Özgür Özel ist überall. Er steuert im zentralanatolischen Yozgat einen Traktor bei einer Protestkundgebung gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er trifft hohe Richter in Ankara, besucht seinen Parteifreund Ekrem Imamoglu im Gefängnis und ist Hauptredner bei einer Kundgebung seiner Partei CHP in Istanbul. Der 50-Jährige sollte als CHP-Vorsitzender eigentlich im Schatten von Präsidentschaftskandidat Imamoglu bleiben. Doch seit dessen Inhaftierung vor einem Monat gewinnt der gelernte Apotheker an politischer Statur. Auch Erdogan beginnt, ihn als Rivalen ernst zu nehmen.
Özel bildete bis Mitte März ein Tandem mit Imamoglu, der ihm vor zwei Jahren den Weg zum CHP-Vorsitz geebnet hatte. Ihre Arbeitsteilung war klar: Der landesweit beliebte Istanbuler Bürgermeister Imamoglu sollte bei der nächsten Wahl 2028 als Präsidentschaftskandidat gegen Erdogan antreten, während der relativ unbekannte Özel die CHP zusammenhalten und die ideologisch verknöcherte Partei für neue Wählerschichten öffnen sollte. Doch dann ließ Erdogan seinen Herausforderer Imamoglu von der Polizei abholen, in Untersuchungshaft stecken und als Bürgermeister absetzen.
Özgür Özel redet sich auf Protestveranstaltungen mit hunderttausenden Teilnehmern heiser
Seitdem steht Özel im Rampenlicht. Er redet sich auf Protestveranstaltungen mit hunderttausenden Teilnehmern heiser, ruft die Türken zum Boykott von Waren regierungsnaher Konzerne auf, beschimpft Erdogans Regierung als „Junta“. Der aus dem westtürkischen Manisa stammende Özel, verheiratet und Vater einer Tochter, zeigt ein politisches Talent, das ihm die Türken nicht zugetraut hätten. Er rief die CHP in Istanbul zu einer Demonstration gegen Israels Feldzug in Gaza zusammen – ein Thema, das eigentlich von Erdogan besetzt ist. Der Präsident ließ den Israel-kritischen Marsch von der Polizei stoppen, denn Erdogan will der Opposition keine Bühne geben. Özels Schachzug ließ Erdogan unglaubwürdig aussehen.
Wird der CHP-Vorsitzende Özel nun selbst zum Präsidentschaftskandidaten?
Inzwischen wird spekuliert, ob Özel selbst die Präsidentschaftskandidatur anstreben könnte, falls Imamoglu länger in Haft bleiben und auch der ebenfalls beliebte Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, kaltgestellt werden sollte. Erdogan könnte Özel nicht so leicht aus dem Weg räumen, weil der CHP-Chef als Parlamentsabgeordneter durch seine Immunität geschützt wird. In den Umfragen steigen jedenfalls Özels Beliebtheitswerte.
Oh der Ärmste. Wenn der tatsächlich Chancen haben sollte, wird er bestimmt bald verhaftet, wegen Gefährdung der ewigen Staatsmacht.
Und wenn Erdogan so weiter macht wird er u.U. über die Hälfte der Türkei einsperren müssen. ;-)
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