Edzard Reuter: „Die Politik muss wieder den Mut zur Führung finden“
Exklusiv Ex-Daimler-Manager fürchtet populistische Strömungen in Europa – und zweifelt auch an den eigenen Sozialdemokraten.
Der ehemalige Daimler-Manager und Sozialdemokrat Edzard Reuter fordert die Politik angesichts der vielen Krisen zu mehr Mut in ihren Entscheidungen auf. „Ich denke, in unseren demokratischen Systemen muss die Politik wieder den Mut zur Führung finden“, sagt der 94-Jährige im Interview mit unserer Redaktion.
„Sie muss klipp und klar sagen, wofür sie steht und durch ihre Taten davon überzeugen. Als es uns zu gut ging, ist uns das leider verloren gegangen.“ Die Politik habe sich angewöhnt, ihre eigenen Vorteile zu suchen und folglich ihre Entscheidungen von Tag zu Tag zu treffen.
„Unsere Werte wurden dabei für selbstverständlich unterstellt, weil man nicht mehr um sie streiten und kämpfen musste“, sagt Reuter. „Doch Politik braucht eine klare Meinung, eine Haltung.“ Als Konsequenz ähnelten sich die großen Parteien immer mehr, seien fast austauschbar geworden.
Populistische Strömungen in Europa
Die demokratische Politik habe sich damit auf dünnes Eis begeben. „Schauen Sie sich in Europa um: Die Gefahr, dass populistische Schreihälse an die Macht kommen, ist sehr groß, egal ob in Frankreich oder Italien“, sagt Reuter. „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wollen wir Europäer sein oder nur noch auf uns selbst schauen?“ Dabei ist der Sohn des früheren Berliner Bürgermeisters auch gegenüber der eigenen Partei kritisch. „Aus persönlichen Begegnungen bin ich davon überzeugt, dass Herr Scholz weiß, dass es Führungsstärke braucht“, sagt er über den Bundeskanzler. „Leider sieht man im Augenblick davon allzu wenig. Seine Koalition gerät in schwieriges Fahrwasser, es wird sich bald zeigen, ob er dem gewachsen ist. Leider bin ich nicht mehr ganz so optimistisch.“
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