In Pforzheim versucht eine Neonazi-Gruppe, den „Christopher Street Day“ zu stören. Im brandenburgischen Bad Freienwalde werden Teilnehmer eines Vielfalt-Festes angegriffen. Und vor einem Rathaus im Havelland brennt eine Regenbogenflagge – schon wieder. Drei Aktionen an drei Orten, die sich gegen queeres Leben in Deutschland richten. Drei Aktionen, die sich an einem einzigen Wochenende im Juni zugetragen haben. Dem Monat, in dem die LGBTQ-Community für Toleranz und Sichtbarkeit demonstriert, und den die politische Rechte versucht, zu kapern.
Die Rechte hat klare Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität
„Es ist Stolzmonat“, verkündet die Thüringer AfD-Politikerin Melanie Berger in einem Tiktok-Video. Gekleidet in Rollkragenpullover und Blazer spannt sie eine „Stolzfahne“ vor ihrem Körper – ein Banner mit schwarz-rot-gelben Farbabstufungen, das der Regenbogenflagge nachempfunden ist. „Es ist der Monat, in dem wir unseren Nationalstolz feiern und nicht den Verfall von Deutschland“, sagt Berger. Damit bedient sie eine Erzählung, die in der Ideologie der Rechtsextremen eine zentrale Rolle spielt.
„Die Rechte hat die Vorstellung, dass Unterschiede und Hierarchien zwischen Menschen natürlich oder gottgegeben sind, und dass diese verteidigt werden sollten“, erklärt Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski, der in seiner Doktorarbeit zu Rechtspopulismus und Homosexualität geforscht hat. Geschlecht und Sexualität seien schon immer Kernbestand der rechten Ideologie gewesen. Denn um das „Volk“ zu erhalten, braucht es Reproduktion. „Das war eigentlich die traditionelle Begründung, warum Homosexuelle aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden“, sagt Wielowiejski.
Moderne Rechte weisen den Vorwurf der Homophobie hingegen entschieden von sich. Zum einen, indem sie muslimische Männer zum Feindbild erklären, vor dem „unsere Frauen“ und „unsere Schwulen“ beschützt werden müssten, erläutert der Experte. Zum anderen, indem sie schwule Männer – zu einem geringeren Grad auch lesbische Frauen und Transpersonen – unter bestimmten Bedingungen integrieren: Wenn sie ihre Sexualität als Privatsache betrachten und nicht zum Thema machen. Wenn sie die Grenzen von Mann und Frau nicht infrage stellen.
Nicht schwule, sondern queere Menschen sind das neue Feindbild der AfD
Gewisse Homosexuelle werden in das „Wir“ der Neuen Rechten also einbezogen, fasst es Patrick Wielowiejski zusammen. Allerdings auf Kosten anderer gesellschaftlicher Gruppen. Ob Transgeschlechtlichkeit, Regenbogenfamilien oder nicht-binäre Geschlechter: was gewohnte Rollen stark herausfordert, wird abgelehnt.
Unter dem Namen „321maxx“ klärt der Content-Creator Max Rogall auf Tiktok und Instagram über queere Geschichte und Pop-Kultur auf. In einem seiner Videos reagiert er auf einen Kommentar eines Nutzers. Der schreibt: „Ich bin auch schwul, aber auf keinen Fall queer. Diese Ideologie schadet den normalen Homosexuellen und wofür wir so lange gekämpft haben.“ Seine Nachricht beendet er mit drei blauen Herzen – ein Code in den sozialen Medien, der Unterstützung für die AfD symbolisiert. Mit Menschen wie ihm, also schwulen Männern in der AfD, hat Wielowiejski im Zuge seiner Forschung gesprochen. Einer habe ihm erklärt: Als Mann einen Mann zu lieben, sei eine doppelte Entscheidung fürs Männlichsein.
Zahl der queerfeindlichen Straftaten steigt
„Kulturkampflogik“ nennt der Experte diese Unterscheidung zwischen den „normalen, konservativen Homosexuellen“ und den „schrillen, individualistischen oder feministischen Queers“. Letztere sind das erklärte Feindbild der Rechten. Und sie werden immer häufiger Opfer von Gewalt. Laut Zahlen des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts richteten sich im Jahr 2023 1785 Straftaten gegen queere Personen – ein Anstieg um gut 600 im Vergleich zum Vorjahr. 1052 Taten waren politisch motiviert, davon mehr als ein Drittel von rechts. Wielowiejski plädiert deshalb dafür, „weiterhin präsent zu sein und darauf hinzuweisen, wie normalisiert rechte Gewalt inzwischen wieder ist“. Der Verband Queere Vielfalt (LSVD+) spricht sich zudem für ein Parteiverbot der AfD aus.
Die Geschichte des „Pride Month“
Der „Pride Month“ geht zurück auf die sogenannten Stonewall-Unruhen: In den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 führte die New Yorker Polizei eine Razzia in der Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street durch. Bars, die als Treffpunkt für Homosexuelle bekannt waren, bekamen nämlich häufig keine Ausschankerlaubnis. In dieser Nacht widersetzten sich die Besucherinnen und Besucher den Kontrollen.
In den Tagen darauf solidarisierten sich andere Homosexuelle und Transpersonen mit den Protestierenden; es kam wiederholt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Ein Jahr später organisierten Mitglieder des New Yorker „Gay Rights Movement“ den ersten „Christopher Street Liberation Day“, um an die Unruhen zu erinnern. Der erste CSD in Deutschland fand am 28. Juni 1979 in Berlin statt.
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