experten, auf die Stocker sich beruft. Mitte April verfasste der renommierte Jurist für die Österreicher ein Gutachten, es liegt unserer Redaktion vor – ebenso wie eines, das Thym 2022 für den damaligen ÖVP-Koalitionspartner, die Grünen, verfasst hatte. Die damals stark steigenden Asylzahlen führten in Österreich erneut zu Diskussionen über die Asylgesetzgebung. Von Verschärfungen riet Thym ab: Das EU-Asylsystem würde erodieren, „wenn der EuGH in einem ‚Dominoeffekt‘ einem Mitgliedstaat nach dem anderen eine Abweichung gewährte“, ist in Thyms Gutachten zu lesen. Und: „Es wäre daher mehr als riskant, darauf zu vertrauen, dass man mit einer nur ansatzweise wasserfesten Begründung die Grenze einfach schließen könnte.“

    Jetzt, drei Jahre später, klingt das ganz anders. Die ÖVP sieht durch den Familiennachzug einen drohenden Notstand, vor allem in den überforderten Schulen – und sich selbst durch ein Gutachten von Thym bestätigt. Staaten „müssen nicht abwarten, bis die öffentlichen Dienste nicht mehr funktionieren; eine absehbare Gefährdung derselben reicht aus, soweit die Mitgliedstaaten diese nachweisen“, schreibt der Spitzenjurist in seinem aktuellen Papier für Stockers Regierung, konkret für das Innenministerium unter Gerhard Karner.

    Gleiches gelte für die öffentliche Ordnung. Er beruft sich dabei auf den Artikel 72 „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“. Dieser ermöglicht Staaten, in Ausnahmefällen statt geltendem EU-Recht nationales Recht anzuwenden, falls die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind. Auch Deutschland beruft sich bei den Asyl-Rückweisungen in seine Nachbarländer darauf.

    Dass ein Familiennachzugs-Stopp vor dem Europäischen Gerichtshof halten wird, bezweifeln Asylrechtsexperten in Österreich allerdings. Auch Stockers Parteifreund in Brüssel, EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, glaubt nicht, dass Österreich mit der neuen Regelung EU-rechtskonform handle. Mit einem Rechtsstreit wegen des neuen Gesetzes rechnet Österreichs Kanzler aber ohnehin: „Ob das bei einer gerichtlichen Anfechtung standhalten wird, wird sich zeigen, wenn es zu einem Verfahren kommt“, sagt Stocker. „Wir haben die Entscheidung auf Basis von Rechtsgutachten getroffen, die uns die Rechtskonformität bestätigt haben. Und wir sind ja damit nicht alleine: Deutschland überlegt, dasselbe bei subsidiär Schutzberechtigten zu tun. Andere wollen nachziehen.“

    Anders als sein Parteifreund Stocker in Wien zögert der deutsche Kanzler Merz noch etwas in der Migrations-Politik

    Tatsächlich sah laut Medienberichten kürzlich auch Friedrich Merz eine „nationale Notlage“. Anders als sein Parteifreund Stocker in Wien zögert der deutsche Kanzler jedoch noch, was gesetzliche Schritte angeht – wohl auch aus Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD. In Wien hingegen gibt es keinen roten Widerstand gegen den Familiennachzugs-Stopp. Im Gegenteil: Die mächtige Wiener Landes-SPÖ begrüßt den Schritt ausdrücklich, und SPÖ-Chef Andreas Babler hält sich dementsprechend mit Kritik zurück.

    Ähnlich wie in Deutschland die AfD, muss ihre Schwesterpartei FPÖ nicht viel tun, damit das Kernthema „Migration, Flucht und Asyl“ die Schlagzeilen dominiert. „Was die AfD betrifft, werde ich mich aus Österreich in diese Entscheidung nicht einmischen oder eine Beurteilung abgeben“, sagt Stocker zur Debatte um die vorläufige Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch. In Österreich sei das aber alles anders, so Stocker. „Dass da und dort Tendenzen erkennbar sind, die auch ich so benannt habe, die als rechtsextrem erkennbar sind, ist eine andere Frage. Aber die FPÖ insgesamt würde ich nicht als rechtsextreme Partei bezeichnen.“ Keineswegs will Stocker für die Zukunft eine Koalition mit der extremen Rechten ausschließen, aber er nennt Bedingungen: „Da ist für mich die Positionierung in der Europäischen Union wesentlich: Wir sind ein konstruktiver Partner, wir waren und bleiben ein weltoffenes Land, und keines, das sich in Festungen zurückzieht.“ Und: „Die Gerichtsbarkeit steht für uns außer Frage.“

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