Der Grenzschützer steht auf der Oder-Brücke und will nicht reden. Nicht mit der Presse. Das Wasser unter ihm zieht trüb-träge vorbei. Die Sonne brennt. Der Grenzschützer ist ein Mann, der dem Alter weit näher ist als der Jugend. Er trägt einen Hut in Flecktarn gegen die Hitze und eine gelbe Warnweste und fordert einen Volksentscheid über die Flüchtlingspolitik. Mehr ist ihm nicht zu entlocken. „No, no“, wehrt er ab.
Der Grenzschützer ist kein richtiger Grenzschützer, sondern ein Selbsterklärter von eigenen Gnaden. Er nimmt sich heraus, Flüchtlinge, die aus Deutschland kommen, eigenhändig zu kontrollieren. Mit seinen Füßen steht er im letzten Zipfel Polens. Auf der anderen Seite der Oder liegt Deutschland. Zehn Meter rechts von ihm steht eine Schautafel. Auf ihr steht in Deutsch und Polnisch: Frankfurt/Oder – Slubice. Und darunter: Ohne Grenzen. Bez granic.
Tusk: Polen wird nicht von Flüchtlingen aus dem Westen überflutet
Es ist noch gar nicht so lange her, da war das so. Natürlich bestand die polnisch-deutsche Grenze weiter, aber sie spielte keine praktische Rolle. Munter ging es rüber und nüber über den Fluss. Das hatte viel damit zu tun, dass auf der westlichen Seite Arbeit besser bezahlt ist und auf der östlichen Schnaps und Kippen billiger sind. Aber das war bei weitem nicht alles. Der selbsternannte Grenzschützer ist das personifizierte Zeugnis, dass sich etwas geändert hat.

Er und seine Kollegen haben es geschafft, dass sich der polnische Premierminister Donald Tusk mit ihnen beschäftigt. Sie sind nur 200 Leute und verteilen sich auf verschiedene Städte an der Grenze zu Deutschland. Dennoch geht Tusk auf sie ein. „Sie erzeugen den Eindruck, dass Polen von Flüchtlingen aus dem Westen überflutet wird. Das ist falsch“, sagt der Regierungschef.
Vor einigen Jahren haben Männer und Frauen in gelben Westen in Frankreich Staatspräsident Emmanuel Macron in schwere Bedrängnis gebracht. Dass es sie jetzt auch in Polen gibt, hat viel mit den Grenzschützern zu tun, die 200 Meter entfernt auf der anderen Seite der Brücke ihre Arbeit tun. Der Unterschied: Es sind echte Beamte der deutschen Polizei. Seit Ende 2023 halten sie Fußgänger und Radfahrer an, winken Autos, Taxis und Busse raus, um Papiere zu kontrollieren. Das sorgte zunächst zwar für Verzögerungen und gelegentlichen Stau auf der Brücke. Aber im Großen und Ganzen ging das Rüber und Nüber weiter wie gehabt. Seit Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang Mai den Erlass erteilte, Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, ist das anders.
Alexander Dobrindt verändert Polens Innenpolitik
Dobrindt hat die Kontrollen intensiviert und bewegt damit die polnische Innenpolitik. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski von der rechtspopulistischen PIS-Partei hat angekündigt, jeden einzelnen von Deutschland zurückgewiesenen Migranten zurückzuweisen. Tusk geriet unter Druck und hat nun entschieden, ebenfalls Grenzkontrollen einzuführen. Es könnte dazu kommen, dass Flüchtlinge auf der Oderbrücke stranden, weil sowohl Deutschland als auch Polen sie nicht aufnehmen wollen.

Als die Eilmeldung aus Polen über die Nachrichtenagenturen läuft, wissen die deutschen Polizisten noch nichts von Tusks Entscheidung. Eine Stunde lassen sie sich von der Presse bei der Arbeit zusehen. Unter einem großen weißen Zelt in der Mitte der beiden Fahrsteifen kontrollieren sie Fahrzeuge. Die haben Nummernschildern aus Polen, Deutschland und der Ukraine. Gut 50 Meter davor werden sie mit der Kelle herausgewunken.
Polizei kontrolliert an der Grenze
Ein Ukrainer in einem in Polen zugelassenen, silberfarbenen Kombi muss aussteigen. Er trägt kurze schwarze Arbeitskleidung. Die Polizisten kontrollieren seinen Kofferraum. Dem Mann ist das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Irgendetwas stimmt mit seinen Dokumenten nicht. Er muss warten. Ein Polizist holt sein Handy hervor und telefoniert mit der Zentrale, überprüft die Identität des Ukrainers. Nach einer halben Stunde darf er weiterfahren. Ein Beamter erklärt ihm auf Russisch, was er zu tun hat.

Inzwischen wird ein Reisebus aus der Ukraine kontrolliert. Vier Polizisten steigen zu und überprüfen die Personalien. Die Ukrainer lassen es klaglos über sich ergehen. „Wir haben hier an der Grenze die ganze Bandbreite“, sagt David Zilinski von der Bundespolizei. Es ist Zugführer einer Unterstützungseinheit aus Berlin, die an diesem Tag an der Grenze eingesetzt ist.
Um sechs Uhr in der Früh sind sie in der 90 Kilometer entfernten Hauptstadt losgefahren. Die Bandbreite reicht von falschen Fahrzeugpapieren, kleineren Drogenfunden bis hin zur Vollstreckung von Haftbefehlen. Und ja, Flüchtlinge werden mitunter auch zurückgewiesen. Im ersten Monat der Grenzkontrollen waren es rund 2700 Schutzsuchende. Nicht allein in Frankfurt/Oder, sondern an allen deutschen Grenzen zusammen.
Wer Asyl sucht, der findet
Zugführer Zilinski sagt, dass seine Leute den Einsatz an der Grenze durchhalten könnten. „Wir haben unseren Dienstplan für das ganze Jahr. Wenn wir nicht hier stehen, dann unterstützen wir zum Beispiel an einem Bahnhof.“ Zur Erfrischung nimmt er einen Schluck Spezi aus der Dose. „Das habe ich aus Bayern mitgebracht.“ Über zehn Jahre tat er Dienst in Königsbrunn bei Augsburg.
Die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, das die Zurückweisung an den Grenzen für rechtswidrig erklärte, hat laut Bundespolizei keine Auswirkungen auf die Kontrollen von Flüchtlingen. „Das ändert nichts. Wir erfüllen unseren gesetzlichen Auftrag“, sagt der Pressekommissar. Ein anderer Polizist kommt ein bisschen ins Plaudern. „Niemand, der mehrere Tausend Kilometer Flucht hinter sich hat, lässt sich von uns hier aufhalten“, erzählt er. „Wenn wir die dreimal zurückgewiesen haben, probieren sie es beim vierten Mal an der grünen Grenze.“ 40 Kilometer südlich trennt nicht die breite Oder die beiden Länder, sondern die zahme Neiße. Die Profis von der Polizei geben sich keinen Illusionen hin. „Wir arbeiten hier für die deutsche Öffentlichkeit“, meint der Beamte.
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